Bekämpfung von Kinderpornographie nicht effektiv: Länder wollen Straf­ver­schär­fung rück­gängig machen

von Hasso Suliak

01.11.2022

Die Hochstufung des § 184b StGB zum Verbrechen ohne minder schweren Fall, verbessert nicht die Strafverfolgung, sondern erschwert den Staatsanwaltschaften effektive Arbeit. Jetzt könnte die Norm wieder entschärft werden.

Es ist noch nicht lange her, dass sich die große Koalition aus SPD und Union nach dem Bekanntwerden tragischer Fälle von Kindesmissbrauch in Nordrhein-Westfalen in der vergangenen Wahlperiode den 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches (StGB) vorknöpfte und im Rahmen eines "Reformpaketes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder" reihenweise Straftatbestände verschärfte: So etwa § 176 StGB, der sexuelle Handlungen an Kindern mit Körperkontakt unter Strafe stellt, wie auch § 184b StGB, der u.a. die Verbreitung und den Besitz kinderpornographischer Inhalte sanktioniert. Beide Tatbestände wurden von Vergehens- zu Verbrechenstatbeständen hochgestuft. Mindestfreiheitsstrafe ist nun ein Jahr, auf einen minder schweren Fall wurde im Gesetz verzichtet.

Diese Verschärfungen wurden zuvor in einer Sachverständigen-Anhörung im Bundestag heftig kritisiert. Und zwar nicht nur von den regelmäßig gegen höhere Strafrahmen wetternden Strafverteidigern, sondern auch vom Deutschen Richterbund (DRB) und Strafverfolgern. Sie warnten vor der Heraufstufung zum Verbrechen vor allem deshalb, weil damit den Ermittlern ein flexibles Instrumentarium aus der Hand gegeben würde: Verfahren in bestimmten Konstellationen auch einzustellen – ggf. gegen Auflagen (§§153, 153a Strafprozessordnung).

In Grenzfällen, bei denen die Erheblichkeitsschwelle nur unwesentlich überschritten werde, könne das Unrecht nicht mehr angemessen abgebildet werden, kritisierte damals etwa die Frankfurter Staatsanwältin Dr. Julia Bussweiler. Sie warnte, dass den Strafverfolgungsbehörden ein Großteil ihres Ermessenspielraums genommen würde, um bei einem Verfahrensabschluss sowohl auf die individuellen Bedürfnisse des Einzelfalls als auch auf die Interessen der Verfahrensbeteiligten einzugehen. Auch der Forderung vieler Sachverständiger, bei beiden Straftatbeständen doch zumindest einen minder schweren Fall vorzusehen, um auf geringeres Unrecht angemessen reagieren zu können, ignorierte die große Koalition.

Brandenburgs Justizministerin will Reform rückgängig machen

Nun könnte, zumindest im Zusammenhang Kinderpornographie, also beim Straftatbestand des § 184b StGB, die Reform rückgängig gemacht werden. Die Initiative hierzu kommt ausgerechnet von einer Justizministerin der CDU, deren Partei im Zweifel eher für den Ruf nach Strafverschärfungen bekannt ist.

Die Justizministerin des Landes Brandenburg, Susanne Hoffmann, will gemeinsam mit dem Land Hamburg* erreichen, dass § 184b StGB entschärft wird. Auf der anstehenden Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister (Jumiko) am 10. November in Berlin, wird wohl ein entsprechender Antrag eine Mehrheit finden. Unter Berücksichtigung der mehr als einjährigen Praxiserfahrung müsse festgestellt werden, "dass sich die Einordnung aller Begehungsvarianten des § 184b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 StGB als Verbrechen, zumal ohne minder schwere Fälle, nicht bewährt hat", heißt es in der Beschlussvorlage für die Jumiko, die LTO vorliegt.

Unter anderem seien Konstellationen denkbar, in denen etwa Lehrer, Betreuer oder andere Aufsichtspersonen kinderpornographisches Material an sich nehmen, ohne dass es ihnen auf den Besitz des inkriminierten Inhalts selbst ankommt. In solchen Fällen fehle es angesichts der Hochstufung des Tatbestandes zum Verbrechen an der Möglichkeit, das Verfahren aus Opportunitätsgründen einzustellen.

Eltern im Visier der Strafverfolger

Strafverteidiger und Strafverfolger hatten zuletzt auch darauf hingewisen, dass sich Eltern strafbar machen könnten, die entsprechende Fotos auf den Handys ihrer Kinder finden und an andere Eltern der Schulklasse zur Warnung oder Prüfung weiterschicken.

Brandenburgs Justizministerin verweist in dem Antrag für die Jumiko zudem auf Wertungswiderspräche: "184b StGB sieht in seiner Neufassung für die massenhafte Zurverfügungstellung von Bildern kinderpornographischen Inhalts an eine unbeschränkte Personenanzahl die gleiche Mindeststrafandrohung wie für den Abruf eines einzelnen Bildes, auf dem ein Kind beispielsweise 'lediglich' in unnatürlich geschlechtsbezogener Körperhaltung posiert, vor. Auch ein nicht rechtzeitiges Löschen eines für den Empfänger ungewollt übersandten kinderpornographischen Bildes (etwa in einer WhatsApp-Gruppe) lässt sich nicht mit der gezielten Suche und dem bewussten Download kinderpornographischer Bilder im Internet vergleichen."

Auf Nachfrage betonte das Justizministerin in Potsdam, dass es Ministerin Hoffmann bereits seit längerem ein Anliegen sei, unerwünschte Auswirkungen der Novelle zu beseitigen. Im damaligen Gesetzgebungsverfahren war das Land noch mit entsprechenden Änderungsanträgen im Rechtsausschuss des Bundesrates gescheitert.

Auch Bayern und NRW für Herabstufung zum Vergehen

Jetzt könnte es indes besser laufen. So signalisierten neben Thüringen auch die einflussreichen Länder Bayern und NRW gegenüber LTO bereits ihre Zustimmung: "Bayern wird dem Antrag bei der Justizministerkonferenz zustimmen", erklärte ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums. Es gebe Fallkonstellationen, wie z.B. bei Ermittlungsverfahren gegen Eltern, die kinderpornographische Darstellungen zur gegenseitigen Warnung in Elterngruppen weiterleiten, in denen gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe. Der Bund sollte daher "insoweit korrigierend tätig werden".

Auch NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Die Grünen) sieht den Bund nunmehr "in der Pflicht, zeitnah für eine sachgerechte Regelung zu sorgen." Zu LTO sagte Limbach: "Die unterschiedslose Behandlung aller denkbaren Formen des Umgangs mit kinderpornographischen Inhalten führt  in der Praxis teilweise zu unhaltbaren Ergebnissen. Wenn Eltern oder Lehrerinnen und Lehrer kinderpornographisches Material aus dem Verkehr ziehen und dadurch selbst zu Angeklagten vor Gericht werden, dann kann das nicht richtig sein."

Die aktuelle Regelung binde zudem nicht unerhebliche Ressourcen bei den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten, um offenkundig nicht strafwürdige Fälle zu verfolgen. Diese Ressourcen, so Limbach, würden in der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern gebraucht.

Hamburg Justizsenatorin Anna Gallina betonte gegenüber LTO*: "Die Reform war schlicht an der Praxis vorbei. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass dieser Straftatbestand so schnell wie möglich überarbeitet wird, damit die Justiz alle Fälle in diesem Bereich effektiv bekämpfen und angemessen sanktionieren kann.“

DAV und Richterbund appellieren an Bundesjustizminister  

Auf Zustimmung stößt die Initiative Brandenburgs und Hamburgs auch beim Deutschen Anwaltverein (DAV) und beim Deutschen Richterbund (DRB): Rechtsanwältin Dr. Jenny Lederer, Mitglied des Ausschusses Strafrecht des DAV, betonte gegenüber LTO, dass der Anwaltverein von Anfang an vor der Aufstufung von Grundtatbeständen zu Verbrechen abgeraten habe – "sei es im Rahmen des § 176 StGB, sei es auch bei § 184b StGB". Auch vor der Abschaffung minder schwerer Fälle in vielen Tatbeständen habe man gewarnt. "Sehenden Auges wurden mit der Erhöhung der Mindeststrafrahmen die Reaktionsmöglichkeiten und Spielräume der Staatsanwaltschaften und Gerichte eingeschränkt", so die Strafverteidigerin. Lederer fordert weitergehend als die Initiative aus Brandenburg, dass auch der Grundtatbestand des sexuellen Missbrauchs nach § 176 StGB wieder als Vergehen ausgestaltet wird.

Der Bundesgeschäftsführer des DRB, Sven Rebehn, sieht das mit Blick auf § 184b StGB ähnlich: Die Brandenburger Initiative jedenfalls sei sehr zu begrüßen. "Der Deutsche Richterbund hat die Pläne von Anfang an als zu weitgehend und in Teilen verfehlt abgelehnt. Nach einem Jahr Erfahrung mit den verschärften Strafvorschriften hat sich die Kritik bestätigt und herausgestellt, dass es dringend einer Überarbeitung bedarf." Laut Rebehn führt die gegenwärtige Rechtslage dazu, dass eine abgestufte tat- und schuldangemessene Bestrafung nicht mehr in jedem Einzelfall möglich ist. Durch die überschießenden Strafverschärfungen seien z.B. Strafbefehle und Einstellungen in dafür geeigneten Fällen nicht mehr möglich. Der Bundesjustizminister, so, Rebehn, müsse den Vorschlag Brandenburg "schnellstmöglich aufgreifen und eine Korrektur auf den Weg bringen".

Fragt man bei den Bundestagsfraktionen der großen Koalition nach, warum eine derart praxisferne Regelung seinerzeit entgegen allen Warnungen überhaupt Gesetz werden konnte, erfährt man von der Union, dass die damalige SPD-Justizministerin Christine Lambrecht dafür die Verantwortung trägt: "Die Hochstufung des Besitzes von Kinderpornographie zu einem Verbrechenstatbestand ist auf Druck von Justizministerin Lambrecht erfolgt. Sie stand seinerzeit unter erheblichem öffentlichem Druck, weil sie zunächst Strafschärfungen beim sexuellen Missbrauch von Kindern verweigert hatte. Mit der Einstufung von Kinderpornographie als Verbrechen hat sie einen politischen Befreiungsschlag versucht. Juristische Bedenken gab es damals schon viele, die Justizministerin hat sie aber beiseite gewischt", so CDU-Rechtspolitiker Dr. Jan-Marco Luczak.

SPD für Korrektur offen

Lambrecht hatte sich zunächst gegen eine Strafverschärfung ausgesprochen, aber schon einen Tag später eine Kehrtwende gemacht und eine Neuregelung mit höherem Strafrahmen gefordert. In der Bundestagsdebatte am 18. Juni 2020 erklärte die damalige SPD-Justizministerin in Richtung ihres damaligen Koalitionspartners: "Bei einem sind wir allerdings absolut anderer Meinung (…) Sie schlagen vor, dass auch der Besitz von Kinderpornographie in Zukunft ein Vergehen bleiben soll. Das halte ich für falsch, und das werde ich anders regeln (…) Ich will, dass auch der Besitz von Kinderpornographie, hinter dem ein Kindesmissbrauch steht, als Verbrechen eingestuft wird; das ist ein wichtiges Signal." Allerdings machte damals auch die Union Druck für Strafrechtsverschräfungen, während Strafrechtler vor einem höheren Strafrahmen warnten.

Nun steht jedoch fest: Lambrechts "Signal" hat sich in der Praxis nicht bewährt. Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder wollen deshalb Lambrechts Nachfolger Dr. Marco Buschmann (FDP) um Vorlage eines Gesetzentwurfs bitten werden, in dem die Verschärfungen wieder rückgängig gemacht werden.

An der SPD wird eine entsprechende Korrektur dabei wohl nicht scheitern. Das jedenfalls verspricht der Rechtspolitiker und parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion Johannes Fechner im Gespräch mit LTO: "Bei der Verabschiedung der Strafrechtsverschärfung hatten wir schon Bedenken und uns vorgenommen, die genauen Auswirkungen auf die Strafrechtspraxis zu beobachten. Auch wir haben Rückmeldungen von Staatsanwaltschaften, dass die damalige Reform ineffektiv ist. Deshalb sind wir offen für Reformen und Verbesserungen. Wenn selbst Scharfmacher wie Bayern Änderungen fordern, zeigt das, dass wir nächstes Jahr im Rahmen der großen StGB-Reform auch diese Vorschrift auf den Prüfstand stellen sollten."

Wenn sich Buschmann mit einem Gesetzentwurf beeilt, dürfte er auch dem Bundesverfassungsgericht zuvorkommen. Den Karlsruher Richterinnen und Richtern liegt eine Richtervorlage des Amtsgerichts München vor. Richter Robert Grain hält die gegenwärtige Version des § 184b StGB für verfassungswidrig: Die Norm stelle u.a. einen Verstoß gegen das Übermaßverbot dar und greife daher verfassungswidrig in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 2 GG) ein.

*Anm. d. Redaktion: Info ergänzt am Tag des Erscheinens um 17.45 Uhr.

 

Zitiervorschlag

Bekämpfung von Kinderpornographie nicht effektiv: Länder wollen Strafverschärfung rückgängig machen . In: Legal Tribune Online, 01.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50041/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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