Korruption bei Kassenärzten: Straflos und trotzdem verboten

von Dr. Roland Wiring

06.07.2012

Macht sich ein niedergelassener Kassenarzt strafbar, wenn er von einem Hersteller Geld für die Verordnung von Medikamenten erhält? Gilt dasselbe für den Mitarbeiter des Pharmaunternehmens? Die mit Spannung erwartete Antwort des BGH lautet: Nein! Der vieldiskutierte Beschluss ist jedoch kein Freibrief: Nicht alles, was nicht strafbar ist, ist auch erlaubt, kommentiert Roland Wiring.

Nach dem im Juni veröffentlichten Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 29. März 2012 (Az. GSSt 2/11) macht sich eine Pharmareferentin, die Kassenärzten Schecks über rund 18.000 Euro als Prämie für die Verordnung von Arzneimitteln ihres Unternehmens ausstellte, nicht strafbar. Auch der Arzt selbst geht straflos aus. Niedergelassene Vertragsärzte seien, so der BGH, weder Amtsträger i.S.d. § 334 Strafgesetzbuch (StGB) noch nach § 299 StGB Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes, nämlich der Krankenkassen. Der Vertragsarzt werde in erster Linie im Interesse und Auftrag des Patienten tätig.

Die Entscheidung schafft vorerst Rechtssicherheit. Die Antikorruptions-Normen des StGB greifen bei Zuwendungen an selbstständige Kassenärzte nicht. Viele Strafverfahren werden jetzt eingestellt.

Das breite Echo auf den Beschluss zeigt allerdings: Unmittelbar einsichtig ist das Ergebnis für viele nicht. Und es ist Vorsicht geboten: Die Entscheidung ist keineswegs ein Freibrief für Korruption bei Kassenärzten. Es gibt verschiedene Regelungen, die dies verhindern – zwar nicht mit der Schärfe des Strafrechts, aber mit durchaus empfindlichen Konsequenzen.

Berufsrecht setzt Grenzen

Anders als zuweilen suggeriert, dürfen selbstständige Ärzte jetzt nicht auf einmal Geschenke annehmen und Provisionen kassieren.

Sie unterliegen weiter dem ärztlichen Berufsrecht, das detaillierte Regeln für die Zusammenarbeit mit Dritten, etwa Pharmaunternehmen, enthält. So ist es Ärzten nach ihrer Berufsordnung nicht gestattet, Geschenke oder andere Vorteile für sich zu fordern oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung werde beeinflusst. Die Annahme von geldwerten Vorteilen in angemessener Höhe ist nur dann erlaubt, wenn diese ausschließlich für berufsbedingte Fortbildungsveranstaltungen verwendet werden. So sieht es etwa § 32 der Muster-Berufsordnung für Ärzte vor.

Verstößt ein Arzt gegen die Berufsordnung, drohen berufsrechtliche Konsequenzen. Zuständig dafür sind die Landesärztekammern, die auf Grundlage der Kammer- und Heilberufsgesetze der Bundesländer handeln.

Das Heilberufsgesetz Nordrhein-Westfalens etwa sanktioniert leichtere Verstöße mit einer Mahnung durch den Kammerpräsidenten oder einer Rüge durch den Kammervorstand. Die Rüge kann mit einem Ordnungsgeld von bis zu 5.000 Euro verbunden werden. Bei schwerwiegenden Verstößen kommt es zu einem berufsgerichtlichen Verfahren. Das Berufsgericht, das aus einem Berufsrichter und zwei ärztlichen Beisitzern besteht, arbeitet ähnlich wie ein Strafgericht und kann empfindliche Sanktionen verhängen: eine Warnung oder einen Verweis aussprechen, das Recht, sich zum Kammermitglied wählen zu lassen, entziehen, eine Geldbuße von bis zu 50.000 Euro anordnen und im Ernstfall die Unwürdigkeit zur Ausübung des Arztberufs feststellen. Letzteres hat in der Regel auch den Verlust der Approbation zur Folge.

Zwar wird zuweilen kritisiert, dass die berufsrechtlichen Instrumente nicht allzu konsequent angewandt werden. Tatsächlich hielt sich die Zahl der berufsrechtlichen Verfahren bislang in Grenzen – wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil die Ärztekammern weitaus weniger Ermittlungsbefugnisse haben als die Staatsanwaltschaften. Jetzt, da das Thema Korruption im öffentlichen Fokus steht, werden die Kammern aber möglicherweise aktiver.

Und noch mehr Korruptionsgesetze

Auch das Heilmittelwerbegesetz (HWG) verbietet bis auf wenige Ausnahmen Zuwendungen oder Werbegaben an Ärzte. Verstöße sind Ordnungswidrigkeiten und können mit Geldbußen von bis zu 50.000 Euro pro Fall geahndet werden. Das gilt nicht nur für den Arzt, sondern auch für das Unternehmen, das die Geschenke verteilt.

Eine Verletzung sozialrechtlicher Vorschriften ist ebenfalls denkbar. So dürfen Hersteller Vertragsärzten keine Zuwendungen im Zusammenhang mit der Verordnung von Hilfsmitteln gewähren. Verletzt ein Kassenarzt zudem seine vertragsärztlichen Pflichten, droht ein Disziplinarverfahren der Kassenärztlichen Vereinigung. Disziplinarmaßnahmen sind je nach der Schwere der Verfehlung eine Verwarnung, ein Verweis, eine Geldbuße bis zu 10.000 Euro oder die Anordnung, die Zulassung bis zu zwei Jahren ruhen zu lassen.

Schließlich hat die pharmazeutischen Industrie selbst strenge Regeln für die Kooperation mit Ärzten aufgestellt, etwa den Kodex Fachkreise des Vereins Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V. (FSA-Kodex) oder den Kodex des Europäischen Pharmaverbands EFPIA. Nach dem FSA-Kodex ist es beispielsweise unzulässig, Ärzten für die Verordnung oder Empfehlung eines Arzneimittels gegenüber dem Patienten ein Entgelt zu gewähren. Verstößt ein Pharmaunternehmen dagegen, kann es teuer werden: Die Schiedsstelle des FSA kann Geldstrafen und Ordnungsgelder von bis zu 400.000 Euro verhängen. Erst kürzlich wurden die Regeln im Sinne einer transparenteren und konsequenteren Selbstkontrolle verschärft.

Für Angestellte ändert sich sowieso nichts

Wichtig ist im Übrigen Folgendes: Die Situation von Krankenhausärzten und anderen Angestellten im medizinischen Bereich bleibt unverändert. Als Angestellte können sie sich weiter nach § 299 StGB strafbar machen.

Ärzte in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis sind außerdem Amtsträger und damit nach § 334 StGB sogar von einer härteren Strafe bedroht.

Aber auch um im Ernstfall nicht die Approbation zu verlieren, ein saftiges Bußgeld zu kassieren oder einen gravierenden Imageschaden zu erleiden, sind Mediziner und Unternehmen weiterhin gut beraten, die rechtlichen Grenzen genau im Auge zu behalten.

Dr. Roland Wiring ist Rechtsanwalt/Senior Associate in der Sozietät CMS Hasche Sigle, Hamburg, mit Schwerpunkten im Heilmittelwerberecht, Pharmarecht und Healthcare Compliance.

Zitiervorschlag

Roland Wiring, Korruption bei Kassenärzten: Straflos und trotzdem verboten . In: Legal Tribune Online, 06.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6550/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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