Mündliche Verhandlung zum digitalen Nachlass vorm BGH: Face­book und die Toten

von Bastian Biermann

21.06.2018

Im Streit um den Facebook-Zugang einer verstorbenen Tochter bahnt sich die Entscheidung an. Der BGH rückt eine andere Rechtsfrage als das Kammergericht in den Vordergrund – und zwar völlig zu Recht, meint Bastian Biermann.

Der Fall sorgt seit Jahren für Aufsehen: Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) streitet eine Mutter mit Facebook um den Zugang zum Konto ihrer verstorbenen Tochter. Im Jahr 2012 verstarb der damals 15-jährige Teenager nach einem U-Bahn-Unfall. Es stand ein möglicher Suizid im Raum und in diesem Zusammenhang ein Schadensersatzanspruch des Fahrers der U-Bahn, gegen welchen sich die Eltern des verstorbenen Kindes als Erbengemeinschaft zur Wehr setzen. Der Zugang zum Facebook-Account ihrer Tochter soll Anhaltspunkte liefern, die für oder gegen einen Suizid ihrer Tochter sprechen.

Das soziale Netzwerk verweigerte aber die Zugangsverschaffung zum Profil der Tochter, welches sich zu diesem Zeitpunkt bereits im "Gedenkzustand" befand. Dabei wird der Name der Person mit dem Zusatz "In Erinnerung an" angezeigt, niemand kann sich bei einem Konto im Gedenkzustand anmelden und es kann auch nicht bearbeitet werden, sofern der Verstorbene – so wie hier die Tochter – keinen Nachlasskontakt bestimmt hat. Facebook berief sich dabei auf seine allgemeinen Geschäftsbedingungen und – vor allem – auf das in § 88 Abs. 3 Telekommunikationsgesetz (TKG) geregelte Fernmeldegeheimnis.

Die Mutter des verstorbenen Kindes versuchte sodann ihr Ziel unter rechtlicher Inanspruchnahme von Facebook zu erreichen und obsiegte hiermit zunächst beim LG Berlin (Urt. v. 17.12.2015, Az. 20 O 172/15). Die seitens Facebook hiergegen eingelegte Berufung zum Kammergericht (KG) hatte Erfolg: Im Kern bestätigte das KG die Auffassung von Facebook: Das Fernmeldegeheimnis stehe einem Zugangsverschaffungsanspruch der Erben einer verstorbenen Person entgegen (Urt. v. 31. Mai 2017 – 21 U 9/16).

Das KG-Urteil stieß auf viel Kritik. Nicht nur wegen des Schicksals der klagenden Frau, sondern insbesondere, weil das KG allgemein eine Vererbbarkeit von Daten, welche sich auf Servern Dritter befinden, im Ergebnis in Teilen unmöglich macht. Dies ist nicht nur für die Erben misslich, sondern ist auch in rechtlicher Hinsicht äußerst zweifelhaft. Die Mutter hat gegen das Urteil des KG Revision zum BGH eingelegt (Az. III ZR 183/17), die Karlsruher Richter verhandelten am Donnerstag mündlich.

Kontroverse Diskussion: Erbrecht vs. Telekommunikationsrecht

Mit der zunehmenden Digitalisierung stellen Daten (im weitesten Sinne) einen immer größeren Bestandteil des Nachlasses dar: Seien es auf einem Server gespeicherte E-Mails, in einer Cloud abgelegte Dokumente, elektronische Medien oder in Online-Netzwerken gespeicherte Daten. Wie bei jeder aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung führte auch dieser sogenannte digitale Nachlass in der juristischen Literatur zu kontroversen Debatten:

Erfassen die Regelungen des deutschen Erbrechts den digitalen Nachlass interessengerecht oder muss der Gesetzgeber eingreifen? 

Weitgehend einig ist man sich, dass Daten – gleich ob geschäftlicher oder intimer Natur – gemäß § 1922 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf die Erben übergehen (Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge). Ebenfalls wird überwiegend angenommen, dass die Rechtsnachfolge von Todes wegen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen der Provider nicht ausgeschlossen werden kann (Verstoß gegen § 307 BGB).

Äußerst umstritten ist hingegen die Frage, ob das in § 88 Abs. 3 TKG geregelte Fernmeldegeheimnis einem Zugriff der Erben auf die Daten des Erblassers entgegensteht. Letztlich geht es um das Verhältnis des Erbrechts zum Telekommunikationsrecht und die Frage, ob letzteres dem Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge weichen muss.

Die (vorläufige) Einschätzung des BGH

Das KG nimmt diesbezüglich eine rein naturalistische Betrachtung vor und kommt zu dem – nicht sonderlich überzeugenden – Ergebnis, dass es sich bei dem Erben und dem Erblasser schlicht um verschiedene Personen handelt. Der Erbe sei daher "Anderer" im Sinne des § 88 Abs. 3 TKG.

Der BGH sah diesen Aspekt hingegen überhaupt nicht als Kernfrage des Verfahrens an. Er wies im Rahmen der mündlichen Verhandlung am Donnerstag* klar darauf hin, dass nach seiner Sicht die Erben gerade keine "Anderen" im Sinne des § 88 Abs. 2 TKG seien. Vielmehr träten sie gemäß §1922 Abs. 1 BGB – rechtliche betrachtet – an die Stelle des Erblassers und somit grundsätzlich auch in das Vertragsverhältnis zu Facebook ein.

Dieser Ansicht ist uneingeschränkt zu folgen: Der dem deutschen Erbrecht zugrunde liegende Grundsatz der Universalsukzession nach § 1922 Abs. 1 BGB sieht vor, dass der Erbe unverändert in sämtliche Rechtsbeziehungen des Erblassers einrückt. Der Erbe ist in rechtlicher Hinsicht genauso wie der Erblasser zu behandeln, soweit nicht ausnahmsweise etwas anderes bestimmt ist. Das sichert die Kontinuität des Rechtsverkehrs und die Schaffung klarer Zuordnungsverhältnisse über den Tod hinaus.

Das seitens des KG aufgeworfene Argument der Notwendigkeit eines Schutzes der Kommunikationspartner des Erblassers greift dabei nicht: Der Kommunikationspartner muss damit rechnen, dass im Falle eines Todes ein Erbe auftritt und damit auch andere Personen seine Nachrichten zu lesen bekommen. Es ist Sache des Erblassers selbst, zu entscheiden, ob einzelne Nachlassgegenstände seinen Erben zugänglich sein sollen oder nicht. Die Regelung des § 88 Abs. 3 TKG hat jedenfalls nicht zum Ziel, das Erbrecht einzuschränken und insbesondere den Erblasser von dessen eigenen Erben zu schützen. Wenn der Gesetzgeber eine ausnahmsweise Unvererblichkeit von Daten für erforderlich erachtet, so muss er dies explizit regeln.

Einen Schutz der Kommunikationspartner des Erblassers gibt es im Übrigen auch nicht beim herkömmlichen Briefverkehr, was bisher auch nie zur Diskussion stand. Genau so muss der Absender einer Nachricht im Übrigen damit rechnen, dass der Empfänger diese Dritten weiterleiten oder zeigen kann. Dies kann der Absender nicht verhindern und auch für diesen Fall würde die Regelung des § 88 Abs. 3 TKG nicht greifen.

Gleiche Behandlung des digitalen Nachlasses wie für den analogen

Der BGH wies – ebenfalls zutreffend – darauf hin, dass der digitale Nachlass grundsätzlich genauso zu behandeln sei wie der analoge. Es sei insbesondere nicht nachvollziehbar, warum man Nachrichten, welche man über ein elektronisches Kommunikationsprogramm verschickt, erbrechtlich anders behandeln müsse als den herkömmlichen Briefverkehr. Unstreitig fallen nämlich auch Briefe in den Nachlass einer verstorbenen Person und sind deren Erben mithin zugänglich; egal, ob es sich dabei um persönliche Inhalte handelt. Der Gesetzgeber geht mit den Regelungen der §§ 2047 Abs. 2; 2373 S. 2 BGB davon aus, dass auch höchstpersönliche Gegenstände vererbbar sind.

Die Karlsruher Richter sahen am Donnerstag das eigentliche Problem in der Frage, ob im konkreten Fall die Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses zwischen Facebook und der Erblasserin einer Vererbbarkeit des Rechtsverhältnisses – was grundsätzlich möglich sein kann – ausgeschlossen ist. In diesem Zusammenhang wiesen sie nach seiner vorläufigen Einschätzung darauf hin, dass ein Ausschluss wohl nicht schon aufgrund einer Höchstpersönlichkeit des Rechtsverhältnisses angenommen werden könne, da ein solches im Falle von Facebook nicht gegeben ist: Facebook erbringe grundsätzlich eine "neutrale Leistung", welche für jedermann, ohne vorherige Identitätsprüfung in Anspruch genommen werden kann.

Fraglich sei zudem, ob die Regelung zu dem Recht von Facebook, ein Profil eines verstorbenen Nutzers in den Gedenkzustand zu versetzen, erstens überhaupt wirksam in den Vertrag einbezogen wurde und zweitens eine solche Regelung überhaupt wirksam wäre. Beides war für den BGH – zu Recht – zweifelhaft. Jedenfalls könnte eine solche Regelung nicht mit § 307 BGB vereinbar sein.

Einen besonderen vertraglichen Schutz der Vertrautheit der Daten konnte der BGH jedenfalls im Verhältnis der Erblasserin zu deren Erben, die im vorliegenden Falle auch noch deren Eltern und damit nächste Angehörige waren, nicht erkennen.

Schließlich führte der BGH noch aus, dass aus seiner Sicht die Kommunikation, welche der Nutzer über sein Facebookprofil führt, konto- und nicht personenbezogen sei. Im Ergebnis ist dem BGH auch hier zuzustimmen: Der Nutzer eines Facebook-Kontos kann ein solches auch unter einem falschen Namen und ohne Profilbild nutzen. Facebook interessiert es nicht, wer einen Account eröffnet, sondern stellt eine Kommunikationsplattform zur Verfügung. In dieses Rechtsverhältnis können die Erben eines verstorbenen Nutzers freilich gemäß § 1922 Abs. 1 BGB eintreten.

 

Eine gesetzgeberische Klarstellung wäre wünschenswert

Die vorläufige Einschätzung des BGH ist zu begrüßen. Demnach steht – jedenfalls vorläufig – fest: Die erbrechtlichen Regelungen des BGB sind beständig und können mit den gesellschaftlichen Entwicklungen mithalten.  Dennoch wäre es im Sinne der Rechtsklarheit wünschenswert, dass der Gesetzgeber eine Regelung zum Umgang mit dem digitalen Bestandteil eines Nachlasses trifft, etwa auch dahingehend, wie zu verfahren ist, wenn der Erblasser nicht wünscht, dass seine Daten an seine Erben übergehen sollen. Hier könnte das US-amerikanische Recht einen Ansatz liefern. Danach besteht für die Provider grundsätzlich die Pflicht zur Herausgabe von Daten des Erblassers, es sei denn, dieser hat in seinem Testament oder über eine besondere Vorrichtung der Provider Gegenteiliges bestimmt (Fiduciary Access to Digital Assets Act). Mit einer entsprechenden Regelung könnte somit auch dem Interesse des Erblassers an einem postmortalen Datenschutz Rechnung getragen werden.

Das Urteil des BGH wird am 12. Juli 2018 verkündet. Solange es nur bei der Rechtsprechung des BGH bleiben sollte und sich Provider ohne ausdrücklicher gesetzlicher Regelung weiterhin zur Herausgabe von Daten des Erblassers weigern sollten, ist es unvermeidbar, sich zu Lebzeiten zu überlegen, ob und wem die eigenen Daten – sowohl im Falle des Eintritts einer Geschäftsunfähigkeit als auch im Falle des Todes – zur Verfügung stehen sollen.

Der Autor Bastian Biermann ist Rechtsanwalt bei SZA Schilling, Zutt & Anschütz Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Mannheim. Er berät Mandanten insbesondere in der Vermögensnachfolgeplanung und erbrechtlichen Auseinandersetzungen.  

* Tag korrigiert, 22.06.18, 10:05

Zitiervorschlag

Bastian Biermann, Mündliche Verhandlung zum digitalen Nachlass vorm BGH: Facebook und die Toten . In: Legal Tribune Online, 21.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29307/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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