BGH zu fehlerhaften Brustimplantaten: Warum es für den TÜV teuer werden könnte

Gastbeitrag von Dr. Isabel Jakobs

28.02.2020

Im Streit darüber, wer für die Schäden zahlt, die die fehlerhaften Brustimplantate des Herstellers PIP verursacht haben, hat der BGH ein wichtiges Urteil gefällt. Isabel Jakobs zeigt, warum dem TÜV nun Ungemach drohen könnte.

Mit großer Spannung wurde diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 27.02.2020, Az. VII ZR 151/18) hinsichtlich fehlerhafter Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) erwartet. Endlich sollte die Frage geklärt werden, ob der TÜV als sogenannte benannte Stelle den geschädigten Patientinnen haftet. Doch alles der Reihe nach.

Die Brustimplantate des mittlerweile insolventen Unternehmens PIP waren mit minderwertigem Industriesilikon gefüllt. Mit der Durchführung des nach dem Medizinprodukterecht erforderlichen EU-Konformitätsbewertungsverfahrens hatte PIP den TÜV als benannte Stelle beauftragt.

Schon vor gut zweieinhalb Jahren hatte sich der BGH mit der Haftungsfrage im Rahmen einer ähnlichen Sache befasst. Damals blieb eine Entscheidung über die mögliche Anspruchsgrundlage der Haftung allerdings aus, weil es nach Ansicht des BGH schon an einer Pflichtverletzung fehlte.

Endgültig ist zwar auch jetzt noch nichts entschieden worden, denn der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zurück an das Oberlandesgericht Nürnberg. Der beim BGH mit der Sache befasste VII. Zivilsenat machte in der Entscheidung jedoch klar, dass zwar keine vertragliche, aber eine deliktische Haftung der benannten Stelle in Betracht komme.

Was die Vorinstanzen entschieden haben

Erstinstanzlich hatte das Landgericht Nürnberg-Fürth über die Klage einer Krankenkasse verhandelt, die geltend machte, sie habe die Kosten für die Revisionsoperationen für bei ihr gesetzlich versicherte Patientinnen tragen müssen. Diese Patientinnen hatten sich die fehlerhaften Silikonbrustimplantate entfernen lassen. Nach Ansicht der Krankenkasse sollte der TÜV diese Kosten erstatten, da er in seiner Funktion als benannte Stelle im Auftrag des Herstellerunternehmens bei dem notwendigen EU-Konformitätsbewertungsverfahren mitgewirkt hatte. Im Rahmen dieses Konformitätsbewertungserfahrens hatte der TÜV das Qualitätssicherungssystem und die Auslegungsdokumentation bei PIP geprüft und zertifiziert.

Die Klage der Krankenkasse blieb in den beiden Vorinstanzen erfolglos. Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg als Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass weder eine vertrags- noch eine deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren in Betracht komme. Das Gericht stellte sich auf den Standpunkt, dass etwaige Pflichten bei der Überprüfung und Zertifizierung durch die benannte Stelle nicht gegenüber den versicherten Patientinnen bestünden. Damit schied eine Haftung schon aus Rechtsgründen aus.

BGH hält deliktische Haftung für möglich

Der BGH meldete nun Zweifel an dieser Ansicht an und hat das mit der Revision angefochtene Urteil des OLG Nürnberg aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Die Nürnberger Richter sollen nun weitere Tatsachenfeststellungen mit Blick auf die Haftung treffen.

Die Rechtsauffassung des BGH ist damit in einem wesentlichen Punkt klar geworden: Eine vertragliche Haftung – nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter – scheidet aus, doch die deliktische Haftung der benannten Stelle – in diesem Fall der TÜV - kommt durchaus in Betracht.

Im Hinblick auf eine vertragliche Haftung fehle es schon, so der BGH am Donnerstag, an der Leistungs- und Einwirkungsnähe der versicherten Patientinnen zu den Leistungen, die in dem Prüfungs- und Zertifizierungsvertrag zwischen PIP und dem TÜV als benannte Stelle vereinbart wurden. Der Zweck des Vertrages sei nicht auf den Schutz der Patientinnen ausgelegt, sondern diene der Eröffnung des Marktzugangs.

Dieser Rechtsauffassung ist zuzustimmen. Der Hersteller von Medizinprodukten höherer Risikoklassen ist verpflichtet, ein EU-Konformitätsbewertungsverfahren unter Beteiligung einer benannten Stelle durchzuführen. Dies dient als Voraussetzung für das Anbringen einer CE-Kennzeichnung, welches gleichsam als "Reisepass" für den Marktzugang von Medizinprodukten notwendig ist. Die CE-Kennzeichnung – das macht der BGH deutlich – ist jedoch gerade kein Qualitätssiegel, dem die Patientinnen ein gesteigertes Vertrauen entgegenbringen können.

Knackpunkt: Geht es vielleicht doch um den Gesundheitsschutz der Patientinnen?

Interessanterweise hält der BGH jedoch eine deliktische Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung nach § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für denkbar. Die Regelungen zum EU-Konformitätsbewertungsverfahren und zu den Rechten und Pflichten der benannten Stellen bei Medizinprodukten der Risikoklasse III – und dazu zählen Brustimplantate – sind nach Auffassung des Senats Schutzgesetze im Sinne der Vorschrift.

Die hier maßgebliche Regelung zum EU-Konformitätsbewertungsverfahren soll demnach gerade dem Schutz der Gesundheit der Endempfänger der Medizinprodukte dienen, so jedenfalls die Auffassung des BGH, der den Individualschutz der Patienten im Vordergrund sieht. Die Gewährleistung dieses Schutzes soll nach Ansicht der Karlsruher Richter nicht allein Aufgabe des Herstellers sein, sondern auch die der benannten Stelle. Diese habe nämlich eine von ihrem Auftraggeber unabhängige Stellung und diene mit ihrer Prüfungstätigkeit nicht nur dem Hersteller, sondern auch den Endempfängern der Medizinprodukte.

Dass der BGH das so sieht, verwundert, denn damit begibt er sich in einen Widerspruch, hat er doch gerade erst hinsichtlich der vertraglichen Ansprüche den Schutz der Patienten als Ziel und Zweck des EU-Konformitätsbewertungsverfahrens und des Zertifizierungsvertrages abgelehnt. Der BGH betont doch zuvor, dass das EU-Konformitätsbewertungsverfahren aus Herstellersicht gerade nicht den Zweck erfülle, das Verhältnis zu den Patienten abzusichern oder mittels der CE-Kennzeichnung ein besonderes Vertrauen zu generieren. Vielmehr diene es in erster Linie dazu, den Marktzugang für Medizinprodukte zu schaffen.

Dieser Widerspruch könnte im Ergebnis dem Konstrukt des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter geschuldet sein. Schließlich handelt es sich dabei um eine ergänzende Vertragsauslegung, die den mutmaßlichen Parteiwillen im Blick haben muss. Es ist insofern zuzugestehen, dass die Parteien bei einem Zertifizierungsvertrag für das EU-Konformitätsbewertungsverfahren sehr wahrscheinlich nicht den Schutz der Patientinnen im Kopf hatten, sondern es dem Hersteller in erster Linie daran gelegen ist, den Marktzugang für seine Produkte zu ermöglichen. Wie genau der BGH diesen Widerspruch auflöst, wird erst mit dem Volltext des Urteils nach Veröffentlichung zu entnehmen sein. Bisher liegt nur die Pressemitteilung vor.

Was heißt das nun für benannte Stellen wie den TÜV?

Spannend wird die Auswirkung dieser Entscheidung auch auf andere regulatorische Bereiche und auf versicherungsrechtliche Fragen sein.

So ging man bisher davon aus, dass die Mitwirkung einer benannten oder notifizierten Stelle an der Durchführung des EU-Konformitätsbewertungsverfahrens nicht nur im Medizinprodukterecht, sondern z.B. auch im Maschinenrecht oder für die persönliche Schutzausrüstung eher dazu diente, dem Hersteller mit dem nötigen Know-how beiseite zu stehen. Benannte Stellen wie der TÜV sollen ausweislich ihrer Kompetenzen, Pflichten und Aufgaben dem Hersteller einschlägige Informationen zu den jeweils anwendbaren Rechtsvorschriften bereitstellen, das Konformitätsbewertungsverfahren ohne unnötige Belastungen für den Hersteller durchführen und auch als Bindeglied zwischen Hersteller und Marktüberwachungsbehörden oder anderen zuständigen Behörden fungieren. Die benannten Stellen führen Aufgaben wie Kalibrierung, Prüfung, Zertifizierung und Inspektionen durch, während die Produktverantwortung beim Hersteller verbleibt.

Diese Grenzen verschwimmen nach der Begründung des BGH, der die benannte Stelle in das System der deliktischen Haftung gegenüber dem Verwender, dem Patienten oder eines Dritten mit einbeziehen will und die Schutzgesetzverletzung bei einer nachlässigen Prüfung dem Grunde nach ins Auge fasst. Spannend wird für benannte Stellen dann insbesondere sein, ob und wie solche Risiken versichert werden können.

Die Autorin Dr. Isabel Jakobs ist Rechtsanwältin bei Noerr LLP in München. Sie berät Mandanten in den Bereichen Produkthaftung und Produktsicherheitsrecht mit einem besonderen Fokus auf dem Medizinprodukterecht.

Zitiervorschlag

BGH zu fehlerhaften Brustimplantaten: Warum es für den TÜV teuer werden könnte . In: Legal Tribune Online, 28.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40561/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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