Beschwerden in Sachsen und Thüringen: Was, wenn Anwälte im Netz hassen?

von Hasso Suliak

11.11.2019

Hate Speech durch Anwälte? Ein schriftlicher Ethikkodex für den Berufsstand existiert nicht. Gleichwohl können ungebührliche Beiträge im Internet berufsrechtliche Konsequenzen haben, selbst wenn sie privater Natur sind.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendjemand die Forderung stellt, stärker gegen den Hass im Internet, insbesondere in den sozialen Netzwerken vorzugehen. Zuletzt waren es die Justizminister der Länder, die versprachen, den Druck auf Facebook, Twitter und andere soziale Netzwerke hochzuhalten, um gegebenenfalls den Strafverfolgungsbehörden die Arbeit zu erleichtern.

Die würden zwar bereits auf Grundlage der allgemeinen Gesetze auch dann reagieren, wenn der Beleidiger oder Hetzer zufälligerweise Rechtsanwalt von Beruf ist. Aber würden dem Anwalt auch berufsrechtliche Konsequenzen drohen? "In Deutschland findet das Berufsrecht grundsätzlich nur dann Anwendung, wenn der anwaltliche Berufsträger als Rechtsanwalt handelt. Handelt er als Privatmann, gelten für ihn die allgemeinen Gesetze", sagt Christian Dahns, der als Geschäftsführer bei der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) für das Berufsrecht zuständig ist.

Berufsrechtliche Pflichten des Rechtsanwalts existieren ausschließlich in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und in der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA). Ein verbindlicher Ethikkodex, der den Anwälten unter Umständen auch Verhaltenspflichten im Netz auferlegen könnte, war bereits vor einigen Jahren in der Hauptversammlung der BRAK mit großer Mehrheit abgelehnt worden. "Diese Entscheidung war unter anderem von dem Ansatz getragen, unterhalb bzw. neben dem geschriebenen Berufsrecht keine unverbindlichen Regeln zu etablieren, die am Ende ungewollt doch in die Entscheidungen der Rechtsanwaltskammern und Gerichte einfließen könnten", erinnert sich Dahns.

"Kaum bekannte Vorschrift in der BRAO"

Ändern wird sich diese Haltung auch in Zeiten zunehmenden Hasses im Netz wohl kaum: "Ethikregeln würden die Berufsausübungsfreiheit nach Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz beschränken, ohne über die erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu verfügen", erklärt etwa Stefan Peitscher, Hauptgeschäftsführer der Rechtsanwaltskammer (RAK) Hamm auf LTO-Nachfrage.
Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) lehnt einen Kodex vehement ab: Ein solcher würde Kollegen, die ihm nicht zustimmen, Normen unterwerfen, "die keine Legitimation in unserer demokratischen Gesellschaft haben". Auch im Berufsrecht gebe es nämlich keine Rechtsgrundlage für derartige Richtlinien. Außerdem: "Was die Kundgabe von Meinungen angeht, gibt es kein spezielles für Anwälte angemessenes oder unangemessenes Verhalten", so ein Sprecher des DAV gegenüber LTO.

Dass nach Berufsrecht jegliches Verhalten der Anwälte im Internet gänzlich folgenlos bliebe, heißt das aber nicht. Die BRAK weist auf eine "kaum bekannte" Vorschrift in der BRAO hin, die den Grundsatz durchbricht, wonach für den Rechtsanwalt als Privatmann das Berufsrecht nicht gilt. So ist nach § 113 Abs. 2 BRAO ein außerhalb des Berufs liegendes Verhalten eines Rechtsanwalts, das eine rechtswidrige Tat oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung (z.B. eine Beleidigung oder eine Verleumdung) darstellt, dann eine anwaltsgerichtlich zu ahnende Pflichtverletzung, "wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen der Rechtsuchenden in einer für die Ausübung der Anwaltstätigkeit bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen."

Ahndung außerberuflichen Verhaltens hat "hohe Hürden"

In einem der BRAK bekannten Fall, mit dem sich der Anwaltsgerichtshof Niedersachsen – angesiedelt am Oberlandesgericht Celle - im September dieses Jahres zu befassen hatte, ging es um Hate Speech in sozialen Medien. Ein Anwalt hatte sich außerberuflich über eine Person beleidigend in einem offenen Facebook-Chat geäußert.

Nachdem ihn das Amtsgericht deswegen zu einer Geldstrafe verurteilt hatte, stellte das Anwaltsgericht das Verfahren gegen den Mann jedoch ein, weil es wegen der bereits verhängten Strafe wegen Beleidigung keine Erforderlichkeit für eine zusätzliche anwaltsgerichtliche Maßnahme sah (Urt.v.23. 09. 2019, Az. AGH 37/16 (I 11)). Eine solche wäre nur dann verhängt worden, wenn sie "zusätzlich erforderlich ist, um den Rechtsanwalt zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren", wie es in der BRAO heißt.

Dass das Ansehen der Rechtsanwaltschaft durch Hass postende Anwälte kaum beeinträchtigt wird, bestätigen die meisten von LTO angefragten, regionalen RAK. Schon angesichts der " vergleichsweise hohen Hürden" von § 113 Abs. 2 BRAO seien Fälle, in denen ein außerberufliches Verhalten zu einer berufsrechtlichen Ahndung führt, recht selten, sagt Peitscher.

Beschwerden in Sachsen wegen "politisch motivierter Äußerungen"

Hass-Postings durch Anwälte kommen dennoch vor. So berichtet etwa die RAK Sachsen, dass in den vergangenen zwei Jahren gegen vier Rechtsanwälte des Kammerbezirks wegen Äußerungen in den Sozialen Netzwerken oder auf der eigenen Kanzlei-Webseite Beschwerdeverfahren eingeleitet wurden. Ein Rechtsanwalt äußerte sich in abwertender Weise über die eigene Mandantschaft, wobei der Name des Mandanten nicht öffentlich genannt wurde. In drei anderen Fällen erfolgten politisch motivierte Äußerungen von Kammermitgliedern im Zusammenhang mit den Ausschreitungen in Chemnitz im Jahr 2018.

Ebenso werden aus Thüringen Beschwerden gemeldet: "Es gab im Bezirk unserer Kammer Beschwerdevorgänge, die sich auf Äußerungen von AnwältInnen in sozialen Netzwerken bezogen haben", so Jan Helge Kestel, Präsident der RAK Thüringen auf LTO-Anfrage. Allerdings, so der Anwalt, hätten die Prüfungen der Vorfälle bzw. die entsprechenden Verfahren jedenfalls "bislang" noch nicht zu Sanktionen geführt.

Zitiervorschlag

Hasso Suliak, Beschwerden in Sachsen und Thüringen: Was, wenn Anwälte im Netz hassen? . In: Legal Tribune Online, 11.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38633/ (abgerufen am: 29.04.2024 )

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