Deutsche Waffenlieferung an die nordirakischen Kurden: Ein neues Kapitel in der Außenpolitik

von Professor Dr. Pierre Thielbörger

27.08.2014

Die Bundesregierung hat jüngst erklärt, sie werde die kurdischen Peschmerga Milizen im Nordirak im Kampf gegen die Extremisten-Organisation Islamischer Staat mit Waffen unterstützen. Damit betritt sie Neuland, denn bislang hatte sich Deutschland nie an Waffenlieferungen in Krisengebiete beteiligt. Zulässig ist die Maßnahme jedoch, erklärt Pierre Thielbörger, wenn auch unter einigen Vorbehalten.

Die Regierung Merkel begründet ihren Schritt einerseits mit der besonderen Skrupellosigkeit der IS. Insbesondere die öffentliche Enthauptung des US Journalisten James Foley – ein Erpressungsversuch gegen die USA, die Luftangriffe im Nordirak einzustellen – hatte für weltweite Bestürzung gesorgt. Andererseits verweist die Bundesregierung auf die Ungleichheit der beiden Konfliktparteien. Während die IS Kämpfer modernes US-Kriegsgerät von den Irakern erbeutet haben, stehen den kurdischen Kämpfern größtenteils nur veraltete Waffen aus Sowjetzeiten zur Verfügung. Auch deswegen erwägt die Regierung unter anderem die Lieferung von Panzerabwehrraketen des Types "Milan", über die die Bundeswehr noch in großer Zahl aus Zeiten des kalten Krieges verfügt. Die Lieferung nicht-tödlicher Ausrüstung (Helme, Schutzwesten, Nachtsichtgeräte, etc.), ist bereits beschlossene Sache.

CDU, SPD , FDP und mittlerweile auch Teile der Grünen befürworten grundsätzlich Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak. Lediglich Die Linke hat sich dagegen ausgesprochen. Während politisch also ein breiter Konsens besteht, bewegen sich viele juristische Einzelfragen einer solchen Waffenlieferung in einer Grauzone.

Einweisung darf nicht durch deutsche Truppen im Irak erfolgen

Innerstaatlich stellt sich zunächst vor allem die Frage, in welcher Form der Bundestag beteiligt werden muss. In einer Sondersitzung am 1. September soll das Parlament über die Waffenlieferung beraten. Eine Abstimmung, wie sie insbesondere die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Kathrin Göring-Eckhardt, und Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) ursprünglich verlangt hatten, ist aber nicht vorgesehen. Ob dies rechtlich geboten wäre, hängt wesentlich mit der Frage der Einweisung in die gelieferten Waffensysteme zusammen.

Dass eine solche Einweisung der ungeschulten kurdischen Milizen in moderne Waffentechnik nötig ist, steht außer Frage. Sollten deutsche Soldaten diese Einweisung vor Ort vornehmen, wäre dies ein Auslandseinsatz der Bundeswehr. Ein positives Votum des Parlaments wäre nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwingend erforderlich. Weil ein solches Votum des Parlaments nicht eingeholt wurde, wird die Einweisung durch US-Militärberater erfolgen müssen, die bereits vor Ort sind.  Alternativ könnten einzelne kurdische Kämpfer in Deutschland mit der Technologie vertraut gemacht werden. Nur dann ist eine Abstimmung im Bundestag entbehrlich.

Völkerrechtliche Schranken: Der Arms Trade Treaty

Neben der innerdeutschen gibt es zudem die völkerrechtliche Dimension: So darf Deutschland nur dann Waffen in den Nordirak liefern, wenn die irakische Zentralregierung dieser Lieferung zustimmt. Alles andere wäre eine Verletzung der staatlichen Souveränität des Irak sowie ein Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot aus Art. 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen. Eine solche Zustimmung der irakischen Regierung liegt allerdings auch vor.

Zusätzlich hat sich Deutschland zu Beginn des Jahres auch an den Vertrag  über die Regulierung des internationalen Waffenhandels (Arms Trade Treaty (ATT)) gebunden, der den Handel mit konventionellen Waffen regelt. Zwar ist dieser Vertrag mangels ausreichender Zahl von Ratifizierungen noch nicht in Kraft getreten. Deutschland hat sich einseitig aber schon verpflichtet, die im Vertag umschriebenen strikten Kriterien bei der Prüfung von Waffenexporten nach Art. 6 und Art. 7 ATT schon jetzt anzuwenden.

Danach kann Deutschland jedenfalls dann keine Waffen liefern, wenn nach seiner Einschätzung die Waffenlieferung dazu beitragen könnte, den Frieden oder die Sicherheit zu gefährden, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht oder die Menschenrechte zu ermöglichen oder den Terrorismus oder die Organisierte Kriminalität zu unterstützen (Art. 7 Abs. 3 ATT i.V.m. Art. 7 Abs. 1 ATT). Insofern bestimmt sich die völkerrechtliche Pflicht nach der eigenen Risikoabschätzung der Bundesregierung.

Belieferung der PKK ausgeschlossen

Angesichts der Unkontrollierbarkeit einmal gelieferter Waffen bestehen hier erhebliche Bedenken. Wem die Waffen schlussendlich in die Hände fallen, kann oft nur schwer abgeschätzt werden. Andererseits steht bei dieser Beurteilung der Regierung ein beachtlicher Einschätzungsspielraum zu. Dieser hat aber auch klare Grenzen. So wurde von einigen Vertretern der Regierungsparteien die Belieferung der radikalen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) ins Spiel gebracht, die gegenwärtig ebenfalls im Nordirak gegen die IS kämpft. Angesichts ihrer Geschichte kann von der PKK allerdings nicht ernsthaft angenommen werden, sie fühle sich den Menschenrechten oder dem humanitären Völkerrecht auch nur in rudimentärer Form verpflichtet. Eine Belieferung der PKK wäre somit ein klarer Verstoß gegen die Verpflichtungen der Bundesrepublik aus Art. 7 ATT.

Insgesamt ist die geplante deutsche Waffenlieferung juristisch also nicht zu beanstanden, solange sie zwei Bedingungen erfüllt. Sie darf erstens nicht zu einem Einsatz von Bundeswehrsoldaten etwa zu Trainingszwecken im Ausland führen. Anderenfalls ist ein Parlamentsbeschluss zwingend erforderlich. Zweitens muss die Lieferung von der Überzeugung getragen sein, die Waffen würden nicht zur Gefährdung des Friedens und der Sicherheit, zu Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht oder die Menschenrechte oder zur Förderung des Terrorismus oder der organisierten Kriminalität führen. Nach dieser Vorgabe muss die Belieferung von extremistischen Gruppen wie der PKK nachweislich ausgeschlossen bleiben.

Besonders wichtig erscheint schließlich noch die Feststellung, dass der Schwerpunkt des deutschen Engagements stets weiter auf der humanitären, nicht auf der militärischen Hilfe liegen muss. Die Lieferung von Waffen muss letztlich wesentlich dem Ziel dienen, den Zugang der humanitären Organisationen zu den Opfern im Nordirak zu verbessern. Ein solcher Zugang, um die Menschen mit Medikamenten, Lebensmitteln und Wasser zu versorgen, ist gegenwärtig für die humanitären Organisationen nämlich nahezu unmöglich.   

Der Autor Professor Dr. Pierre Thielbörger hält einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Völkerrecht, insbesondere Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum.

Zitiervorschlag

Professor Dr. Pierre Thielbörger, Deutsche Waffenlieferung an die nordirakischen Kurden: Ein neues Kapitel in der Außenpolitik . In: Legal Tribune Online, 27.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13009/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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