Die Bahn vor Gericht: Nächster Halt: Arbeitsamt

von Uwe Wolf

18.09.2010

Chronisch unpünktliche Züge sorgen für viel böses Blut. Mit spektakulären Schadensersatzklagen halten sich die Bundesbürger freilich bislang noch zurück. In Frankreich hingegen verlangt eine junge Frau 45.000 Euro von der staatlichen Eisenbahngesellschaft. Grund: Wegen ständiger Zugverspätungen hat sie ihren Job verloren.

Soazik Parassols, eine 24-jährige Französin aus der Gegend von Lyon, war überglücklich: Nach langem Suchen hat die junge Dame Anfang Juni eine Anstellung als Anwalts-Gehilfin in einer Kanzlei in Lyon gefunden. Dass die Advokaten mit ihr eine vierwöchige Probezeit vereinbart hatten, störte die jungen Frau nicht: Aufgrund ihrer guten Vorkenntnisse war Mademoiselle Parassols sicher, nach einem Monat eine Festanstellung zu erhalten.

Die Französin hatte ihre Rechnung ohne die Staatsbahn SNCF gemacht. Noch bevor die Probezeit abgelaufen war, hatte sich der Zug, der die Dame von ihrem Wohnort in die Lyoner Innenstadt brachte, mehr als sechs Mal verspätet. Von zehn Minuten bis zu ein einviertel Stunden reichte die Verspätungsstatistik.

Eindeutig zuviel, befanden ihre Arbeitgeber. Obwohl die Mitarbeiterin für jeden Verstoß gegen die Arbeitszeitregelung eine schriftliche Bestätigung der Bahn vorlegte, wurde Soazik Parassols vor die Tür gesetzt.

Bummelzüge führen zum Arbeitsamt

"Angesichts der Beharrlichkeit ihrer Verspätungen … sehen wir uns zu diesem Schritt gezwungen", so die Anwaltskanzlei in ihrem Scheidungsbrief.

Das wollte die Französin nicht auf sich sitzen lassen. Sie ging zum Anwalt – und verklagte die Staatsbahn auf Schadensersatz. "Das Probearbeitsverhältnis ist eindeutig wegen der ständigen Verkehrsstörungen auf der Linie Lyon-Ambérieu, dem Wohnort meiner Mandantin, aufgehoben worden", so David Metaxas, Arbeitsrechtler und Anwalt von Frau Parassols.

Dem erstinstanzlichen Tribunal de grande instance in Paris, dem Sitz der Staatsbahn, liegt nun eine Klage wegen "Verletzung des Beförderungsvertrags und Verstoß gegen die Pünktlichkeitspflicht" vor. Angesichts der "materiellen und immateriellen Schäden" seiner Mandantin hält der Jurist Metaxas 45.000 Euro für einen angemessenen Schadensersatz für seine arbeitslose Mandantin.

Der Fall der jungen Dame hat in Frankreich zu großem Aufsehen geführt. In den entsprechenden Internetseiten der französischen Tageszeitungen und Magazine klagen seitenweise Berufspendler über ihre Alltagserlebnisse in "Bummelbahnen" und "Geisterzügen". "Die SNCF ist eine Bande von Nieten", fasst eine Bloggerin, die jeden Tag zwischen Chartres und Paris pendelt, ihre Zug-Erfahrungen zusammen.

Andere Länder, andere (brennende) Probleme

Schadensersatzklagen im fünf- oder mehrstelligen Bereich von genervten Bahnkunden sind in Deutschland – zumindest bislang – unbekannt. Was nicht heißen soll, dass nicht auch deutsche Zugpassagiere Gerichte mit schmerzhaften Bahn-Malheurs konfrontieren.

Beispiel: ICE Frankfurt – Dresden. Ein Rechtsanwalt aus München bestieg in Frankfurt am Main den Schnellzug in die sächsische Landeshauptstadt. Auf der mehrstündigen Strecke verspürte der Advokat einen zunehmend stärker werdenden Harndrang. Sein Bedürfnis blieb ungestillt: Die Toiletten waren – angeblich wegen Wassermangels – allesamt verschlossen.

Mit erheblich verkniffenem Gesichtsausdruck verschaffte sich der Jurist schließlich auf dem Dresdener Hauptbahnhof Erleichterung. Nachdem die Bahn freiwillig keine Entschädigung zahlen wollte, zog der Anwalt vor den Kadi.

Pinkel-Ultimatum führt zum Erfolg

Vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main wurden Zeugen vernommen.

Die Aussage eines Augenzeugen des Toiletten-Desasters überzeugte den Richter restlos. Der Bahnkunde gab zu Protokoll, eine Schaffnerin habe eines der WCs erst geöffnet, nachdem er ihr ultimativ angedroht hatte, sein "Geschäft ansonsten im Gang zu verrichten."

Der stundenlange Harnstau war dem Richter 300 Euro Schmerzensgeld wert (Amtsgericht Frankfurt am Main, Az. 32 C 261/01-84).

Der Verfasser Dr. Uwe Wolf ist Jurist und freier Autor in Düsseldorf.

 

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Zitiervorschlag

Uwe Wolf, Die Bahn vor Gericht: Nächster Halt: Arbeitsamt . In: Legal Tribune Online, 18.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1502/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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