EuGH zur Honorarvereinbarung: Rechts­an­wälte müssen mehr als nur den Stun­den­satz mit­teilen

Gastbeitrag von Martin W. Huff

20.01.2023

Ein Urteil des EuGH zu anwaltlichen Vergütungsvereinbarungen auf Stundenbasis mit Verbrauchern sorgt für Verunsicherung innerhalb der Anwaltschaft. Müssen diese jetzt anders ausgestaltet werden? Martin W. Huff erläutert.

Für viele Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gehört sie zum Alltag: Die Honorarvereinbarung. Mit gewerblichen Mandanten, aber auch zunehmend mit Verbrauchern, wird für die anwaltliche Beratung eine Vereinbarung über die Höhe der Vergütung getroffen. In aller Regel basiert diese darauf, dass die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt für die geleistete Arbeit eine Abrechnung nach Stunden erhält.

Solche Vergütungsvereinbarungen sind nach der Vorschrift des § 3a Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) grundsätzlich zulässig. Sie müssen nur in Textform vereinbart und losgelöst von einer Vollmacht formuliert werden. Gab es bisher überwiegend Diskussionen über die Frage, wie die Zeit zu erfassen ist, etwa ob immer eine Viertelstunde für jede noch so kleine Tätigkeit berechnet werden darf, so wirft ein am 12.Januar verkündetes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die Frage auf, ob neben der Vereinbarung des Stundenhonorars ein Rechtsanwalt auch verpflichtet ist, eine Schätzung über den Zeitaufwand abzugeben (Az. C-395/21).

Hintergrund ist ein Vorlageverfahren des Obersten Gerichts in Litauen an den EuGH. Ein Rechtsanwalt und ein Verbraucher schlossen in Litauen fünf Verträge über Rechtsdienstleistungen. Die Vergütung sollte sich jeweils nach dem Zeitaufwand richten. Da der Verbraucher die Anwaltsrechnungen nicht vollständig bezahlte, erhob dieser Klage. Der Fall ging bis an das Oberste Gericht Litauens.

Gericht aus Litauen legt Fragen vor

Dieses legte dem EuGH daraufhin diverse Fragen zur Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher vor missbräuchlichen Vertragsklauseln vor, wie sie sich aus der EU-Richtlinie 93/13 ergeben. Diese betrafen insbesondere den Umfang des Erfordernisses der klaren und verständlichen Abfassung einer Klausel eines Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen. Außerdem ging es um die Folgen für den Fall, dass sich eine Vergütungsklausel als missbräuchlich herausstellt.

Eine Zeit­ho­no­rar-Klau­sel in einem Ver­trag zwi­schen einem Rechts­an­walt und einem Ver­brau­cher ist nur dann klar und ver­ständ­lich, so der EuGH, wenn dieser vor Ver­trags­ab­schluss in einer Weise in­for­miert wurde, dass er seine Ent­schei­dung mit Be­dacht und in vol­ler Kennt­nis der wirt­schaft­li­chen Fol­gen tref­fen kann. Geschieht das nicht, könne das na­tio­na­le Ge­richt die Lage wie­der­her­stel­len, in der sich der Ver­brau­cher ohne die Klau­sel be­fun­den hätte - auch wenn der An­walt dann keine Ver­gü­tung er­hal­te. Jetzt muss das litauische Gericht entscheiden, wie es mit der Klage des Rechtsanwalts auf das rechtliche Honorar umgeht.

Der EuGH führte zunächst aus, dass die Zeithonorar-Klausel den Hauptgegenstand des Vertrages betreffe und damit grundsätzlich zunächst der Überprüfung anhand der EU-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln entzogen ist. Aber: Der Vertrag müsse die Funktionsweise des Verfahrens in transparenter Weise darstellen, damit der Verbraucher in der Lage sei, die sich für ihn daraus ergebenden wirtschaftlichen Folgen auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien einzuschätzen. Denn die Transparenzkontrolle gelte auch hier. Zwar könne vom Rechtsanwalt nicht verlangt werden, dass er seinen Mandanten über die endgültigen finanziellen Folgen informiere, die von unvorhersehbaren zukünftigen Ereignissen abhängen, auf die er keinen Einfluss habe, meinen die europäischen Richter.

Welche Information benötigt der Verbraucher?

Dem Verbraucher müssten aber vor Vertragsabschluss die Informationen erteilt werden, die ihn in die Lage versetzen, seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis der finanziellen Folgen des Vertragsabschlusses zu treffen. In diesen Informationen müssten Angaben enthalten sein, anhand derer der Verbraucher die Gesamtkosten der Rechtsdienstleistungen der Größenordnung nach einzuschätzen könne. Etwa eine Schätzung der voraussichtlich oder auf jeden Fall erforderlichen Stunden oder die Verpflichtung, in angemessenen Zeitabständen Rechnungen oder regelmäßige Aufstellungen zu übermitteln, in denen die aufgewandten Arbeitsstunden ausgewiesen seien, stellen die Richter klar.

Andererseits, so der EuGH, sei die streitgegenständliche Klausel nicht bereits deshalb missbräuchlich, weil sie dem Transparenzerfordernis nicht entspreche. Es sei denn, das innerstaatliche Recht siehe dies ausdrücklich vor.

Sofern das nationale Gericht, so der EuGH weiter, im Wege einer Gesamtwürdigung die Missbräuchlichkeit der Klausel feststellt, sei es verpflichtet, die Klausel für unanwendbar zu erklären, sofern der Verbraucher dem nicht widerspricht. Könne der Vertrag nach Aufhebung der Klausel insgesamt nicht fortbestehen, sei er im Einklang mit der Richtlinie 93/13 selbst dann für nichtig zu erklären, wenn der Anwalt für seine Arbeit überhaupt kein Geld erhält. Nur für den Fall, dass die Nichtigkeit eines Vertrages für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte, dürfe das vorlegende Gericht ausnahmsweise eine missbräuchliche Klausel durch eine dispositive Vorschrift des innerstaatlichen Rechts ersetzen. Eine konkrete Vergütung selbst festsetzen, dürfe es indes nicht.

Konsequenzen für die Rechtslage in Deutschland

Was bedeutet diese Entscheidung nunmehr für in Deutschland tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte?  

Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch können Preisabreden, zu denen auch der Stundensatz und seine Höhe gehören, nur im Hinblick auf das Transparenzgebot überprüft werden, eine weitere Klauselkontrolle findet nicht statt. Grundsätzlich muss die Vereinbarung verständlich, klar und durchschaubar formuliert sein. Dazu gehört auch, dass die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen für den Kunden – hier den Mandanten als Verbraucher - so weit wie möglich erkennbar werden.

Die Ausführungen des EuGH dazu bieten nunmehr einen großen Interpretationsspielraum. Die Richter sehen durchaus, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit für viele Mandanten zunächst nicht überschaubar ist. Nimmt die Aufarbeitung eines komplizierten Sachverhalts, die Sichtung von Unterlagen und die daraus zu ziehenden Konsequenzen, viel Zeit in Anspruch und treibt somit die Anzahl der Arbeitsstunden des Anwalts in die Höhe?

Der Verbraucher kann vom Rechtsanwalt durchaus erwarten, dass dieser zumindest eine grobe Einschätzung über den erforderlichen Zeitaufwand vornimmt. Dies dürfte bei vielen Mandaten auch ohne Schwierigkeiten möglich sein. Rechtsanwälte können dabei auf Erfahrungswerte aus anderen Mandaten zurückgreifen. Darüber hinaus dürfte es dem Transparenzerfordernis entsprechen, wenn der Anwalt dem Mandanten regelmäßig eine Zwischenabrechnung vorlegt und ihm damit einhergehend erläutert, wie es weitergeht.

Ob im deutschen Recht wirklich die Konsequenz einer intransparenten Klausel ist, dass der Rechtsanwalt keine Vergütung erhält, wage ich zu bezweifeln. Wird die Stundensatzvereinbarung als unwirksam angesehen, dürften die "normalen" Gebührensätze des RVG greifen.

Künftig mehr Streit über Anwaltsrechnungen ?

Im Übrigen gibt es zu der Vereinbarung von Stundenhonoraren durchaus Alternativen: Zum einen kann ein Pauschalhonorar vereinbart werden, dass ohne weiteres dem Transparenzgebot entspricht, wenn der Umfang in der Mandatsvereinbarung festgelegt worden ist. Oder aber es wird nach dem RVG abgerechnet und dabei zur Information des Verbrauchers ein bestimmter Gegenstandswert für die Berechnung der Vergütung zugrunde gelegt. Welchen Weg der Rechtsanwalt am besten geht, sollte er mit dem Mandanten besprechen.

Das Urteil des EuGH sollte den Anwälten aber zu verstehen geben: Es kann durchaus schwierig werden, mit Verbrauchern ein Stundenhonorar ohne weitere Erläuterungen zu vereinbaren. Hier dürften in Zukunft mehr Informationen erforderlich sein. Insofern bietet die Entscheidung aus Luxemburg durchaus auch Potential für "Angriffe" von Verbrauchern in Bezug auf Anwaltshonorare, bei denen eine erhebliche Stundenzahl abgerechnet wurde.

Zitiervorschlag

EuGH zur Honorarvereinbarung: Rechtsanwälte müssen mehr als nur den Stundensatz mitteilen . In: Legal Tribune Online, 20.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50823/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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