Interview zum Mietgerichtstag in Dortmund: "Anwälte können vom Miet­recht allein nicht mehr leben"

Interview von Hasso Suliak

15.09.2020

Mietrechtlern bereitet die Qualität der anwaltlichen Beratung zunehmend Sorgen. Der Grund: Für Spezialisten im Wohnraummietrecht ist der Job nicht mehr auskömmlich. Mietgerichtstag-Vorsitzender Markus Artz appelliert, die Vergütung anzuheben.

LTO: Herr Professor Artz, der 22.Mietgerichtstag (MGT) ist wegen Corona verlegt worden und fand nun teils als Präsenzveranstaltung, teils als virtuelle Tagung im Netz statt. Waren Sie zufrieden mit dem neuen, hybriden Format?

Prof. Dr. Markus Artz:  Absolut, wir haben insgesamt rund 300 Teilnehmer in Westfalenhalle und Internet erreicht. Alles hat gut funktioniert und wir überlegen jetzt sogar, ob wir auch nach der Pandemie auf künftigen MGT in Dortmund und insbesondere bei unseren Herbstveranstaltungen die Tagungen so organisieren. Denn: Die Diskussionen sind fruchtbarer, es hat sich gezeigt, dass in einem Chat viele Menschen weniger Hemmungen haben, eine Frage zu stellen als wenn sie in einem vollen Saal aufstehen und an das Mikrofon gehen müssen.

Der 22. MGT stand auch inhaltlich im Schatten von Corona. Wie sehr hält die Coronakrise die Mietrechtler auf Trab?

(c) Prof. Dr. Markus ArtzSchon. Vor allem die auf Gewerbemietrecht spezialisierten Anwälte hatten und haben viel zu tun. Der Fall Adidas hatte ja seinerzeit für entsprechende Schlagzeilen gesorgt:  Welche Rechte haben  Gewerbetreibende im Falle von Einnahmeausfällen infolge von Betriebsschließungen?

Eine Rechtsfrage beschäftigt die Anwälte in diesem Kontext offenbar immer wieder: Darf ein Gewerbetreibender die Miete mindern, sei es wegen eines Mangels oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, obwohl der Gesetzgeber in der Coronakrise ein besonderes Gesetz erlassen hat, das explizit nur eine Kündigung durch den Vermieter ausschließt? 

Vermieter stellen sich wohl immer wieder auf den Standpunkt, der Gesetzgeber habe nur den ausdrücklich genannten Kündigungsausschluss geregelt und damit eine abschließende Regelung getroffen. Dass diese Rechtsauffassung aber nicht haltbar ist, hat der MGT klar herausgestellt. Nicht zuletzt gibt es inzwischen hierzu auch eine veröffentlichte, sehr hilfreiche Mitteilung des BMJV. Danach schließt jedenfalls das COVID-Gesetz für die betroffenen Gewebetreibenden nicht das Recht aus, ihre Miete wegen der sie beeinträchtigenden Corona-Maßnahmen zu mindern. Ob sie das erfolgreich können, ist natürlich eine andere Frage.

"Legal Tech verschärft für die Anwälte die Lage"

Auf das Wohnraummietrecht spezialisierte Anwälte drückt an anderer Stelle der Schuh, richtig?

Wir beobachten seit einiger Zeit und zunehmend, dass Anwälte im Wohnraummietrecht von ihrer Arbeit allein in diesem Rechtsgebiet nicht mehr leben können. Ihre mangelhafte Vergütung macht uns große Sorgen, weil damit letztlich auch die Qualität der Rechtsberatung auf dem Spiel steht – eine Situation, die übrigens Legal Tech noch verschärfen könnte.

Inwiefern?

Nun, wenn künftig Legal-Tech-Anbieter mithilfe ihrer Algorithmen die Standardfälle bearbeiten können, werden sich viele Menschen fragen: "Wozu brauche ich noch einen Anwalt?" Dabei geht es nicht etwa um eine fundamentale Kritik an den Legal-Tech-Betreibern, sondern um ein strukturelles Problem der Anwaltsvergütung. Um dieser - durchaus dramatischen - Entwicklung Einhalt zu gebieten, werden wir als MGT nun erstmals an den Gesetzgeber, die Kammern und den Deutschen Anwaltverein herantreten, damit auch in Zukunft in Deutschland eine qualitativ hochwertige Mietrechtsberatung gewährleistet werden kann. Wir hoffen, dass wir im Rahmen der anstehenden Gebührenreform noch etwas bewirken können.

Mietendeckel "kontrovers diskutiert"

Politisches Aufreger-Thema des Mietrechts ist der Mietendeckel, wie er in Berlin beschlossen wurde. Mit Spannung werden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erwartet, zuletzt hatte ein Urteil aus Bayern für Aufsehen gesorgt. Auch auf ihrer Tagung wurde das Thema diskutiert. Ging es heiß her?

Es war spannend, aber vor allem auch sachlich. Wir hatten zwei kontroverse Redebeiträge, die sich ausschließlich mit der Frage befasst haben, ob und inwieweit die Länder Mietpreisrecht regeln dürfen. 

Es gab im Vorfeld durchaus Bedenken, dass das Thema tatsächlich politisch zu aufgeladen sein könnte und insoweit nicht so wirklich auf unsere wissenschaftliche Fachveranstaltung passt. Aber es lief wunderbar: Sowohl Prof. Dr. Franz Mayer, der die Beschwerdeführer gegen das von Ihnen angesprochene Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde vertritt, als auch Prof. Dr. Wolfgang Spoerr, der bekanntlich für die gegenteilige Rechtsauffassung zahlreicher Bundestagsabgeordneter vor dem BVerfG auftritt, haben sich absolut sachlich "duelliert" und diskutiert. Und in der Tat: Wir alle warten jetzt mit Spannung auf die entsprechenden Entscheidungen aus Karlsruhe.

Schönheitsreparaturen: "BGH falsch abgebogen" 

Höchst relevant für Mieter und Vermieter ist ja immer wieder auch das Thema Schönheitsreparaturen. Zuletzt gab es ein BGH-Urteil, das Mietrechtler offenbar etwas ratlos zurücklässt. Danach sollen sich Mieter und Vermieter künftig die Kosten von Schönheitsreparaturen in bestimmten Fallkonstellationen teilen. Auch über diese BGH-Entscheidung haben Sie auf dem MGT diskutiert.

Das ist in der Tat ein Urteil, das mehr Fragen hinterlässt als es beantwortet. "Salomonisches Urteil, aber nicht praktikabel" oder "unverständlich", war ja auch bei LTO zu lesen.  Meines Erachtens ist das Gericht ganz früh falsch abgebogen und hat nun jede Menge Folgefragen hinterlassen, die nun die Instanzgerichte ausbaden müssen. Vielleicht wäre es daher wünschenswert, wenn der Gesetzgeber das Thema Schönheitsreparaturen doch einmal aufgreift und für mehr Klarheit sorgt.

Trauer um Mietrechts-Koryphäe Blank

Auf dem 22. MGT hätte eigentlich mit Hubert Blank, Herausgeber eines der wichtigsten Mietrechtskommentare und Gründungsmitglied des MGT, für seine herausragenden Verdienste um das deutsche Mietrecht geehrt werden sollen. Er verstarb jedoch kürzlich. Konnte sein Wirken dennoch gewürdigt werden?

Ja, dies hat der ehemalige Richter des BVerfG, Prof. Dr. Reinhard Gaier, im Rahmen seines Vortrages zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Eigenbedarfskündigung dankenswerter Weise getan. Die Frage, ob es einer Interessenabwägung im Rahmen der Eigenbedarfskündigung bereits auf der Tatbestandsebene bedarf, trieb Blank seit Jahren um. Für uns ist der Tod unseres Gründungsmitgliedes ein riesiger und sehr schmerzhafter Verlust. Für das Mietrecht war Hubert Blank wie einer der Beatles für die Popmusik, wie mein Vorstandskollege Elmar Streyl treffend geschrieben hat. Kurz vor seinem Tod konnten wir Hubert Blank noch unseren Schmidt-Futterer-Preis für sein Lebenswerk verleihen. Er hat sich sehr darüber gefreut.

Vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Markus Artz ist Dekan der Fakultät für Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld und leitet dort den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches Privatrecht, Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Rechtsvergleichung. Weiterhin ist Artz Direktor der Forschungsstelle für Immobilienrecht sowie Vorsitzender des Deutschen Mietgerichtstags e.V..

Zitiervorschlag

Interview zum Mietgerichtstag in Dortmund: "Anwälte können vom Mietrecht allein nicht mehr leben" . In: Legal Tribune Online, 15.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42795/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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