U.S. Supreme Court zu Trumps Travel Ban: Nur mit Vor­sicht über­prüft

Gastbeitrag von Dipl.-Jur. Desirée C. Schmitt, LL.M.

28.06.2018

Kein Verstoß gegen die U.S.-Verfassung: Wie das Gericht zu seiner Entscheidung gelangte, was die abweichenden Voten sagen und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind, analysiert Desirée C. Schmitt.

Es ist bereits der dritte Versuch, die Einreise in die USA aus Gründen der "nationalen Sicherheit" einzuschränken. In seiner Präsidialverfügung zum sogenannten Travel Ban ordnete Trump eine dauerhafte, teilweise vollumfängliche, teilweise begrenzte Einreisesperre für Staatsangehörige aus insgesamt acht Staaten an: Tschad, Iran, Libyen, Nordkorea, Syrien, Venezuela, Jemen und Somalia.

Der U.S. Supreme Court hat sich mit seiner Entscheidung nun von denjenigen der unterinstanzlichen Gerichte im einstweiligen Rechtsschutz abgewandt. Das oberste Gericht entschied, dass der Travel Ban sowohl von der Kompetenz des Präsidenten im Einwanderungsrecht umfasst ist, als auch mit der Religionsfreiheit der U.S.-Verfassung im Einklang steht.

Travel Ban ist von der Kompetenz des Präsidenten gedeckt

Das Einreiseverbot ist laut U.S. Supreme Court von der Kompetenz des Präsidenten nach 8 U.S.C. § 1182(f) gedeckt. Diese Bestimmung des Immigration and Nationality Act ermächtigt den Präsidenten, die Einreise von allen Ausländern oder von Gruppen von Ausländern als Einwanderer oder Nichteinwanderer zu suspendieren oder deren Einreise mit solchen Beschränkungen zu versehen, die ihm angemessen erscheinen. Der Präsident muss dafür zu dem Schluss gelangen, dass die Einreise den Interessen der USA schadet.

Das oberste Gericht betonte, dass es nur annehme, diese breite Kompetenz des Präsidenten überhaupt überprüfen zu können. Jedenfalls habe der Präsident hinreichend dargelegt, dass seine Entscheidung auf konkreten Sicherheitsbedenken beruhe und damit zum Schutze der Interessen der USA ergangen sei.

An das Diskriminierungsverbot des 8 U.S.C. § 1152(a)(1)(A) ist der Präsident bei einer solchen Verfügung dem U.S. Supreme Court zufolge nicht gebunden. Diese Vorschrift sei nur dann einschlägig, wenn es um die Vergabe von Visa zum Zwecke der Einwanderung gehe. Hier gehe es jedoch nicht um Visa-Entscheidungen, sondern um die vorgelagerte Festlegung, wann Einwanderung generell zulässig sei.

Keine Verletzung der Religionsfreiheit

Nach Ansicht des U.S. Supreme Court verstößt die Proklamation auch nicht gegen die Religionsfreiheit. Die Kläger hatten vorgebracht, dass der Travel Ban unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit in Wahrheit Muslime diskriminiere und damit der staatlichen Neutralitätspflicht der "Establishment Clause" zuwiderlaufe. Aufgrund der Äußerungen von Präsident Trump im Vorwahlkampf (Stichwort "Muslim Ban") und auch nach Amtseinführung lag dieser Verdacht nahe, da vor allem Staatsangehörige von mehrheitlich muslimischen Staaten von dem Einreiseverbot betroffen sind.

Auch hier machte das oberste Gericht zunächst deutlich, dass es nur annehme, den Exekutivakt auf seine Vereinbarkeit mit dem Ersten Zusatzartikel zur U.S.-Verfassung überprüfen zu können. Eine solche Kontrolle könne im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten und nationaler Sicherheit nach gesicherter Rechtsprechung ohnehin nur von oberflächlicher Natur sein, bedingt wird das durch einen weicheren Prüfungsmaßstab. Deshalb gehe das Gericht nicht darauf ein, welche Aussagen des Präsidenten – vor oder nach Amtseinführung – Berücksichtigung finden könnten. Die Maßnahme selbst sei neutral und plausibel formuliert, ein dahinter stehender Vorsatz sei irrelevant.

Kontrolle nur anhand des mildesten Prüfungsmaßstabs

"Hypothetisch" nahm das Gericht eine Überprüfung nach diesem mildesten Überprüfungsstandard, dem sogenannten rational basis-Test, vor. Eingriffe in Verfassungsrechte sind hiernach gerechtfertigt, "[when] the entry policy is plausibly related to the Government’s stated objective to protect the country and improve vetting processes."  Frei übersetzt bedeutet dies, dass die Einreisepolitik in einem plausiblen Zusammenhang mit dem Ziel der Regierung stehen muss, den Staat zu schützen und die Sicherheitsüberprüfungen zu verbessern. Da die Regierung dargelegt habe, dass die Staatenauswahl anhand einer Sicherheitsbewertung erfolgte, wurde die Verbindung zwischen dem Einreiseverbot und dem Ziel des Schutzes der nationalen Sicherheit nach Ansicht des U.S. Supreme Court plausibel hergestellt. Ob die Maßnahme auch tatsächlich effektiv sei, müsse die Exekutive entscheiden. Ihre dahingehende Bewertung könne nicht durch eine solche des Gerichts ersetzt werden.

Der U.S. Supreme Court hob aus diesen Gründen die einstweilige Anordnung des Hawaiianischen Gerichts auf und verwies den Fall zur endgültigen Entscheidung zurück. Dieses wird nunmehr eine einstweilige Anordnung ablehnen müssen, da die Erfolgsaussichten in der Hauptsache unter Berücksichtigung des Urteils des U.S. Supreme Court auf null gesunken sind.

Das geteilte Gericht

Die Bruchlinie zwischen den beiden Lagern von Mehrheit und Minderheit entsprach dabei auch der zwischen konservativen und liberalen Richtern am Gerichtshof. Der moderat-konservative Richter Kennedy stimmte dem Ergebnis des Urteils zu, machte jedoch deutlich, dass selbst bei einer eingeschränkten oder gar ausgeschlossenen gerichtlichen Überprüfbarkeit eine Verpflichtung besteht, die Verfassung zu wahren. "An anxious world must know that our Government remains committed always to the liberties the Constitution seeks to preserve and protect, so that freedom extends outward, and lasts."

Auch Richter Thomas, ebenfalls aus dem konservativen Lager, schrieb ein zustimmendes Votum. Er kritisierte den Umstand, dass die einstweiligen Anordnungen der unterinstanzlichen Gerichte bundesweit erstreckt wurden, also über die einzelnen anhängigen Fälle hinaus die Implementierung der Exekutivmaßnahme insgesamt gestoppt wurde. Richter Thomas stellte die Kompetenz der Gerichte hierzu in Frage und warnte vor einer ausufernden Praxis.

Das übliche Gespann der liberalen Richter und Richterinnen Breyer, Kagan, Sotomayor und Ginsburg votierten gegen die fünf konservativen Richter. Breyer und Kagan untersuchten die individuellen Ausnahmemöglichkeiten ("Waiver") vom Travel Ban. Diese würden Aufschluss darüber geben, ob der Exekutivakt Böswilligkeit ("animus") gegenüber Muslimen hege oder nicht. Da in der Praxis nicht von den Waiver-Möglichkeiten Gebrauch gemacht wurde, liege eine diskriminierende Absicht nahe, die das Berufen auf die nationale Sicherheit und demnach die Kompetenz des 8 U.S.C. § 1182(f) ausschließen würde.

Die Richterinnen Sotomayor und Ginsburg verfassten ebenfalls ein abweichendes Votum, in dem sie – als einzige – eine Verletzung der Religionsfreiheit des Ersten Zusatzartikels zur U.S.-Verfassung bejahten. Sie stützten sich hierbei auf die Äußerungen Trumps sowie die Geschehnisse rund um die Travel Bans Nr. 1 bis 3. Die Berufung auf den Schutz der nationalen Sicherheit sei nur eine "Umverpackung", die nicht über den tatsächlich diskriminierenden Charakter hinwegtäuschen könne:

"The Court’s decision today fails to safeguard that fundamental principle. It leaves undisturbed a policy first advertised openly and unequivocally as a "total and complete shutdown of Muslims entering the United States” because the policy now masquerades behind a façade of national-security concerns. But this repackaging does little to cleanse Presidential Proclamation No. 9645 of the appearance of discrimination that the President’s words have created."

Vorsichtige Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen

Besonders behutsam ging der U.S. Supreme Court mit der Frage um, ob der Exekutiverlass überhaupt gerichtlich überprüfbar sei und falls ja, anhand welchen Überprüfungsmaßstabs. Letztlich hat das Gericht die Frage nicht endgültig entschieden. Damit hat er sich eine flexible Handhabung für zukünftige Fallkonstellationen geschaffen. Eine Hintertür hat sich das Gericht dadurch offen gelassen, dass es verstärkt auf die – umstrittene – neutrale Formulierung der Maßnahme und die Darlegung der Sicherheitsbedenken abstellte. Ist eine Diskriminierung bereits bei einem ersten Blick auf den Wortlaut der Anordnung ersichtlich, könnte das Gericht das nächste Mal anders entscheiden.

Zudem hat der U.S. Supreme Court einen weiteren schwelenden Streit beendet. Bislang war zumindest höchstgerichtlich noch nicht eindeutig entschieden, ob die Familienangehörigen in den USA, die sogenannten Sponsoren, eine Verfassungsverletzung geltend machen können, wenn ihre im Ausland lebenden Familienmitglieder an der Einreise oder Einwanderung gehindert werden. Angemerkt sei, dass den Einreisewilligen selbst keine Verfassungsrechte zustehen, weil sie sich außerhalb des U.S.-Territoriums befinden. Auch der Zugang zu den Gerichten ist ihnen versperrt, weshalb die Rolle der Sponsoren ausschlaggebend ist. Der U.S. Supreme Court hat nunmehr entschieden, dass den Sponsoren in den USA eine Klagebefugnis aufgrund ihres Interesses, mit den Familienangehörigen wiedervereint zu sein, zusteht.

Warnung an Trump, besänftigende Wort für den Rest der Welt

Das oberste Gericht übte darüber hinaus einen Begründungsdruck aus. Die Regierung wurde nicht nur vor dem U.S. Supreme Court zu einer nähergehenden Begründung ihrer Maßnahme gezwungen. Dies ermöglicht es den Gerichten, ihre Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive – unter Beachtung des weiten Gestaltungsspielraums in auswärtigen Angelegenheiten – wahrzunehmen. Dabei war ein anderes Ergebnis unter Zugrundelegung einschlägiger Rechtsprechung durchaus denkbar gewesen. Denn das Case Law des U.S. Supreme Court sieht Besonderheiten für die Überprüfung von Einwanderungsgesetzen des Kongresses (Fiallo v. Bell) sowie von Visumentscheidungen des Konsularbeamten (Kleindienst v. Mandel) vor. Auch wenn das oberste Gericht eine Überprüfung vorliegend nur "hypothetisch" vorgenommen hat, so deutet dies zumindest in die Richtung der Überprüfbarkeit des präsidialen Handelns in Einwanderungsangelegenheiten.

Besonders fällt dabei die Wortwahl von Richter Kennedy auf. Sie klingt sowohl nach einer Warnung an Präsident Trump, als auch nach einer Besänftigung für den Rest der Welt: Wir nehmen unsere Rolle als Hüter der Verfassung ernst. Dies sollte auch bei dem Vorbringen der nationalen Sicherheit gelten. Denn das Argument der nationalen Sicherheit ist kein Talisman, den man unbegrenzt einsetzen kann. "Although national security is unquestionably an issue of paramount public importance, it is not "a talisman” that the Government can use "to ward off inconvenient claims—a ‘label’ used to ‘cover a multitude of sins."
Justice Kennedy hat am Mittwoch angekündigt, dass er in Ruhestand gehen wird. Seine Entscheidung wird die politische Zusammensetzung des Supreme Court neu ordnen.

Dipl.-Jur. Desirée C. Schmitt, LL.M. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg.

Zitiervorschlag

Dipl.-Jur. Desirée C. Schmitt, LL.M., U.S. Supreme Court zu Trumps Travel Ban: Nur mit Vorsicht überprüft . In: Legal Tribune Online, 28.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29437/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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