Keine Stilllegung systemrelevanter Kraftwerke: Die Energiewende ist teuer

Während der Ökostrom auf dem Vormarsch ist, wird die Produktion von Strom aus konventionellen Brennstoffen zunehmend unrentabel. Neue Kraftwerke werden kaum mehr errichtet, alte abgeschaltet. Das könnte gerade im Winter dazu führen, dass mancherorts die Lichter ausgehen. Notfalls muss daher der Gesetzgeber den Energieunternehmen verbieten, Kraftwerke abzuschalten, meint Volker Boehme-Neßler.

Der Energieversorger Eon wird in den nächsten Jahren keine neuen Kohle- oder Gaskraftwerke bauen. Eine ähnliche Strategie verfolgt RWE. Der Grund dafür ist einfach: Der subventionierte Ökostrom macht es schwieriger, mit fossilen Kraftwerken Geld zu verdienen. Jetzt gehen die Energieriesen noch einen Schritt weiter: Sie wollen konventionelle Kraftwerke sogar stilllegen, wenn sie Verluste machen. Das sorgt für Unruhe: Wie soll die Stromversorgung sichergestellt werden, wenn systemrelevante, aber unrentable Kraftwerke abgeschaltet werden?

Die Energiewende verlangt einen schwierigen Balanceakt. Die Produktion von Strom aus fossilen Brennstoffen wird heruntergefahren. Gleichzeitig muss immer mehr Elektrizität aus erneuerbaren Ressourcen gewonnen werden. Beide Prozesse müssen miteinander eng synchronisiert sein. Nur dann lässt sich gewährleisten, dass immer genügend Strom zur Verfügung steht. Die Bundesregierung bereitet deshalb Regelungen vor, mit denen sie die Versorgungssicherheit jederzeit sicherstellen will.

BMWi: "Versorgung mit Energie hat absolute Priorität"

Wenn ein Unternehmen ein Kraftwerk stilllegen will, muss es dies der Bundesnetzagentur ein Jahr vorher melden. Der Sinn dieser Meldepflicht ist eindeutig: Bundesnetzagentur und Netzbetreiber sollen ausreichend Planungssicherheit bekommen. Nur dann können sie entsprechend reagieren und die Stromversorgung sichern.

Wenn besonders wichtige – systemrelevante – Kraftwerke abgeschaltet werden, lässt sich das jedoch trotz einer längeren Vorwarnzeit möglicherweise nicht kompensieren. Dann – so die aktuelle Idee des Wirtschaftsministeriums – soll der Staat verhindern können, dass  ein Kraftwerk stillgelegt wird. Es müsste als Notfallreserve betriebsbereit gehalten werden. Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) bringt es auf den Punkt: "Die sichere Versorgung mit Energie hat für das Wirtschaftsministerium absolute Priorität."

Aus Sicht des Gemeinwohls ist das eine gute Idee, um Versorgungsengpässe notfalls effektiv zu verhindern. Kraftwerksbetreiber sind dagegen weniger begeistert: Sie werden gezwungen, verlustbringende Kraftwerke gegen ihren Willen weiter zu betreiben. Das ist verfassungsrechtlich gesprochen ein Eingriff in ihr Eigentum. Art. 14 Abs. 3 S. 2 Grundgesetz erlaubt das nur, wenn ein Gesetz eine angemessene Entschädigung dafür vorsieht.

80 bis 287 Millionen Euro für erzwungenen Kraftwerksbetrieb

Wann eine Entschädigung angemessen ist, ist ein ständiges Streitthema vor den Gerichten. Die Rechtsprechung zu dieser Frage ist uferlos.

Allerdings sind die Juristen sich in einem einig: Die Entschädigung muss kein voller Schadensersatzsein. Sie darf aber andererseits keine bloß symbolische Zahlung sein. Zwischen diesen beiden Extremen muss der Gesetzgeber abwägen und einen gerechten Ausgleich von Allgemeinwohl und Eigentümerinteresse finden.

Dieser verfassungsrechtlichen Richtschnur trägt der Gesetzentwurf Rechnung. Er enthält eine eindeutige Entschädigungsklausel: Wird die Stilllegung eines unrentablen Kraftwerks durch den Staat verboten, wird der Betreiber dafür entschädigt. Wie hoch die Kosten in solchen Fällen sein werden, lässt sich nur sehr grob schätzen. Die bisher genannten Summen bewegen sich zwischen 80 und 287 Millionen Euro.

Faire Lastenverteilung ist ureigene Aufgabe des Parlaments

Die betroffenen Energieunternehmen haben Widerstand angekündigt. Sie befürchten, nicht angemessen entschädigt zu werden. Während die Bundesregierung das Gesetzesvorhaben vorantreibt, laufen parallel Gespräche mit der Energiewirtschaft. Das Ziel: eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft, systemrelevante Kraftwerke nicht stillzulegen. Das hätte für beide Seiten Vorteile. Die Industrie könnte den Inhalt der Verpflichtung und die Höhe der Entschädigung beeinflussen. Der Staat würde sich langwierige und komplizierte juristische Auseinandersetzungen sparen.

Die Erfahrungen mit Selbstverpflichtungen der Wirtschaft sind gerade im Umweltrecht allerdings zwiespältig. Das Debakel um die Mehrweg-Verpackungen bei Getränken ist noch in schlechter Erinnerung. Ende des letzten Jahrtausends hatte sich die Getränkeindustrie freiwillig verpflichtet, einen bestimmten Anteil an Pfandflaschen auf den Markt zu bringen. Nachdem die Hersteller ihre Verpflichtung mehrfach verletzt hatten, führte die Regierung 2003 das Dosenpfand ein. Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, dass eine gesetzliche Regelung über kurz oder lang kommen wird.

Die Energiewende ist teuer. Der Gesetzgeber muss politisch dafür sorgen, die Kosten einigermaßen gerecht zu verteilen. Das ist aber nichts Neues: Eine faire Lastenverteilung – das ist in einer Demokratie schon immer die ureigene Aufgabe des Parlaments gewesen.

Der Autor Prof. Dr. jur. habil. Dr. rer. pol. Volker Boehme-Neßler lehrt unter anderem Staats- und Verfassungsrecht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.

Zitiervorschlag

Volker Boehme-Neßler, Keine Stilllegung systemrelevanter Kraftwerke: Die Energiewende ist teuer . In: Legal Tribune Online, 25.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7169/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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