Karneval im Unrechtsstaat: Krakehlkopfentzündung

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Jährlich mahnen Juristen potenzielle Mandanten, an Alkohol- und Verkehrsdelikte zu denken. Da scheint es wenig juristischen Stoff an Karneval zu geben, obwohl das Fest doch seit über 700 Jahre der "rechtmäßigen Obrigkeit" immer wieder ihre Grenzen zeigen sollte. Auch nach 1933 gingen die Narren um, doch mit dem NS-Recht hatten die Karnevalisten bemerkenswert wenig Reibungspunkte. Ein kleiner Zug durch die Geschichte von Martin Rath.
"Das Narrenreich ist somit zum totalen Staat ernannt worden – und umgekehrt", schrieb eine sozialdemokratische Exil-Zeitung 1936. Als der Zweite Weltkrieg begann, fiel die Karnevalssession 1939/40 natürlich aus, aber in den sechs so genannten Friedensjahren teilten der deutsche Karneval und der NS-Staat ein Stück gemeinsamer Geschichte.
"Ach, schon wieder was mit Nazis?", möchte man fragen. Heute ist der Karneval, die Fastnacht oder der Fasching für Juristen ja fast nur noch Anlass, über die rechtlichen Tücken von Alkohol im Straßenverkehr zu berichten. Auch darf der jährlich fällige Hinweis nicht fehlen, dass kostümierte Narren ein Recht am eigenen Bild haben. So ganz wird das dem Fest nicht gerecht. Im Kommentar der SPD-Exilantenzeitung klingt eine größere Dimension an: Als der Karneval sich im 14. Jahrhundert in Deutschland breitmachte, wurde er theologisch gedeutet. Heute wäre das also eigentlich eine Sache für Staatsrechtler, nicht für Verkehrsjuristen.
Für einige wenige Tage im Jahr führten, so die "staatstheoretische" Dimension, die Narren der rechtmäßigen Obrigkeit vor, dass ihre Herrschaft auf dünnem Eis steht. Regeln werden symbolisch gebrochen, damit sie für den Rest des Jahres um so deutlicher werden: Männer, die sich wie Frauen kleiden. Frauen, die Rathäuser stürmen. Trunkenbolde im Bischofsornat. Kaufleute, die den Soldaten veralbern.
Kein Spaß mit Uniformen
Diese Verdrehung der gewohnten Ordnung rechtfertigt es, von den Berührungspunkten zwischen NS-Recht und Karneval zu berichten: Denn juristischen Formen, in denen sich der Unrechtsstaat ausdrückte, sind noch im demokratisch verfassten Rechtsstaat unserer Tage zu finden. Ihre blutigen Verdrehungen im "totalen Staat" erinnern daran, was wir heute am Rechtsstaat haben.
Das NS-Recht kannte noch sehr viel weniger Spaß, was Uniformen betrifft. Mit dem Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934 (Reichsgesetzblatt I, S. 1269) wurde nicht nur mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bedroht, wer "vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, das Wohl des Reichs oder das Ansehen der Reichsregierung oder das der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei oder ihrer Gliederungen schwer zu schädigen". Nach § 3 dieses so genannten Heimtückegesetzes wurde auch das Tragen bzw. Beisichführen von Parteiuniform oder -abzeichen "bei der Begehung oder Androhung einer strafbaren Handlung" mit Zuchthaus, in privilegierten Fällen mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft.
Wurde die "Absicht" unterstellt, "einen Aufruhr oder in der Bevölkerung Angst oder Schrecken zu erregen, oder dem Deutschen Reich außenpolitische Schwierigkeiten zu bereiten", qualifizierte das den Uniformmissbrauch zu einem Delikt, das mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren, in nicht näher definierten schweren Fällen mit Todesstrafe zu ahnden war.
Für die Session 1933/34 war für den – im Übrigen bis heute ja sehr uniformverlieben Kölner Karneval – klar, dass eine Persiflage auf den Uniformkult der regierenden Partei nicht nur nicht erwünscht, sondern strafbar war. Um zu vermeiden, dass das feiernde Volk sich zu bissigen Bemerkungen hinreißen ließ, wurde von Seiten der Stadtverwaltung sowie der NS-Presse aufgefordert, Hitler-Bilder in den Gastwirtschaften zu entfernen. Im Gegensatz zu Mainz und München wurde auch auf die Hakenkreuz-Beflaggung des Rosenmontagszugs verzichtet.
Widerstandsmythos – Gleichschaltungsrealität
Bis in die 1990er-Jahre wurde in der rheinischen Karnevalshochburg Köln der Mythos gepflegt, der organsierte Fasching sei eine Art Widerstandsnest gegen den NS-Staat gewesen. In der so genannten Narrenrevolte von 1935 hätten sich die Karnevalsgesellschaften der "Gleichschaltung" erfolgreich widersetzt.
Man hätte schon Anlass gehabt. Seit dem 28. Februar 1933 existierte in Deutschland keine Vereinsfreiheit mehr – beseitigt durch die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (RGBl. I, S. 83). Es wäre, rein normtechnisch, ein Leichtes gewesen, jeden deutschen Verein in eine Zwangsorganisation zu überführen.
Doch zu einer hoheitlichen Anordnung, dass die Karnevalsgesellschaften sich der NS-Organisation "Kraft durch Freude" – einem Nebenprodukt der zerschlagenen und enteigneten Gewerkschaften – anschließen sollten, kam es nicht.
Die großen Karnevalsgesellschaften hatten in Köln seit 1823 Jahr für Jahr hunderte von Saalveranstaltungen organisiert, besonders öffentlichkeitswirksam war und ist der Rosenmontagszug.
Das "Motto" der Karnevalssessionen wurde jedoch auch ohne enge organisatorische Einbindung vom Oberbürgermeister der Stadt Köln bzw. dem zuständigen Beigeordneten bestimmt, das Gleiche galt für die Gestaltung der Festwagen des Rosenmontagszugs. Offenbar ohne nähere Ermächtigungsgrundlage stand zudem fest, dass dem Gauleiter der NSDAP, Josef Grohé (1902-1987), mindestens dieselben Befugnisse zustanden. Der wesentliche Mechanismus, Einfluss auf den organisierten Karneval zu nehmen, war ohnehin nicht-juristischer Natur: Die Logistik der öffentlichen Großveranstaltung hing von den Ressourcen der Stadt und der Partei ab. Die Pferde, die beim Rosenmontagszug eingesetzt werden sollten, waren beispielsweise von einer SA-Reitereinheit zu genehmigen.
Als 1935 der für Tourismus zuständige Beigeordnete der Stadt Köln, Wilhelm Ebel, nach dem Vorbild des gleichgeschalteten Münchener Faschings, die Kölner Karnevalsvereine in einem Zentralverein zusammenschließen wollte, protestierten diese unter Führung von Thomas Liessem (1900-1973) - der als Chef der "Prinzen-Garde 1906" nicht nur die Vereine hinter sich brachte, sondern als NSDAP-Mitglied seit 1932 auch "gut nationalsozialistisch" argumentieren konnte. Jedenfalls der Sitzungs- und der formierte Straßenkarneval folgte also ohnehin den Linien der Partei.
2/2: Kammerpflicht für Karnevalisten
Das Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 (RGBl. I, S. 661) schrieb in der unglaublichen Blankett-Norm seines § 1 außerdem vor: "Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda wird beauftragt und ermächtigt, die Angehörigen der Tätigkeitszweige, die seinen Aufgabenkreis betreffen, in Körperschaften des öffentlichen Rechts zusammenzufassen."
Damit wurden alle, die im Zusammenhang mit dem Karneval öffentlich tätig werden wollten, von der Kammerpflicht erfasst. Der Büttenredner Karl Küpper (1905-1970), der heute vom linksliberal-grünen Alternativkarneval verehrt wird, benötigte für seine Auftritte die Genehmigung der zuständigen Teilkammern – was diesen einerseits zwar die Nachzensur seiner teils regimekritischen Reden erlaubte, andererseits aber den durchaus lukrativen Markt der Karnevalskunst leerräumte. Für die wenigen 'Comedians' der NS-Unterhaltung sind Jahreseinkommen von stolzen 10.000 Reichsmark überliefert. Für die Kammermitglieder lohnte sich die Unfreiheit.
Was an Scherzen kam, war manchmal mutig, aber doch flach: Küpper hob beispielsweise bei Karnevalssitzungen den rechten Arm, eine Anspielung auf den Hitlergruß, und bemerkte: "Su huh litt bei uns dr Dreck em Keller." ("So hoch liegt bei uns der Dreck im Keller.")
Nach einer Inhaftierung durch die Gestapo erzählte Küpper in einer Sitzung „ich han en Krakehlkopfentzündung. Fünf Zäng, die mohten eraus. Die han ich m’r durch de Nas trecke loße! Ich mache de Muhl nit mih op!" ("Ich habe eine Krakehlkopfentzündung. Fünf Zähne mussten heraus. Die habe ich mir durch die Nase ziehen lassen. Ich mache das Maul nicht mehr auf!")
Wie die Tanzmariechen weiblich wurden
Zum Gegenstand eines eigenen Karnevalswagens beim Rosenmontagszug von 1936 wurden die im Reichsgesetzblatt von 1935 (Teil I S. 1145 ff.) veröffentlichten Gesetze.
Der vom Kölner Architekten Franz Brantzky (1871-1945) entworfene Motivwagen zeigt eine "Paragraphen-Figur", die einem Mann auf den Schlips tritt. Der solcherart gewürgte Mann ist – mit wulstigen Lippen, riesiger Nase und übergroßen Händen – dem antisemitischen Klischee der Zeit entsprechend gestaltet.
Die mit einem "Däm han se op d’r Schlips getrodde!" ("Dem haben sie auf den Schlips getreten!") kommentierten Normen sind die der Nürnberger Gesetze. Man muss das als zynische Verharmlosung werten, entzogen diese Gesetze doch Juden die deutsche Reichsbürgerschaft, verboten Eheschließungen zwischen Juden und Personen "deutschen oder artverwandten Blutes" und stellten außereheliche Sexualkontakte unter Strafe. Gesetze, die von der sozialdemokratischen Exilpresse zurecht als Ausdruck eines sexualpathologischer Wahns beschrieben wurden.
Für diese normativen Entrechtungsprozesse hat Ernst-Wolfgang Böckenförde das Wort "Bürgerverrat" geprägt. Das wirkt ein bisschen harmlos. Nicht wegen der Verbrechen, die dann noch folgen sollten. Davon wussten die schamlosen Kölner Karnevalisten 1936 ja noch nichts. Harmlos ist es angesichts der Verratstiefe: Zwölf Jahre zuvor hatte Architekt Brantzky für die jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs eine Gedenktafel an der Kölner Hauptsynagoge gestaltet. Man nimmt was man bekommt und verrät seine Mitbürger. Das ist a priori erbärmlich.
Eine bis heute nachwirkende Spur im Karneval hinterlässt auch das Gesetz vom 28. Juni 1935 (RGBl. I, S. 839, 841): Das so genannte Tanzmariechen der uniformierten Karnevalsregimenter war bis zum Erlass dieses Gesetzes – das neben dem ausdrücklichen strafrechtlichen Analogie-Gebot auch drastisch verschärfte Strafbarkeit männlicher homosexueller Handlungen vorschrieb – ein als Frau verkleideter Mann gewesen. Auch die "Jungfrau" im "Dreigestirn" musste jetzt einem weiblichen Darsteller Platz machen. Während das prestigeträchtige Jungfrauenamt nach 1945 wieder an einen Mann ging, blieben die "Tanzmariechen" bis heute weiblich – auch aus Gründen der höheren Popularität und der bald einsetzenden TV-Vermarktung des rheinischen Frohsinns.
Lichtblicke in der NS-Karnevals- und Rechtsgeschichte
Angesichts so viel unerfreulicher Daten muss der Held des Düsseldorfer Vereinskarnevals erwähnt werden, Leo Statz (1898-1943).
Wurde gegen den Kölner Büttenredner-Star Karl Küpper in der Vorkriegszeit wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz ermittelt, liefen Kritiker des NS-Staats seit dem 26. August 1939 Gefahr, nach § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (RGBl. I, S. 1455) abgeurteilt zu werden. Der prominente Düsseldorfer Karnevalist Leo Statz soll 1943 einem verwundeten Soldaten gegenüber geäußert haben, dass der seine Knochen für Hitler hingehalten habe und es, so schwer beschädigt, nicht leicht haben werde. Der Volksgerichtshof unter Vorsitz von Dr. iur. Roland Freisler verurteilte Statz wegen Wehrkraftzersetzung zum Tod (Urteilstext hier).
Josef Grohé, der Kölner Gauleiter, der den Kölner Oberbürgermeister – über die traditionelle Funktion dieses Amtes im Fasching hinaus – zum "Treuhänder des Karnevals" ernannt hatte, war offenbar selbst ein zurückhaltender Karnevalsgast gewesen – was seine Besuchsfrequenz betraf.
Als er am 12. Februar 1934 doch einmal zu einem Ball der "Roten Funken" Zutritt verlangte, natürlich ohne Karte und daher zunächst erfolglos, schlug Grohé dem wachhabenden "Funk" Otto Fey die Vorderzähne ein. Fey, ein zwei-Meter-Mann, blieb auf seiner Zahnarztrechnung sitzen und wurde in der Folgezeit schikaniert.
Das ist natürlich unerfreulich. Erfreulicherweise inhaftierte die britische Besatzungsmacht den Kölner Gauleiter nach dem Krieg für insgesamt gut vier Jahre. Und die Briten zerschlugen noch in den 1950er-Jahren – also nach Gründung der Bundesrepublik – ein NS-Netzwerk innerhalb der nordrhein-westfälischen FDP, in das auch Grohé verstrickt gewesen sein soll.
Immerhin blieb der zweiten deutschen Republik damit ein böser Narr als aktiver Politiker erspart.
Literatur:
Zurückgegriffen wurde auf die Disseration von Marcus Leifeld: "Der Kölner Karneval in der Zeit des Nationalsozialismus" (Bonn 2012). Für Wertungen und Zwischentöne ist aber der Autor des vorliegenden Essays allein verantwortlich.