Urheberrechtlicher Schutz für Designklassiker?: Streit um USM-Regale vor dem Bun­des­ge­richtshof

von Marie Winzek

24.11.2023

Das USM Haller-Regalsystem ist schick, aber teuer. Ein Nürnberger Unternehmen wollte hieraus Profit schlagen und wurde daraufhin von USM wegen Plagiatsvorwürfen verklagt. Nun wurde vor dem BGH über den Urheberschutz der Regale verhandelt.

Das modulare Möbelbausystem "USM Haller" ist nicht nur einfach ein Möbelstück. Die zeitlos designten Regale zieren weltweit Chefetagen, Arztpraxen und Kanzleien und dienen der Inszenierung als erfolgreiches Unternehmen mit Stil und Klasse. 1963 hat der Architekt Fritz Haller das Regalkonzept entworfen: Hochglanzverchromte Rundrohre werden mittels kugelförmiger Verbindungsknoten zu einem Gestell zusammengesetzt, in das verschiedenfarbige Verschlussflächen aus Metall, sogenannte Tablare, eingesetzt werden. 2002 schließlich ist das Regalsystem im Olymp der zeitlosen Designklassiker angekommen: es wird im New Yorker MoMa im Bereich "Architecture and Design" ausgestellt.

Doch wer vom USM Haller-Image profitieren will, muss tief in die Tasche greifen. Für ein einfaches Sideboard mit vier Türen verlangt das schweizerische Familienunternehmen USM bereits über 2.000,- Euro. Kein Wunder also, dass andere Unternehmen ihre Chance mit Alternativangeboten wittern. Während einige Firmen ähnlich konstruierte Regale im Angebot haben, bietet das Nürnberger Unternehmen Konektra in seinem Online-Shop explizit Ersatzteile und Erweiterungszubehör für das individuell konfigurierbare USM-Regal-System an. In Form und Farbe entsprechen sie überwiegend den Originalteilen – sind jedoch 15% günstiger. Seit dem Relaunch des Online-Shops bietet Konektra neben den Ersatzteilen auch einen Montageservice an: Kund:innen können sich die gekauften Einzelteile also im trauten Heim zu einem vollständigen Regal zusammenbauen lassen.

OLG Düsseldorf verneint Urheberschutz

Seit 2019 streiten die Parteien nun: USM wirft Konektra vor, ihr modulares Möbelbausystem "USM Haller" zu plagiieren und verlangt, den Verkauf zu unterlassen. USM klagte und machte vor den Instanzgerichten einen urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch und Ansprüche aus Wettbewerbsrecht geltend. Das Landgericht Düsseldorf hatte in dem Regal ein urheberrechtlich geschütztes Werk gesehen und der Klage aus Urheberrecht überwiegend stattgegeben (Urt. v. 14.07.2020, Az. 14c O 57/19). Zuletzt hatte das OLG Düsseldorf im Juni 2022 den urheberrechtlichen Anspruch abgelehnt, den hilfsweise geltend gemachten Anspruch aus Wettbewerbsrecht aber zugesprochen (Urt. vom 02.06.2022, Az. 20 U 259/20). 

Für das OLG handele sich bei dem USM Haller-Möbelbausystem nicht um ein urheberrechtlich geschütztes Werk der angewandten Kunst, da es an der für eine "eigene geistige Schöpfung" erforderliche Originalität fehle. Die Schaffung des USM-Haller-Regals sei durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt worden. Raum für die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in der Entscheidung Brompton Bicycle (Urt. v. 11.06.2020, Az. C-833/18) verlangte "Ausübung künstlerischer Freiheit", das Widerspiegeln der Persönlichkeit in den USM Haller-Regalen, habe es nicht mehr gegeben. Dass das Möbelsystem als Designklassiker in Museen aufgenommen wurde, war laut dem OLG jedenfalls kein Indiz für seine urheberrechtliche Werkeigenschaft.

Den Unterlassungsanspruch aus Wettbewerbsrecht hatte das OLG hingegen zugesprochen. Damit will sich USM jedoch nicht zufriedengeben. Denn der verfolgte Urheberrechtsschutz ist von größerer Bedeutung: Der Urheber eines Werkes wird auf besondere Weise geschützt. Ihm stehen höchstpersönliche, also nicht übertragbare Rechte, wie das Recht auf Erstveröffentlichung, zu. Darüber hinaus hat er weitreichende Rechte, über die Nutzung und Verwertung seines Werkes zu bestimmen. Für USM geht es also auch um die Wahrung des Status-quo und viel Geld.

BGH hält sich nicht für schlauer als schwedisches Gericht

Beide Parteien legten Revision ein. Während USM die urheberrechtlichen Ansprüche weiterverfolgt, begehrt Konektra die vollständige Abweisung der Klage. Knapp anderthalb Jahre nach der Entscheidung des Berufungsgerichts ging es nun am Donnerstag vor dem Bundesgerichtshof (BGH) weiter (Az. I ZR 96/22).

Der Vorsitzende Richter am BGH Prof. Thomas Koch macht den Parteien allerdings keine Hoffnung auf ein schnelles Urteil. Grund dafür sei ein seit September beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängiges Vorabentscheidungsverfahren: Das schwedische Höhere Gericht für Marken-Patentsachen (Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstolen) hat dem EuGH auch für das hiesige Verfahren relevante Fragen zum Werkbegriff bei einem Werk der angewandten Kunst vorgelegt (Mio u.a, Az. C-580/23). Auch hier bilden Fragen um den Schutzbereich bei Werken der angewandten Kunst den Schwerpunkt. Unter anderem will das schwedische Gericht wissen, ob es für die Prüfung der Originalität auf den Schöpfungsprozess und die Erklärung des Schöpfers oder den Schöpfungsgegenstand als Ergebnis ankommt. Der BGH könne jetzt nicht einfach sagen, "er wisse es besser" als das Schwedische Gericht und eine Entscheidung treffen, so der Vorsitzende Dr. Koch. Es blieben zwei Optionen: die Entscheidung des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren abwarten oder "selbst vorlegen". Dabei spreche für eine eigene Vorlage insbesondere, dass das Gericht eine für das eigene Verfahren präzisere Antwort bekäme.

Das Urheberrecht ist in den europäischen Mitgliedstaaten unter anderem durch die Urheberrechtsrichtlinie 2001 in großen Teilen harmonisiert worden. Der zentrale Begriff des Werkes ist jedoch nicht für alle Werkarten definiert worden. Stattdessen wird er maßgeblich durch die Rechtsprechung des EuGH geformt.

Hat der Designschutz Vorrang?

Im Hinblick auf ein mögliches Vorabentscheidungsverfahren stellte der Vorsitzende vier Fragen in den Raum, die dem EuGH vorgelegt werden könnten.

Die erste potenzielle Vorlagefrage betreffe das Verhältnis zwischen Design- bzw. Geschmacksmusterschutz und Urheberrechtsschutz. Dies ist insbesondere relevant bei Werken der angewandten Kunst, die immer einen Gebrauchszweck besitzen. Muss der Designschutz gegenüber dem Urheberrechtsschutz vorrangig sein? Dann könnte der Urheberrechtsschutz nur ausnahmsweise greifen. Der EuGH habe in der Cofemel-Entscheidung (Urt. v. 12.09.2019, Az. C-683/17) ausdrücklich den kumulativen Schutz betont: ein Objekt kann als Muster einerseits und als urheberrechtliches Werk andererseits geschützt sein. Allerdings habe der EuGH auch betont, dass diese Kumulation nur in manchen Fällen vorliegen kann. Der Grund: Design- und Urheberrecht haben unterschiedliche Schutzvoraussetzungen und -bereiche, und erfüllt andere Funktionen. Der Geschmacksmusterschutz sei bei Werken der angewandten Kunst faktisch leichter zu erlangen als der Urheberrechtsschutz, führte der Vorsitzende Koch aus. Dem stimmte auch der Rechtsanwalt von Konektra Norbert Tretter zu. Die höheren Anforderungen an den Urheberrechtsschutz hätten Bedeutung für den Wirtschaftsverkehr, die Anforderungen an den Schutz dürften nicht abgesenkt werden. Dies könnte auch für den EuGH für einen Vorrang des Designschutzes sprechen.

Schöpfungsprozess oder Schöpfungsgegenstand

Eine zweite Vorlagefrage könnte nach Ansicht des Senats die Beurteilung der "Originalität" eines Objekts betreffen. Ist hierbei auf den subjektiven Schöpfungsprozess oder den Schöpfungsgegenstand abzustellen? Das OLG hatte in seiner Entscheidung auch auf den Schöpfungsprozess abgestellt – im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH. Ob dies im Einklang mit den Schutzvoraussetzungen des europäischen Werkbegriffs war, könnte der EuGH beantworten.

Das Gericht wies auf seine Rechtsprechung hin, wonach es für die Originalität nicht auf die subjektive Sicht des Schöpfers ankommt, sondern das objektive Ergebnis der Schöpfung aus Sicht eines objektiven Betrachters entscheidend ist. Andernfalls käme man doch zu "merkwürdigen Ergebnissen", so der Vorsitzende. Dann hätten Künstler:innen es selbst in der Hand, das Kriterium der Originalität einer Schöpfung zu beeinflussen. Doch kann man Künstler:innen diese Bewertung überlassen? Der Vorsitzende jedenfalls zweifelte daran, dass Künstler:innen das erforderliche Verständnis dafür mitbrachten. "Schriftsteller verstehen von der Literatur auch nicht mehr als Vögel von der Ornithologie", zitierte er dann den Autor Marcel Reich-Ranicki. Auch die Beantwortung von Beweisfragen gestalte sich schwierig, wenn man im Hinblick auf die Originalität eines Werkes auf subjektive Voraussetzungen abstellt.

Das MoMa und weitere nachträgliche Umstände

Eine weitere Frage an den EuGH könnte die für die Frage der Originalität zu berücksichtigenden Umstände betreffen: Kann auf Umstände abgestellt werden, die nach der Schöpfung liegen – hier der Einzug der USM Haller-Regale in die Museen? Der EuGH ist dahingehend in seiner Cofemel-Entscheidung eindeutig: Nein. Es komme lediglich auf den Zeitpunkt der Schöpfung an. Der Vorsitzende sah dies in der Verhandlung anders. Er betonte, dass sich auch aus zeitlich der Schöpfung nachfolgenden Umständen Schlüsse auf den Moment der Schöpfung eines Werkes ziehen lassen. Für eine Berücksichtigung spreche also etwas – das könnte auch der EuGH so sehen.

Auch der Klägervertreter Dr. Reiner Hall sah die Möglichkeit, dass solche nachträglichen Umstände eine "Verständnishilfe" sein könnten. Die Aufnahme der USM Haller-Regale in museale Ausstellungsräume müsse doch jedenfalls ein Indiz sein, wenn "Leute vom Fach" zu dem Ergebnis kämen, dass es sich um ein besonderes, jedenfalls ausstellungswürdiges Werk handelt, so Reiner Hall.

Eine Frage der Ästhetik

Eine weitere, vierte Vorlagefrage könnte die Bedeutung der Ästhetik für die Schutzfähigkeit der Regale als Werke der angewandten Kunst betreffen. Der Vorsitzende und die Rechtsanwälte waren sich uneinig, ob es einer solchen Vorlage bedarf. Rechtsanwalt Norbert Tretter sah diese Frage jedenfalls nicht "vorlagewürdig": Der EuGH habe dies bereits zu Genüge in der Cofemel-Entscheidung beantwortet.

Am Ende brachte der Beklagtenvertreter Tretter noch eine wettbewerbsrechtliche Frage auf den Tisch. Sein Ziel war schließlich noch immer die vollständige Klageabweisung, einschließlich des Unterlassungsanspruchs aus Wettbewerbsrecht. Er behauptete, die Stellung der Klägerin im Markt mit USM-Möbeln sei maßgeblich auf ein – mutmaßlich - ungerechtfertigten urheberrechtlichen Schutz zurückzuführen und nicht durch eigene wettbewerbliche Leistung erlangt. Damit spielte er auf eine 25 Jahre alte Entscheidung an: 1988 hatte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main USM einen Urheberrechtsschutz für das Möbelbausystem zuerkannt (Urt. v. 11.02.1988, Az. 6 U 182/85). Die Frage, ob die Ausübung der Marktstellung deshalb als missbräuchlich eingeordnet werden kann, solle ebenfalls dem EuGH vorgelegt werden. Der Klägervertreter bezeichnete diese Ausführungen des Beklagtenvertreters nur als "mutig". Die Möbel der Klägerin seien nach Erscheinen "wie eine Bombe" eingeschlagen. Die heutige Marktstellung sei Ergebnis der jahrzehntelangen Beliebtheit.

Nach knapp 2 Stunden schloss der Vorsitzende Richter die Verhandlung. Wie geht es nun weiter? Das Gericht kündigte eine baldige Entscheidung an, und stellte eine Verkündung am 21. Dezember in den Raum. Der BGH wird das Verfahren für eine Vorabentscheidung des EuGH wohl aussetzen. Dann werden sich die Luxemburger Richter:innen mit der Frage der Originalität der USM Haller-Regale beschäftigen müssen.  

Zitiervorschlag

Urheberrechtlicher Schutz für Designklassiker?: Streit um USM-Regale vor dem Bundesgerichtshof . In: Legal Tribune Online, 24.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53262/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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