Karneval im Unrechtsstaat: Krakehlkopfentzündung

von Martin Rath

10.02.2013

Jährlich mahnen Juristen potenzielle Mandanten, an Alkohol- und Verkehrsdelikte zu denken. Da scheint es wenig juristischen Stoff an Karneval zu geben, obwohl das Fest doch seit über 700 Jahre der "rechtmäßigen Obrigkeit" immer wieder ihre Grenzen zeigen sollte. Auch nach 1933 gingen die Narren um, doch mit dem NS-Recht hatten die Karnevalisten bemerkenswert wenig Reibungspunkte. Ein kleiner Zug durch die Geschichte von Martin Rath.

"Das Narrenreich ist somit zum totalen Staat ernannt worden – und umgekehrt", schrieb eine sozialdemokratische Exil-Zeitung 1936. Als der Zweite Weltkrieg begann, fiel die Karnevalssession 1939/40 natürlich aus, aber in den sechs so genannten Friedensjahren teilten der deutsche Karneval und der NS-Staat ein Stück gemeinsamer Geschichte.

"Ach, schon wieder was mit Nazis?", möchte man fragen. Heute ist der Karneval, die Fastnacht oder der Fasching für Juristen ja fast nur noch Anlass, über die rechtlichen Tücken von Alkohol im Straßenverkehr zu berichten. Auch darf der jährlich fällige Hinweis nicht fehlen, dass kostümierte Narren ein Recht am eigenen Bild haben. So ganz wird das dem Fest nicht gerecht. Im Kommentar der SPD-Exilantenzeitung klingt eine größere Dimension an: Als der Karneval sich im 14. Jahrhundert in Deutschland breitmachte, wurde er theologisch gedeutet. Heute wäre das also eigentlich eine Sache für Staatsrechtler, nicht für Verkehrsjuristen.

Für einige wenige Tage im Jahr führten, so die "staatstheoretische" Dimension, die Narren der rechtmäßigen Obrigkeit vor, dass ihre Herrschaft auf dünnem Eis steht. Regeln werden symbolisch gebrochen, damit sie für den Rest des Jahres um so deutlicher werden: Männer, die sich wie Frauen kleiden. Frauen, die Rathäuser stürmen. Trunkenbolde im Bischofsornat. Kaufleute, die den Soldaten veralbern.

Kein Spaß mit Uniformen

Diese Verdrehung der gewohnten Ordnung rechtfertigt es, von den Berührungspunkten zwischen NS-Recht und Karneval zu berichten: Denn juristischen Formen, in denen sich der Unrechtsstaat ausdrückte, sind noch im demokratisch verfassten Rechtsstaat unserer Tage zu finden. Ihre blutigen Verdrehungen im "totalen Staat" erinnern daran, was wir heute am Rechtsstaat haben.

Das NS-Recht kannte noch sehr viel weniger Spaß, was Uniformen betrifft. Mit dem Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934 (Reichsgesetzblatt I, S. 1269) wurde nicht nur mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bedroht, wer "vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, das Wohl des Reichs oder das Ansehen der Reichsregierung oder das der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei oder ihrer Gliederungen schwer zu schädigen". Nach § 3 dieses so genannten Heimtückegesetzes wurde auch das Tragen bzw. Beisichführen von Parteiuniform oder -abzeichen "bei der Begehung oder Androhung einer strafbaren Handlung" mit Zuchthaus, in privilegierten Fällen mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft.

Wurde die "Absicht" unterstellt, "einen Aufruhr oder in der Bevölkerung Angst oder Schrecken zu erregen, oder dem Deutschen Reich außenpolitische Schwierigkeiten zu bereiten", qualifizierte das den Uniformmissbrauch zu einem Delikt, das mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren, in nicht näher definierten schweren Fällen mit Todesstrafe zu ahnden war.

Für die Session 1933/34 war für den – im Übrigen bis heute ja sehr uniformverlieben Kölner Karneval – klar, dass eine Persiflage auf den Uniformkult der regierenden Partei nicht nur nicht erwünscht, sondern strafbar war. Um zu vermeiden, dass das feiernde Volk sich zu bissigen Bemerkungen hinreißen ließ, wurde von Seiten der Stadtverwaltung sowie der NS-Presse aufgefordert, Hitler-Bilder in den Gastwirtschaften zu entfernen. Im Gegensatz zu Mainz und München wurde auch auf die Hakenkreuz-Beflaggung des Rosenmontagszugs verzichtet.

Widerstandsmythos – Gleichschaltungsrealität

Bis in die 1990er-Jahre wurde in der rheinischen Karnevalshochburg Köln der Mythos gepflegt, der organsierte Fasching sei eine Art Widerstandsnest gegen den NS-Staat gewesen. In der so genannten Narrenrevolte von 1935 hätten sich die Karnevalsgesellschaften der "Gleichschaltung" erfolgreich widersetzt.

Man hätte schon Anlass gehabt. Seit dem 28. Februar 1933 existierte in Deutschland keine Vereinsfreiheit mehr – beseitigt durch die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (RGBl. I, S. 83). Es wäre, rein normtechnisch, ein Leichtes gewesen, jeden deutschen Verein in eine Zwangsorganisation zu überführen.

Doch zu einer hoheitlichen Anordnung, dass die Karnevalsgesellschaften sich der NS-Organisation "Kraft durch Freude" – einem Nebenprodukt der zerschlagenen und enteigneten Gewerkschaften – anschließen sollten, kam es nicht.

Die großen Karnevalsgesellschaften hatten in Köln seit 1823 Jahr für Jahr hunderte von Saalveranstaltungen organisiert, besonders öffentlichkeitswirksam war und ist der Rosenmontagszug.

Das "Motto" der Karnevalssessionen wurde jedoch auch ohne enge organisatorische Einbindung vom Oberbürgermeister der Stadt Köln bzw. dem zuständigen Beigeordneten bestimmt, das Gleiche galt für die Gestaltung der Festwagen des Rosenmontagszugs. Offenbar ohne nähere Ermächtigungsgrundlage stand zudem fest, dass dem Gauleiter der NSDAP, Josef Grohé (1902-1987), mindestens dieselben Befugnisse zustanden. Der wesentliche Mechanismus, Einfluss auf den organisierten Karneval zu nehmen, war ohnehin nicht-juristischer Natur: Die Logistik der öffentlichen Großveranstaltung hing von den Ressourcen der Stadt und der Partei ab. Die Pferde, die beim Rosenmontagszug eingesetzt werden sollten, waren beispielsweise von einer SA-Reitereinheit zu genehmigen.

Als 1935 der für Tourismus zuständige Beigeordnete der Stadt Köln, Wilhelm Ebel, nach dem Vorbild des gleichgeschalteten Münchener Faschings, die Kölner Karnevalsvereine in einem Zentralverein zusammenschließen wollte, protestierten diese unter Führung von Thomas Liessem (1900-1973) - der als Chef der "Prinzen-Garde 1906" nicht nur die Vereine hinter sich brachte, sondern als NSDAP-Mitglied seit 1932 auch "gut nationalsozialistisch" argumentieren konnte. Jedenfalls der Sitzungs- und der formierte Straßenkarneval folgte also ohnehin den Linien der Partei.   

Zitiervorschlag

Martin Rath, Karneval im Unrechtsstaat: Krakehlkopfentzündung . In: Legal Tribune Online, 10.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8129/ (abgerufen am: 17.04.2024 )

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