Pressearbeit des BVerfG: Die neue Karls­ruher Wochen­vor­schau

von Dr. Christian Rath

01.09.2023

Erstmals hat das BVerfG an diesem Freitag einen "Wochenausblick" veröffentlicht. Dieser ist Teil der neuen Pressestrategie des BVerfG, die ab dem 1. September 2023 in Kraft tritt. Christian Rath stellt sie vor.

Eigentlich ist es nichts Außergewöhnliches, dass ein Gericht für die Medien und andere Interessierte die kommenden Entscheidungen ankündigt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verschickt wöchentlich eine Vorschau für die nächsten 14 Tage. Die Terminvorschau des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) erscheint monatlich. Und der Bundesgerichtshof (BGH) veröffentlicht seine Verhandlungs- und Verkündungstermine, soweit diese bekannt sind, auf seiner Webseite, oft Monate voraus.

Die Besonderheit beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) liegt darin, dass es nur in den seltensten Fäll mündlich verhandelt und verkündet. Die Verhandlungen und Urteilsverkündungen werden natürlich auch am BVerfG lange vorher angekündigt. Doch die allermeisten Entscheidungen des Gerichts entstehen im schriftlichen Verfahren und werden den Beteiligten lediglich zugesandt bzw. (bei entsprechender Relevanz) auf der Webseite des Gerichts veröffentlicht. Der Termin der Veröffentlichung wurde bisher nicht langfristig geplant, sondern hing vor allem davon ab, wann die Rechtspfleger:innen des Gerichts mit der Prüfung des  Beschlusses fertig sind.

Dementsprechend erfolgten die Ankündigungen bisher sehr kurzfristig. Senatsbeschlüsse wurden drei Werktage vorab auf der Webseite des Gerichts annonciert - und auch das erst seit 2019. Kammerbeschlüsse mit Pressemitteilungen wurden erst am Nachmittag des Vortags angekündigt - per Email an einen Verteiler ausgewählter Journalist:innen, zu denen insbesondere (aber nicht ausschließlich) die Mitglieder der Karlsruher Justizpressekonferenz zählten.

Für alle sichtbar

Gegenüber dieser überkommenen Praxis ist die neue Wochenvorschau ein großer Fortschritt. Jeden Freitag um 9.30 Uhr will das Gericht fortan die Entscheidungen ankündigen, die in der folgenden Woche mit Pressemitteiligung veröffentlicht werden.

Die Veröffentlichung erfolgt ausschließlich auf der Webseite des BVerfG (unter "Presse" - "Wochenausblick"). Die Wochenvorschau wird nicht per Email verschickt. So musste das Gericht nicht über die Kriterien für den entsprechenden Verteiler entscheiden.

Die Veröffentlichung unterscheidet nicht zwischen Senats- und Kammer-Entscheidungen. Damit soll verhindert werden, dass aus der Ankündigung bereits Schlüsse auf den Ausgang des Verfahrens gezogen werden können. So wäre etwa die Entscheidung über eine konkrete Normenkontrolle als Kammersache ein klarer Hinweis darauf, dass die Richtervorlage als unzulässig abgelehnt wird.

Die Wochenvorschau schildert kurz, worum es im konkreten Fall geht, gibt Gericht, Aktenzeichen und Datum der angegriffenen Entscheidung an und nennt den Tag, an dem die Veröffentlichung "voraussichtlich" erfolgen soll.

In der kommenden Woche sollen zum Beispiel drei Entscheidungen veröffentlicht werden. So wird z. B. am Dienstag die Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde veröffentlicht, die sich gegen ein BGH-Urteil aus dem Februar 2022 richtet. Es geht dabei um die Zulässigkeit der Verwendung von Daten aus verschlüsselten Encrochat-Handys, die die französische Polizei gehackt hatte.

Das Gericht behält sich vor, Entscheidungen auch nicht anzukündigen, z.B. weil bereits die Ankündigung einer schriftlichen Entscheidung Rückschlüsse zulassen würde. So soll verhindert werden, dass z.B. erkennbar erfolglose Organkläger:innen ihre Klage kurzfristig noch zurücknehmen.

Nicht genannt werden in der Wochenvorschau die jeweiligen Prozessbevollmächtigten bzw. Anwält:innen. Das Gericht beruft sich hier auf Datenschutz und seine Geschäftsordnung, die eine Anonymisierung der Urteile vor Veröffentlichung vorsieht.

Keine Vorabinformationen mehr

Vorabinformationen über die Inhalte der Entscheidungen wird es nicht mehr geben. Das BVerfG hatte die bisherige Praxis bereits Ende März gestoppt und angekündigt, seine gesamten Kommunikationsstrukturen zu überdenken.

Bis dahin galt folgende Vorabinformationspraxis:

  • Vor Urteilsverkündungen konnte die Pressemitteilung (nicht das Urteil) zwischen 20 und 24 Uhr an der Pforte des BVerfG abgeholt werden
  • Vor der Veröffentlichung von Beschlüssen konnte die Pressemitteilung ab 8.30 Uhr (also eine Stunde vor Veröffentlichung) an der Pforte des BVerfG abgeholt werden.

Diese Möglichkeit wurde allerdings nur Vollmitgliedern der Justizpressekonferenz (JPK) gewährt. Diese hatten eine Sperrfrist bis zur Verkündung bzw. Veröffentlichtung einzuhalten. Die JPK ist laut Satzung der "Zusammenschluss rechtspolitischer Journalistinnen und Journalisten, die ständig und weit überwiegend über die Rechtsprechung der obersten deutschen und europäischen Gerichtshöfe einschließlich der Arbeit der Bundesanwaltschaft sowie über Fragen der Rechts- und Justizpolitik berichten". Sie hat derzeit 37 Vollmitglieder aus ganz Deutschland. Die JPK entspricht der Bundespressekonferenz in Berlin und den Landespressekonferenzen in den Landeshauptstädten.

Im März 2023 hatten die Justiziare des Berliner Tagesspiegels und der Bild-Zeitung verlangt, die Vorabinformationen einzustellen hilfsweise die jeweiligen Redaktionen in die Vorabinformation einzubeziehen.

Das Gericht nahm die Schreiben zum Anlass, die Vorabinformationspraxis zunächst auszusetzen und nun ganz einzustellen. Die Richter:innen halten ihre Praxis zwar weiterhin für rechtmäßig. Sie sei "im Interesse zeitnaher, fachlich fundierter Berichterstattung" gerechtfertigt. Allerdings sprächen "die in den vergangenen Jahren eingetretenen Veränderungen des Umfelds" gegen eine Fortführung. Gemeint ist offensichtlich die zunehmende Feindschaft gegenüber staatlichen Institutionen, denen das Gericht keine neue Nahrung geben will.

Auch aus der Justiz, die solche Vorabinformationen nicht kennt, war dem Gericht informell weithin Unverständnis entgegengeschlagen. Probleme wurden vor allem in der Ungleichbehandlung zwischen den Journalist:innen, insbesondere aber zwischen JPK-Journalist:innen und Verfahrensbeteiligten gesehen.

Eine jahrzehntelange Praxis endet

Das BVerfG hatte bis in die 1990er-Jahre keine Pressestelle. Dementsprechend gab es einen gewissen Wildwuchs. So erhielten einzelne Journalist:innen mit guten Beziehungen zu bestimmten Richtern regelmäßig sogar vollständige Urteile vorab, um sich vorzubereiten.

Als Jutta Limbach Präsidentin des BVerfG wurde und 1995 eine Pressesprecherin installierte, war es ihr ein Anliegen, diese Ungleichbehandlung zu beenden. Von nun an wurden alle JPK-Mitglieder in die Vorabinformationen einbezogen.

Lange Zeit gab es am Vorabend vor der Urteilsverkündugng sogar Treffen mit den federführenden Verfassungsrichter:innen, bei denen diese das kommende Urteil erläuterten und die Journalist:innen Fragen stellen konnten. Diese Praxis der Vorabendgespräche war allerdings schon in der Anfangszeit der Präsidentschaft von Andreas Voßkuhle (die 2010 begann) abgeschafft worden.

Im Jahr 2013 gab es am Gericht vertiefte Diskussionen, ob die Vorabinformationen fortgesetzt werden sollten. Am Ende entschied sich das Gericht für die Fortführung, formalisierte den Prozesse jedoch, indem das BVerfG-Plenum "Neue Richtlinien für die Bekanntgabe von Pressemitteilungen" beschloss. Die Existenz dieser Richtlinien waren jedoch weder der Öffentlichkeit noch den JPK-Mitgliedern bekannt. Letztere kannten aber immerhin die Praxis.

Erst 2020 wurden die Vorabinformationen durch einen Bericht des Tagesspiegel-Journalisten Jost Müller-Neuhof öffentlich bekannt. Dieser klagte bereits in Berlin regelmäßig gegen klandestine Pressearbeit, etwa in Hintergrundrunden der Kanzlerin, der Ministerien und der Nachrichtendienste. Die Mitgliedschaft in der JPK hatte er stets aus prinzipiellen Erwägungen abgelehnt.

Eine Klage der AfD gegen die Vorabinformationspraxis des BVerfG scheiterte sowohl im Eil- als auch im Hauptsacheverfahren, weil sie bereits unzulässig war. Die AfD sei nicht in subjektiven Rechten verletzt, entschied zuletzt der VGH Mannheim (Beschluss vom 20.12.2022, Az.: 14 S 2096/22).

Sicherung fachlich fundierter Berichterstattung

Die Verfassungsrichter:innen wollen nun einen anderen Weg gehen, um sachlich-korrekte Berichterstattung zu fördern. So soll den Pressemitteilungen künftig eine jeweils ungefähr ein-seitige Zusammenfassung in allgemeinverständlicher Sprache vorangestellt werden. Dies soll insbesondere bei sehr langen Pressemitteilungen (die bei komplexen Entscheidungen bis zu zwölf Seiten umfassen können) helfen, den Inhalt schnell zu erfassen. So sollen auch Nachrichtenagenturen und Online-Journalisten, die unter Zeit- und Wettbewerbsdruck stehen, kurzfristig und korrekt berichten können.

Sicherstellen will das Gericht auch, dass Verfahrensbeteiligte stets vor den Journalist:innen informiert werden. Deshalb sollen die Entscheidungen per Brief am Vortag vor der Veröffentlichung verschickt werden und sicherheitshalber eine Stunde vorab auch per Email oder Fax zugestellt werden.

Die Grundzüge der neuen BVerfG-Pressestrategie sind in einem Plenumsbeschluss niedergelegt, der im August per Umlauf beschlossen wurde.

Der Autor Christian Rath ist Vorstandsmitglied der JPK, schreibt hier aber im eigenen Namen.

Zitiervorschlag

Pressearbeit des BVerfG: Die neue Karlsruher Wochenvorschau . In: Legal Tribune Online, 01.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52614/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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