Gebühren bei Kirchenaustritt: Wenn Reli­gi­ons­f­rei­heit unbe­zahlbar ist

Thomas Traub

01.04.2011

Jedes Jahr kehren mehr als 200.000 Gläubige den großen christlichen Kirchen den Rücken. Viele von ihnen zahlen dafür eine Gebühr. In NRW sorgt ein Fall für Aufsehen, in dem der Kirchenaustritt eines Hartz-IV-Empfängers an den Kosten in Höhe von 30 Euro scheitert. Thomas Traub über den rechtlichen Hintergrund solcher Gebühren und eine einfache Lösung für besondere Fälle.

Knapp 50 Millionen Deutsche sind Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche. Ein Kirchenaustritt ist zumindest nach katholischem Verständnis nicht möglich: Einmal katholisch, immer katholisch.

Dennoch gibt es ein Grundrecht auf Kirchenaustritt. Die Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG) gewährt nicht nur das Recht, einen Glauben zu haben, sich zu ihm zu bekennen, seine Religion auszuüben und sich mit anderen Gläubigen zu Religionsgemeinschaften zusammen zu schließen.

Garantiert ist eben auch die negative Religionsfreiheit, also das Recht keinen Glauben zu haben und keiner Religionsgemeinschaft anzugehören. Der Staat ist verfassungsrechtlich verpflichtet, die Möglichkeit eines Kirchenaustritts vorzusehen. Diese Verpflichtung wurde durch die Kirchenaustrittsgesetze der Bundesländer umgesetzt.

Kirchenaustritt muss vor staatlicher Stelle erklärt werden

Beispielsweise sieht § 1 Kirchenaustrittsgesetz NRW die Möglichkeit vor, aus einer Religionsgemeinschaft des öffentlichen Rechts mit Wirkung für den staatlichen Bereich auszutreten. Wer eine solche Austrittserklärung abgibt, wird von den staatlichen Stellen nicht mehr als Mitglied der Kirche behandelt – unabhängig davon, welche innerkirchliche Wirkung diesem Austritt zukommt. Praktische Bedeutung hat dies vor allem für die Erhebung der Kirchensteuern.

Der Kirchenaustritt wird nicht vor einer kirchlichen, sondern bei einer staatlichen Stelle erklärt. In den meisten Bundesländern ist dafür das Standesamt zuständig, in anderen Ländern das Amtsgericht.

Viele Bundesländer verlangen für die Bearbeitung der Kirchenaustrittserklärung eine Gebühr. In NRW ergibt sich die Gebührenpflicht aus dem Justizgesetz NRW in Verbindung mit § 6 Kirchenaustrittsgesetz. Nr. 5 des Gebührenverzeichnisses sieht für den Austritt aus einer Kirche eine Gebühr in Höhe von 30 Euro vor.

BVerfG: Gebühren verfassungsrechtlich gerechtfertigt

Diese gesetzliche Regelung war bereits Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG). In seinem Beschluss hatten die Richter festgestellt, dass das gebührenpflichtige Verfahren verfassungsgemäß ist (Beschl. v. 02.07.2008, Az. 1 BvR 3006/07).

Das BVerfG sieht zwar in der Auferlegung einer Gebühr einen Eingriff in den Schutzbereich der Religionsfreiheit, da Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht gewähre, sich jederzeit durch Austritt von der kirchlichen Mitgliedschaft mit Wirkung für das staatliche Recht zurückzuziehen. Dieser Eingriff sei aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

Die Landesregierung NRW hatte die Gebührenhöhe damit begründet, dass für die Bearbeitung mindestens 15 Minuten Personaleinsatz und zusätzlich Material- und andere Sachkosten anfallen. Dies hält das BVerfG für überzeugend und dem Austrittswilligen für zumutbar. Die zuverlässige und formalisierte Verarbeitung der Kirchenaustritte sei vor allem für eine geordnete Verwaltung der Kirchensteuer erforderlich, die ihrerseits durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV verfassungsrechtlichen Schutz genießt.

Besondere Prüfung bei Härtefällen erforderlich

Bei dem Betrag von 30 Euro handele es sich um eine öffentlich-rechtliche Geldleistung, die dem Austrittswilligen aus Anlass einer individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung, nämlich der Bearbeitung des Kirchenaustritts, auferlegt werde. Eine Abweichung vom gebührenrechtlichen Kostendeckungsprinzip sei nicht erforderlich.

Mit dem Hinweis auf die Kostendeckung verdeutlicht die Entscheidung zugleich die verfassungsrechtlichen Grenzen der Gebührenhöhe: Die Kirchenaustrittsgebühr darf nicht mit dem Ziel festgesetzt werden, das Verhalten des Austrittswilligen zu lenken und ihn von einem Kirchenaustritt abzuhalten. Mit einer Gebühr in Höhe von 30 Euro wird das durchschnittliche austrittswillige Kirchenmitglied nicht unzumutbar belastet.

Allerdings verlangt das BVerfG eine Berücksichtigung von besonderen Härtefällen, in denen selbst diese objektiv geringe Gebühr ein ernsthaftes Hindernis für den Austritt darstellt. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, Befreiungen und Ermäßigungen vorzusehen.

Das Gebührenrecht kennt solche Härtefallklauseln. Nach § 124 Justizgesetz NRW ist die Justizverwaltungskostenordnung des Bundes (JVKostO) auf die Erhebung von Kosten durch die Justizbehörden des Landes anwendbar. Gemäß § 12 JVKostO kann die Behörde ausnahmsweise die Gebühren ermäßigen oder ganz von der Erhebung der Kosten absehen, wenn dies mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen geboten erscheint.

Für Hartz-IV-Empfänger ist Gebühr ernsthaftes Hindernis

Der Wortlaut der Vorschrift spricht von "kann", räumt der Behörde also Ermessen ein. Bei der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens muss die Behörde das Gebührenrecht aber im Lichte der negativen Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auslegen und anwenden.

Bei einem Empfänger von Hartz IV wird man typischerweise davon ausgehen können, dass eine Gebühr in Höhe von 30 Euro ein ernsthaftes Hemmnis ist, den Entschluss aus der Kirche auszutreten auch umzusetzen. Wegen seiner Einkommensverhältnisse wird er regelmäßig keine Kirchensteuer bezahlen, so dass ihm auch nicht die Ersparnisse durch den zukünftigen Wegfall der Kirchensteuerpflicht entgegen gehalten werden können.

Insgesamt zeigt sich: Eine kostendeckende Gebühr für das Verfahren des Kirchenaustritts verletzt die negative Religionsfreiheit nicht. Das Grundgesetz verlangt aber, dass der Kirchenaustritt im Einzelfall nicht an fehlenden finanziellen Mitteln scheitert.

Thomas Traub ist Doktorand und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kirchenrecht der Universität zu Köln.

 

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Zitiervorschlag

Thomas Traub, Gebühren bei Kirchenaustritt: Wenn Religionsfreiheit unbezahlbar ist . In: Legal Tribune Online, 01.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2924/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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