Rechtsanwälte im Bundestag: Ein bis­schen weniger Schwei­gepf­licht?

von Hasso Suliak

26.03.2021

Maskenaffäre, Aserbaidschan-Connection, dubiose Nebentätigkeiten: Für Bundestags-Abgeordnete könnten bald schärfere Verhaltensregeln gelten. Betroffen sind auch Rechtsanwälte. Bröckelt für die RA-MdBs die anwaltliche Schweigepflicht?

Während die Ermittlungen um Geschäfte von Unionsabgeordneten mit Corona-Schutzmasken immer größere Dimensionen annehmen, diskutieren die Bundestagsfraktionen von Union und SPD , welche rechtlichen Schlüsse sie daraus ziehen. Im Gespräch sind nicht nur die Hochstufung des einschlägigen Straftatbestandes der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern (§108e StGB) zum Verbrechen. Auch diverse Änderungen des Abgeordnetengesetzes sowie des Parteiengesetzes sind in der Diskussion.* In der #GroKo pocht vor allem die SPD auf eine deutliche Verschärfung der parlamentarischen Transparenzregeln. Die Genoss:innen haben einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, wonach MdBs künftig präzisere Angaben zum Umfang ihrer Nebentätigkeiten machen müssen.

Offengelegt werden soll damit, ob das Mandat immer noch im Mittelpunkt der Arbeit des MdB steht. Alle Nebeneinkünfte der Mitglieder des Bundestages sollen künftig betragsgenau ("auf Euro und Cent") veröffentlicht werden. Das bisher geltende Stufensystem bei den Nebeneinkünften, wonach sich der Grad der Offenlegungspflicht nach dem jeweiligen Gewinn bzw. Umfang der Beteiligung ergibt, soll aufgehoben werden.

Diese Regeln sollen im Prinzip auch für die zahlreichen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Bundestag gelten. Doch anders als andere Berufsgruppen gelten für sie qua ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger gewisse Ausnahmen. Damit sie ihre anwaltliche Schweigepflicht nach § 43a Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) nicht verletzen, dürfen sie, anders als andere Berufsgruppen, ihre Vertragsverhältnisse mit Mandanten nicht offenlegen.

Nach § 1 Absatz 5 der geltenden Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages umfasst die Anzeigepflicht gegenüber dem Bundestagspräsidenten daher "nicht die Mitteilung von Tatsachen über Dritte, für die der Abgeordnete gesetzliche Zeugnisverweigerungsrechte oder Verschwiegenheitspflichten geltend machen kann". Auf die grundsätzlich in den Verhaltensregeln vorgesehene Möglichkeit, statt der Angaben zum Auftraggeber eine Branchenbezeichnung anzugeben ist, hat der Bundestagspräsident bislang verzichtet.

Wenigstens die Branche nennen

Geht es nach SPD und Linke, soll sich das künftig ändern. Im SPD-Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass statt des Namens wenigstens die Branche anzugeben ist, in der der Mandant bzw. Vertragspartner tätig ist.

Auch die Linke hat einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht, der dort am Freitag debattiert wurde. Linken-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali sagte zu LTO: "Wir sind uns des Spannungsverhältnisses zwischen Transparenz und zu wahrendem Berufsgeheimnis bewusst. Wir wollen es so auflösen, dass für Abgeordnete, die eine Nebentätigkeit als Rechtsanwält:innen ausüben, die Anzeigepflicht so zu erfüllen ist, dass statt der Angaben zum Auftraggeber eine Branchenbezeichnung anzugeben ist."

Auch wenn der Vorschlag mit dem der SPD weitgehend identisch ist, im Gesetzentwurf der Sozialdemokraten darf auf die Nennung der Branche dann verzichtet werden, "wenn der Abgeordnete erklärt, dass der Mandant bzw. Vertragspartner durch die Branchenangabe identifizierbar wäre, z.B., wenn im Wahlkreis des Abgeordneten nur ein eingeschränkter Personenkreis in einer bestimmten Branche tätig ist." Linken-Fraktionsvorsitzende Mohamed-Ali mit dem SPD-Vorschlag kein grundsätzliches Problem, gibt aber zu bedenken: "Entscheidend wäre aus unserer Sicht, was das MdB dann hierfür darlegen muss. Eine bloße unsubstantiierte (Schutz-) Behauptung des MdB darf nicht ausreichen."

Auch bei Mitgliedern anderer Oppositionsfraktionen stößt der Vorschlag von SPD und Linken auf Zustimmung: Die rechtspolitische Sprecherin und Rechtsanwältin Katja Keul von den Grünen hält ihn ebenso wie AfD-MdB und Rechtsanwalt Christian Wirth für einen "gangbaren Weg". Und auch die Organisation Lobby-Control konstatiert: "Bei Anwälten kann und soll der Mandantenschutz nicht aufgehoben werden, die Anzeige der Branche wäre aber wichtig", sagt Timo Lange.

Bundestags-Vizepräsident Kubicki: "Unausgegorener Vorschlag"

Etwas uneinheitlicher ist die Position hierzu in der FDP-Fraktion. Ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsführer und Rechtsanwalt Dr. Marco Buschmann sagt gegenüber LTO, dass er sich "persönlich" eine solche Regel vorstellen könne, soweit dabei das Mandatsgeheimnis angemessen gewahrt bleibe. Auch seine Parteifreundin, Rechtspolitikerin und Anwältin Katharina Willkomm pflichtet ihm bei: "Der Vorschlag scheint praktikabel zu sein. Man kann seiner Tätigkeit als Anwalt nachgehen, das Mandantengeheimnis bewahren und dennoch Transparenz zeigen. Es kommt ja vor allem darauf an, dass die Mitmenschen sehen, wie viel man aus anderen Tätigkeiten erhält."

Dagegen regelrecht ungehalten reagiert FDP-Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki, der ebenfalls nebenher Rechtsanwalt ist, auf die Vorschläge von SPD und Linken "Welche Branche soll ein Strafverteidiger angeben und welchen Mehrwert hat diese Information? Vor allen Dingen, wenn überhaupt nicht klar wird, worum es eigentlich in der Sache geht? Ehescheidung? Verkehrsunfall, Steuergestaltung oder Baugenehmigung? Ein unausgegorener Vorschlag, der verdeutlicht, dass auch in der SPD-Fraktion nicht mehr ausreichend eigener praktischer Sachverstand vorhanden ist."

Der Bundestags-Vize hält die geltenden Regeln in diesem Kontext "für richtig und ausreichend": Niemand könne wollen, so Kubicki, "dass die Ausübung des Berufes - und zwar egal welches Berufes - neben dem Abgeordnetenmandat so unattraktiv wird, dass sich am Ende nur noch Angehörige des öffentlichen Dienstes oder abgebrochene Studierende dazu entschließen, politische Verantwortung im Parlament zu übernehmen. Ein "gläsernes Parlament" sei kein erstrebenswertes Ziel.

Anwaltsverbände pochen auf Mandatsgeheimnis

Kubickis Bedenken sind Wasser auf die Mühlen der Anwaltsverbände. Denn diese sind nach Bekanntwerden der Vorschläge von SPD und Linken in Alarmbereitschaft.  Die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Dr. Sylvia Ruge, erteilt dem Vorschlag einer Branchennennung eine klare Absage. Ruge verweist auf das Berufsgeheimnis der Anwaltschaft und merkt an, dass die Geheimnisse des Mandanten sogar strafrechtlich geschützt seien.

Auch die Einschränkung, wie sie die SPD in ihrem Gesetzentwurf zu Gunsten der Anwält:innen vorsieht, macht der DAV nicht mit: "Auch das ist kein gangbarer Weg", sagt Ruge. Denn die Erklärung des MdB könne in bestimmten Fällen gleichwohl "Rückschlüsse auf Mandatsbeziehungen" zulassen. "Das Mandatsgeheimnis bleibt absolut. Auch Abmilderungen bei den Plänen bergen die Gefahr der schleichenden Aushöhlung des Geheimnisses", warnt Ruge. Die BRAK will sich zu dem Vorschlag nicht näher äußern, eine Sprecherin der Kammer stellt aber auch klar: "Der uneingeschränkte Erhalt der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht ist aus Sicht der BRAK jedenfalls von größter Wichtigkeit."

Ebenfalls Ablehnung kommt aus der Fraktion, deren Abgeordnete in den letzten Wochen am meisten in Bedrängnis geraten sind, aus der Union: "Eine Branchenlösung birgt die Gefahr, dass letztlich das Mandat selbst offengelegt wird", gibt etwa Unionsfraktions-Vize Thorsten Frei gegenüber LTO zu bedenken. Die Vorsitzende des BT-Innenausschusses, CSU-MdB und Rechtsanwältin Andrea Lindholz ist der Meinung, dass sich das Spannungsverhältnis zwischen Berufsgeheimnis und Transparenz am besten auflösen ließe, "indem gewerbsmäßige Nebentätigkeiten strikt begrenzt und bei parlamentarischen Führungspositionen vollständig ausgeschlossen werden".

Bald keine Anwälte mehr im Unions-Fraktionsvorstand?

Lindholz bezieht sich dabei offenbar auf Eckpunkte für einen Verhaltenskodex, der derzeit in der Unionsfraktion diskutiert wird und der LTO vorliegt. Danach soll künftig allen Mandatsträgern in der Union, die über ein Spitzenamt in der Fraktion verfügen (Fraktionsvorsitzende und ihre Stellvertretungen, parlamentarische Geschäftsführer, Justiziar), jegliche entgeltliche Nebentätigkeiten sanktionsbewehrt untersagt sein.

Allerdings: Die sieben Rechtsanwälte, die das in der CDU/CSU-Fraktionsvorstandaktuell betrifft, bekommen dann ein ganz anderes Problem: Denn wenn ein Anwalt oder eine Anwältindaran gehindert wird, ihren Anwaltsberuf auszuüben, steht für sie die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft auf dem Spiel.

DAV-Berufsrechtler Markus Hartung erläutert: "Wenn jemand wegen parlamentarischer Pflichten über das bloße Abgeordnetenmandat hinaus zeitlich gar nicht in der Lage ist, den Anwaltsberuf auszuüben, dann könnte die Rechtsprechung des BGH zum Feierabendanwalt in Betracht kommen - denn ein Anwalt muss in der Lage sein, seinen Beruf tatsächlich ausüben zu können. Geht das nicht, muss er die Anwaltszulassung zurückgeben."

Auch der Geschäftsführer der RAK Köln, Martin W. Huff, hat Bedenken: "Grundsätzlich muss ein zugelassener Rechtsanwalt jederzeit die Möglichkeit haben, als Rechtsanwalt zu arbeiten, auch wenn er in anderem Zusammenhang tätig ist. Wenn ein Abgeordneter verpflichtet sei, keine entgeltliche Anwaltstätigkeit mehr auszuüben, dann müsste er eigentlich – ggf. analog – nach § 47 Abs. 2 BRAO das Ruhen seiner Zulassung für die Dauer des Mandats beantragen."

Das, so Huff, bedeute dann, dass die Anwaltstätigkeit nicht ausgeübt werden dürfe und auf diese Tatsache auch im bundeseinheitlichen Anwaltsverzeichnis, auf Briefbögen und auf der Homepage des MdB hingewiesen werden müsse.

*Hinweis der Redaktion: Nach Erscheinen des Artikels wurde eine Einigung der Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD auf Eckpunkte bekannt: U.a. soll § 108e StGB reformiert werden. Außerdem sollen anzeigepflichtige Einkünfte von MdBs ab 1.000 Euro aus Nebentätigkeiten und Unternehmensbeteiligungen künftig betragsgenau (auf Euro und Cent) veröffentlicht werden. Auch soll der "Missbrauch der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag zu geschäftlichen Zwecken" sanktioniert werden. Einzelheiten zum Umgang mit Berufsgeheimnisträger:innen enthalten die Eckpunkte nicht (26.03.2021, 13.18 Uhr).

Zitiervorschlag

Rechtsanwälte im Bundestag: Ein bisschen weniger Schweigepflicht? . In: Legal Tribune Online, 26.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44598/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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