Der höhere Rundfunkbeitrag vor dem BVerfG: Durfte Sachsen-Anhalt "nichts" tun?

von Dr. Christian Rath

22.12.2020

Schon sehr bald wird das BVerfG eine erste Entscheidung zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags treffen. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben eine einstweilige Anordnung beantragt. Christian Rath kennt ihre Argumente. 

Bisher geht alles sehr schnell. Am 8. Dezember hat Reiner Haseloff, der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, den Entwurf für ein Zustimmungsgesetz zum "Ersten Medienänderungsstaatsvertrag" zurückgezogen. Im Landtag gebe es keine Mehrheit für eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags von 17.50 Euro auf 18.36 Euro. Auch wenn inzwischen alle anderen fünfzehn Landtage zugestimmt haben, kommt die Beitragserhöhung ohne Sachsen-Anhalt nicht zustande.

Bis zum Ende derselben Woche gingen beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) drei Verfassungsbeschwerden ein - von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Die Anstalten waren offensichtlich gut vorbereitet. Alle drei Kläger stellten auch Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz. Die ARD wird von Prof. Karl-Eberhard Hain (Köln) vertreten. Für das ZDF schrieb Prof. Joachim Wieland (Speyer). Und Prof. Dieter Dörr (Mainz) vertritt das Deutschlandradio.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) berät noch. Höchstwahrscheinlich wird er in diesem Jahr noch entscheiden. Der Beschluss wird dann auch kurzfristig veröffentlicht. Ob die Entscheidung noch vor Weihnachten oder erst danach erfolgt, ist noch nicht bekannt.

Der Schriftsatz des ZDF liegt LTO vor. Er enthält auf 55 Seiten sowohl die Verfassungsbeschwerde als auch den Antrag auf eine einstweilige Anordnung. In der Argumentation gibt es wohl keine großen Unterschiede zu den anderen öffentlich-rechtlichen Klägern, die ja am gleichen Strang ziehen.

Klage gegen ein "Nichts"

Da Sachsen-Anhalt eigentlich nichts gemacht hat, war mit Interesse erwartet worden, worauf sich die Verfassungsbeschwerden konkret richten. Das ZDF beantragt eine Feststellung des BVerfG, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt, indem er die Zustimmung zum Staatsvertrag unterließ, die Rundfunkfreiheit verletzt hat. Außerdem solle das BVerfG feststellen, dass der Landtag verpflichtet ist, dem Staatsvertrag zuzustimmen.

Es handelt sich also um eine Klage gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers, die laut ZDF-Schriftsatz immer dann statthaft ist, wenn der Gesetzgeber einen Auftrag aus dem Grundgesetz (GG) missachtet oder wenn er trotz grundrechtlich begründeter Schutzpflichten gänzlich untätig bleibt. ZDF-Vertreter Wieland sieht beim Rundfunkbeitrag eine vergleichbare Konstellation. Schließlich habe das BVerfG dem Grundgesetz eine "Garantie funktionsgerechter Finanzierung" für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk entnommen.

Natürlich stützen sich die öffentlich-rechtlichen Kläger vor allem auf die beiden einschlägigen BVerfG-Entscheidungen zur Rundfunkfinanzierung von 1994 (Urt. v. 22.02.1994, Az. 1 BvL 30/88) und 2007 (Urt. v. 11.09.2007, Az. 1 BvR 2270/05). Danach gewährleistet die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG die Sicherung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einschließlich seiner bedarfsgerechten Finanzierung. Bei der Festsetzung des Rundfunkbeitrags (früher: der Rundfunkgebühr) dürfen Programmfragen und medienpolitische Ziele keine Rolle spielen.

Diese inhaltlichen Vorgaben haben die Karlsruher Richter in den Präzedenzurteilen prozessual abgesichert, indem sie ein drei-stufiges Verfahren etablierten. Zunächst melden die öffentlich-rechtlichen Sender ihren Bedarf an. Dann wird dieser Bedarf durch die unabhängige "Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten" (KEF) geprüft. Die KEF-Empfehlung ist dann Grundlage für die eigentliche Entscheidung durch die Länder. Abweichungen von den KEF-Empfehlungen sind möglich, aber nur mit Argumenten, die nicht gegen die Rundfunkfreiheit verstoßen. Zulässig wäre etwa der Verweis auf eine drohende finanzielle Überforderung der Beitragszahler. Vor allem aber muss die Abweichung ausdrücklich begründet werden, so die bisherige Vorgabe des BVerfG.

Gründe für die Abweichung von der KEF-Empfehlung

Schon beim letzten Punkt hat das Land Sachsen-Anhalt ein Problem. Es hat sein Nicht-Ratifizieren des Staatsvertrags bisher öffentlich nicht inhaltlich begründet, sondern nur darauf verwiesen, dass keine entsprechende Mehrheit im Landtag zu erwarten sei. Dazu heißt es in der Verfassungsbeschwerde des ZDF: "Der Schutz der Rundfunkfreiheit gebietet es, bereits das Nichtvorliegen einer Begründung als wesentliche Verletzung der Rundfunkfreiheit zu werten.

Die bisher in der landespolitischen Diskussion Sachsen-Anhalts genannten Gründe hält ZDF-Vertreter Wieland - ohne große Erörterung - zudem für unzulässig, insbesondere die in der CDU geforderte Änderung der Berichterstattung über Ostdeutschland. Hier gehe es um "medienpolitische Zielsetzungen", so Wieland, die bei der Festsetzung des Rundfunkbeitrags eben keine Rolle spielen dürften.

Der Verweis auf eine Überlastung der Bürger durch die Beitragserhöhung um 86 Cent wäre zwar zulässig. Wieland hält ihn aber inhaltlich für unzutreffend. Tatsächlich sei die Belastung durch den Rundfunkbeitrag in den vergangenen Jahren sogar zurückgegangen. Während die Nominallöhne von 2009 bis 2019 um 28,9 Prozent anstiegen seien, wäre ein Rundfunkbeitrag von 18,36 Euro nur eine Steigerung um 2,1 Prozent im selben Zeitraum (weil die zu zahlende Summe 2014 bei der Umstellung von Rundfunkgebühr auf Rundfunkbeitrag sogar von 17,98 Euro auf 17,50 Euro gesenkt wurde).

Auch die Corona-Pandemie sei kein überzeugender Grund, von der KEF-Empfehlung abzuweichen, so ZDF-Vertreter Wieland. Immerhin habe der KEF-Vorsitzende Heinz Fischer-Heidlberger noch im November 2020 betont, dass die KEF auch mit Blick auf die Pandemie an ihrer Empfehlung für eine Erhöhung des Beitrags auf 18.36 Euro festhält. Aus der Verfassungsbeschwerde wird deutlich, dass Corona nicht nur zu Belastungen und Mehrbedarf bei den Bürgern führte, sondern auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Die Sender leiden unter erschwerten Produktionsbedingungen, Wegfall von Werbeeinnahmen und zusätzlichen Beitragsbefreiungen bei Bürgern und Unternehmen. Die Auswirkungen der Pandemie, so das ZDF, solle die KEF in zwei Jahren in einem Zwischenbericht bilanzieren.

Das BVerfG würde den Ländern bei den sozialpolitischen Argumenten für eine Abweichung von der KEF-Empfehlung aber vermutlich einen großzügigen Einschätzungsspielraum belassen. Die größten Erfolgsaussichten dürfte aus Sicht der Sender deshalb die Beanstandung der völlig fehlenden offiziellen Begründung für die Abweichung von der KEF-Empfehlung haben sowie der Hinweis auf die unterschwellige medienpolitische Motivation der Staatsvertrags-Gegner.

Wo ist der schwere Nachteil?

Ob über die Verfassungsbeschwerden bereits in diesem Jahr entschieden wird, ist äußerst fraglich. Eilig ist aber die Entscheidung über die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen. 

Das ZDF hat beantragt, dass der erhöhte Rundfunkbeitrag bereits ab Januar bei den Bürgern eingezogen werden kann. Dem Antrag müsse schon deshalb stattgegeben werden, weil die Verfassungsbeschwerde "offensichtlich begründet" sei, so Wieland. Das würde voraussetzen, dass das BVerfG auf die fehlende Begründung des Landtags abstellt, denn dann wäre das Nicht-Verhalten des Landes wohl tatsächlich "offensichtlich" verfassungswidrig.

Sicherheitshalber hat das ZDF aber auch noch eine Folgenabwägung angestellt. Danach würde sich eine vorübergehend zu starke Belastung der Beitragszahler im Falle eines späteren Scheiterns der Verfassungsbeschwerden leicht rückgängig machen lassen, indem die 86 Cent Zusatzbeitrag einfach zurückgezahlt werden. Dagegen ließe sich, so der Sender, eine Unterfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks später nicht mehr ausgleichen - auch weil das BVerfG 2007 eine nachträgliche Erhöhung des Rundfunkbeitrags ausgeschlossen hat.

Für einen Erfolg des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist allerdings auch ein drohender "schwerer Nachteil" erforderlich. Es ist jedoch fraglich, ob ein Rundfunkbeitrag von 17.50 Euro, der im Dezember 2020 noch verfassungsrechtlich geboten ist, im Januar 2021 plötzlich in einen "schweren" Nachteil für das Gemeinwohl umschlagen kann.

Erst mal nur die Verfallsklausel außer Kraft? 

Vielleicht deshalb hat das ZDF auch einen zweiten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Danach soll die Verfallsklausel des Staatsvertrags außer Kraft gesetzt werden, nach welcher der Vertrag gegenstandslos wird, wenn er nicht von allen Ländern bis Jahresende ratifiziert wird. Dies wurde zwar nicht begründet, aber es geht wohl darum, dass die Länder nach einem Erfolg in der Hauptsache nicht ganz neu mit den Verhandlungen beginnen müssen. Ein Erfolg dieses Antrags würde einige Monate Zeit sparen.

Das BVerfG könnte diesem Antrag auch stattgeben, ohne sich in der Sache festzulegen. Die Karlsruher Richter könnten bei dieser Lösung vielmehr erst einmal abwarten, ob Sachsen-Anhalt nach der dortigen Landtagswahl am 6. Juni vielleicht doch noch zustimmt – vielleicht, weil es überraschend für eine rot-rot-grüne Koalition reicht oder weil sich in der CDU doch die Mehrheitsverhältnisse ändern, nachdem wohl einige Hardliner den Landtag verlassen.

Eine derartige politische Lösung würde wohl auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk bevorzugen. Denn ein juristischer Erfolg in der Hauptsache hätte für ZDF und Co. vor allem symbolische Bedeutung. Das BVerfG würde in einigen Jahren wohl nur feststellen, dass eine Abweichung von der KEF-Empfehlung ohne (zulässige) Begründung verfassungswidrig ist. Dann aber hätte Sachsen-Anhalt, wenn es auf seiner Ablehnung beharrt, die Möglichkeit, die Beitragserhöhung mit neuer explizit sozialpolitischer Begründung weiterhin zu verweigern. Dagegen müssten die Sender neu klagen und wieder würde viel Zeit vergehen.

Zitiervorschlag

Der höhere Rundfunkbeitrag vor dem BVerfG: Durfte Sachsen-Anhalt "nichts" tun? . In: Legal Tribune Online, 22.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43806/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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