Grundrechtsklage vor dem Staatsgerichtshof: "Wir wollen keine nutzlosen Beschwerden"

Interview mit Eberhard Stilz

01.04.2013

Ab dem 1. April kann man sich auch in Baden-Württemberg mit einer Landesverfassungsbeschwerde an den Staatsgerichtshof wenden. Im LTO-Interview erklärt dessen Präsident Eberhard Stilz, welche Anliegen Bürger künftig zu ihm und seinen Kollegen statt nach Karlsruhe tragen können  und warum es für sein Gericht die Mutwillensgebühr geben wird, die sich BVerfG-Präsident Andreas Voßkuhle so sehr wünscht.

LTO: Warum hat Baden-Württemberg nun eine Landesverfassungsbeschwerde eingeführt? Als Bürger könnte man sich doch genauso gut direkt an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wenden?

Stilz: Der Landesgesetzgeber hat sich entschlossen, seine eigene Verfassung ernst zu nehmen und deren Garantie gegenüber dem Bürger nicht länger einem Organ des Bundes zu überlassen.

LTO: Gab es bisher eine Rechtsschutzlücke? Gibt es also Grundrechts-Anliegen, die Bürger nun vor den Staatsgerichtshof bringen können, aber nicht vor das BVerfG?

Stilz: Das BVerfG kann auch Akte der öffentlichen Hand des Landes nur am Maßstab des Grundgesetzes (GG) messen. Zwar hat das Land die Grundrechte auch zum Bestandteil der Landesverfassung gemacht; als solche sind sie aber Landesrecht. Die Landesverfassung enthält außerdem eigene Rechte und staatbürgerliche Zusicherungen. Zudem sind dem Bundesrecht vergleichbare Rechte teilweise mit abweichendem Wortlaut versehen oder in einen anderen Zusammenhang gestellt.

LTO: Zum Beispiel?

Foto: Eberhard StilzStilz: Nehmen Sie nur Art. 1 Abs. 1 unserer Landesverfassung, der substantiell anders als das Grundgesetz formuliert: "Der Mensch ist berufen, in der ihn umgebenden Gemeinschaft seine Gaben in Freiheit und in der Erfüllung des christlichen Sittengesetzes zu seinem und der anderen Wohl zu entfalten."

In Art. 2 Abs. 2 heißt es: "Das Volk von Baden Württemberg bekennt sich darüber hinaus zu dem unveräußerlichen Menschenrecht auf die Heimat."

Sehr eigenständig und detailliert sind etwa auch der Abschnitt II über Religion uns Religionsgemeinschaften sowie der Abschnitt II über Erziehung und Unterricht unserer Landesverfassung.

LTO: Sie hatten es eben bereits angedeutet: Anders als andere Landesverfassungen hat die baden-württembergische keinen eigenen ausführlichen Grundrechtsteil, sondern verweist auf das GG. Macht es da überhaupt Sinn, eine Landesverfassungsbeschwerde einzuführen?

Stilz: Die baden-württembergische Verfassung verweist nicht nur auf das GG, sondern macht sich dessen Grundrechte als Landesrecht zu eigen. Das ist ein wichtiger Unterschied. Die Formulierung in Art. 2 Abs. 1 lautet: "Die im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland festgelegten Grundrechte und staatsbürgerlichen Rechte sind Bestandteil dieser Verfassung und unmittelbar geltendes Recht."

"Unser Maßstab ist ausschließlich die Landesverfassung"

LTO: Was kann Gegenstand einer Landesverfassungsbeschwerde sein?

Stilz: Alle Akte der öffentlichen Gewalt des Landes, also beispielsweise Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen, aber grundsätzlich auch Rechtssätze, also etwa Gesetze und Rechtsverordnungen. Eine Verfassungsbeschwerde ist aber, genauso wie auch vor dem Bundesverfassungsgericht, stets an weitere Voraussetzungen geknüpft. Der Rechtsweg muss erschöpft sein; das heißt, der Bürger muss zunächst die normalen Zivil-, Straf- oder Verwaltungsgerichte bemühen. Zudem muss er von der Maßnahme selbst und unmittelbar betroffen sein. Deshalb kann er gegen ein Gesetz nur dann Verfassungsbeschwerde einlegen, wenn ihn dieses, ohne dass es eines Umsetzungsakts bedarf, in seinen Grundrechten betrifft. Ein Gastwirt ist beispielsweise von dem Nichtraucherschutzgesetz betroffen.

LTO: Und was ist der Maßstab des Staatsgerichtshofs?

Stilz: Ausschließlich die Landesverfassung, während Maßstab für das Bundesverfassungsgericht nur das GG ist.

Zitiervorschlag

Eberhard Stilz, Grundrechtsklage vor dem Staatsgerichtshof: "Wir wollen keine nutzlosen Beschwerden" . In: Legal Tribune Online, 01.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8433/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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