Die juristische Presseschau vom 22. April 2022: Pro­zess­be­ginn gegen Mes­ser­s­te­cher / BGH zu Lea­sing­autos im Die­selskandal / Ver­beam­tung trotz Psy­cho­the­rapie?

22.04.2022

Kernfrage am LG Würzburg: War der Angeklagte Abdirahman J. schuldfähig? Für gezahlte VW-Leasingraten kann laut BGH kein Schadensersatz verlangt werden. Der Laufbahn im Staatsdienst steht eine vergangene Psychotherapie nicht im Weg.

Thema des Tages

LG Würzburg* - Messerstecher von Würzburg: An diesem Freitag beginnt der Prozess wegen dreifachen Mordes, Mordversuchs und schwerer Körperverletzung gegen den Somalier Abdirahman J., der Ende Juni 2021 in Würzburg drei Menschen erstochen und neun verletzt haben soll. Zentral wird es um die Frage gehen, ob J. bei Begehung der Tat schuldfähig war. Dieser hatte angegeben, während der Tat Stimmen gehört zu haben. Er habe sich rächen wollen, weil er von deutschen Behörden "gequält" worden sei. Zwei Gutachten hatten bei J. eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert und ihn für schuldunfähig gehalten. Wenn das Gericht ebenfalls zu diesem Schluss käme, müsste J. freigesprochen werden, könnte aber in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht werden. Die SZ (Clara Lipkowski) berichtet.

Annette Ramelsberger (SZ) weist darauf hin, wie schwer die Feststellung der Schuldunfähigkeit eines Täters für die Opfer zu verkraften sei. Schließlich bleibe die Frage bestehen, wer dann die "Verantwortung und Schuld an den Toten" trage. Es dürfe aber nicht verkannt werden, dass  Täter es in der Psychiatrie "nicht leichter als in Haft" hätten, schließlich ende eine Haftstrafe irgendwann. In der Psychiatrie bleibe der Täter aber, bis er nicht mehr gefährlich ist. Dies könne "wirklich lebenslang" dauern. 

Ukraine-Krieg und Recht

Verbrechen in der Ukraine: Das Parlament in Lettland hat eine einstimmige Entschließung verabschiedet, in der es Russland einen Völkermord in der Ukraine vorwirft. Gleichzeitig forderte Lettland die EU-Mitgliedstaaten dazu auf, den Import von russischem Öl und Gas sofort einzustellen, wie spiegel.de meldet.

Estland – "Z-Symbol": In Estland wurde eine Gesetzesänderung beschlossen, die in der Öffentlichkeit eine Verwendung von Symbolen verbietet, wenn diese Akte der Aggression durch ausländische Staaten unterstützen. Hierunter fallen Symbole wie "Z" und "V", die von Befürwortern des russischen Angriffskriegs genutzt werden und "Für den Sieg" bzw. "Die Kraft liegt in der Wahrheit" bedeuten. Bei Verstoß droht eine Geldbuße von bis zu 1200 Euro bzw. für Unternehmen von bis zu 32.000 Euro. Dies schreibt spiegel.de.

Rechtspolitik

Whistleblowing: LTO (Markus Sehl) gibt einen Überblick zur Kritik am Referentenentwurf für ein neues Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), das Whistleblower vor arbeitsrechtlichen Sanktionen schützen soll, wenn sie sich an interne oder externe Meldestellen wenden. Kritikpunkte sind unter anderem, dass der Entwurf von Vereinbarungen des Koalitionsvertrages abweiche, Lücken bei anonym abgegebenen Hinweisen bestehen und auf deutsche Unternehmen hohe Kosten zukommen, um die Meldestellen einzurichten.

Mindestlohn: Auf dem Verfassungsblog analysiert Rechtsprofessorin Eva Kocher die bevorstehende Änderung des Mindestlohngesetzes (MiLoG), die eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde vorsieht. Ihrer Meinung nach liegen die "Baustellen" in Kontrolle und Durchsetzung des Gesetzes.

Justiz

BGH zu Dieselskandal/VW: Der Bundesgerichtshof hat in drei Fällen entschieden, dass Kläger:innen, die ein vom VW-Dieselskandal betroffenes Fahrzeug nicht gekauft, sondern geleast hatten, keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen VW für bereits geleistete Raten haben. Dem Gericht zufolge entsprächen die Vorteile durch die Nutzung des Autos im Wert den vertraglich vereinbarten Leasingzahlungen. Eine Rückforderung sei aufgrund der unterschiedlichen Rechtsnatur von Kauf und Leasing ausgeschlossen. Noch nicht entschieden wurde hingegen, ob dieses Ergebnis ebenfalls gilt, wenn die Vertragsparteien im Voraus beim Leasing vereinbart hatten, dass das Auto anschließend gekauft wird. Dies berichtet LTO.

BVerwG zu Abschiebungsverbot: Wenn die Existenz eines Abgeschobenen im Herkunftsland (nur) vorübergehend gesichert ist, muss er nicht durch ein Abschiebungsverbot geschützt werden. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht. Dem Betroffenen müsse im Herkunftsland mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verelendung in engem zeitlichen Zusammenhang zur Rückkehr drohen. Hierbei müsse die Gewährung finanzieller Rückkehrhilfen einbezogen werden. Das BVerwG hob eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim auf. Es berichtet LTO.

BFH zu Zweitgrab: Der Bundesfinanzhof hat verkündet, dass die Kosten einer zweiten Grabstätte für den Erblasser vom Erben steuerrechtlich geltend gemacht werden können, wenn das Grabdenkmal angemessen und der Erblasser dort dauerhaft bestattet ist. Zwar könnten grundsätzlich nur die Kosten für die Errichtung einer ersten Grabstätte die Erbschaftssteuer mindern, es gebe jedoch auch Fälle, in denen der Verstorbene zunächst nur provisorisch bestattet wird, bevor er anschließend dauerhaft in einer anderen Grabstätte beigesetzt wird. Das Finanzgericht München hat nun zu entscheiden, was unter einer "angemessenen" Bestattung zu verstehen ist. Dem BFH zufolge müsse dabei berücksichtigt werden, wie der Erblasser gelebt hat, wie viel er hinterlassen hat und welche Bräuche bzw. religiöse Vorgaben maßgeblich sind. Es schreibt LTO.

OLG Celle – Mord an Frederike von Möhlmann: Nun berichten auch SZ (Wolfgang Janisch) und taz (Christian Rath) über die Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle zur Zulässigkeit der Wiederaufnahme im Fall Möhlmann.

OLG Braunschweig zu Dieselskandal/VW-Führungskräfte: Einem Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig zufolge muss das Landgericht Braunschweig über die Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Wertpapierhandelsgesetz entscheiden. Das Landgericht Braunschweig hatte im Januar 2021 entschieden, dass dieses Verfahren gegen Winterkorn eingestellt wird, da ihm eine erheblich höhere Strafe in dem laufenden Betrugsprozess um die Dieselmanipulation drohe. Dies hatte sich jedoch zunächst nicht bewahrheitet, da das Verfahren gegen Winterkorn in dem Strafprozess aufgrund seines Gesundheitszustands abgetrennt wurde. Es berichten LTO und spiegel.de.

VGH Bayern zu Augsburger Klimacamp: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, dass das "Augsburger Klimacamp" im Juli 2020 eine Versammlung war und der Bescheid zur Auflösung dieses Protests von Klimaschützer:innen durch die Polizei rechtswidrig gewesen ist. Damit hat das Gericht die Berufung der Stadt Augsburg gegen das Urteil der Vorinstanz zurückgewiesen. Art. 8 GG schütze im Hinblick auf den Zweck der öffentlichen Meinungsbildung vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens. Hiervon seien auch nonverbale Ausdrucksformen, Plakatmalen, Workshops und Diskussionen mit Politiker:innen im Rahmen des Camps umfasst, so das Gericht. Die Stadt Augsburg war der Meinung, es habe der Event-, Entertainment- und Spaßcharakter im Vordergrund gestanden und die Aktivitäten hätten lediglich vorbereitenden, keinen versammlungsrechtlichen Charakter gehabt. LTO berichtet.

LG Berlin - Andreas Kalbitz: An diesem Freitag verhandelt das Landgericht Berlin über die Klage des ehemaligen AfD-Bundesvorstandsmitglieds Andreas Kalbitz gegen seinen Parteiausschluss. Dieser war nicht mit rechtsextremen Positionen von Kalbitz begründet worden, vielmehr habe er bei seinem Eintritt in die AfD die Mitgliedschaft in Organisationen wie der Heimattreuen Deutschen Jugend unterschlagen, die auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD stehen. Kalbitz sagt, er sei dort nur Interessent gewesen. Einen Eilantrag von Kalbitz hatte das LG Berlin bereits abgelehnt. Die taz (Gareth Joswig) berichtet. 

ArbG Köln zu Kündigung wegen Impfausweisfälschung: Wie LTO berichtet, hat nun auch das Arbeitsgericht Köln entschieden, dass die Vorlage eines gefälschten Impfausweises durch einen Arbeitnehmer einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellt. Mit diesem Verhalten sei das notwendige Vertrauen für die Fortführung des Arbeitsverhältnisses verwirkt, so das Gericht.

StA Bonn mit "Confiscation Group": Wie NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) mitteilte, hat die Staatsanwaltschaft Bonn eine neue Spezialeinheit zur Beschlagnahme und Einziehung kriminell erworbenen Vermögens. Die "Confiscation Group" besteht aus vier Staatsanwälten und einem abgeordneten Richter des Landgerichts Bonn. Urteile zur Einziehung von Vermögen sollen in Zusammenarbeit mit Finanzermittler:innen anderer Landes- und Bundesbehörden schneller vollstreckt werden können. Dies schreibt LTO.

Recht in der Welt

USA – Baldwin-Dreh: Wie LTO und spiegel.de berichten, hat eine US-Behörde für Arbeitsschutz gegen die Produzenten des Western-Films "Rust" nach dem Tod der Kamerafrau Halyna Hutchins eine Geldbuße in Höhe von knapp 137.000 US-Dollar (etwa 126.000 Euro) wegen Verstößen gegen Sicherheitsauflagen verhängt. Die Kamerafrau wurde tödlich verletzt, als Alec Baldwin, Hauptdarsteller und Produzent, mit einer nicht gesicherten Waffe geprobt und dabei auf sie geschossen hatte.

USA – Maskenpflicht: Nachdem eine Bundesrichterin aus Florida die von der nationalen Gesundheitsbehörde verhängte Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln für unwirksam erklärte, hat die US-Regierung gegen die Entscheidung Berufung eingelegt. Auch die US-Gesundheitsbehörde CDC hatte sich hierfür ausgesprochen und betont, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln für die Gesundheit notwendig sei. spiegel.de berichtet.

Türkei – Verfahren gegen Anti-Femizid-Gruppe: Die taz (Jürgen Gottschlich) berichtet über das juristische Vorgehen in der Türkei gegen Organisationen, die sich für Frauen und LGBTI einsetzen. Die Staatsanwaltschaft habe angekündigt, ein Verfahren gegen die Anti-Femizid-Gruppe einleiten zu wollen. Der Grund liege in "Beschwerden besorgter Bürger", die der Gruppe vorwerfen, Familien unter dem Vorwand "zu zerstören", sich für Frauenrechte einzusetzen. Die Gruppe prangert Gewalt gegen Frauen in der Türkei an, wobei häufig Frauen betroffen sind, die sich patriarchalen Vorstellungen von Ehemännern, Vätern, Brüdern oder Freunden nicht unterwerfen wollen.

Russland – Parodie-Statue: Der ukrainisch-russische Künstler Oleg Kulik muss sich vor einem russischen Gericht dem Vorwurf der "Rehabilitierung des Nationalsozialismus" stellen. Ihm wird vorgeworfen, seine Skulptur "Große Mutter" parodiere die Statue der "Mutter Heimat" in Wolgograd. Russlands militärischer Ruhm als Sieger über die Nazis werde hierdurch entweiht. Kulik drohen bei einer Verurteilung bis zu drei Jahre Haft. Dies berichtet die FAZ (Kerstin Holm).

Belgien – Bataclan-Prozess: Nun berichtet auch die SZ (Josef Kelnberger) über den diese Woche gestarteten Prozess, in dem 14 Personen angeklagt sind, die Beihilfe zur Bataclan-Anschlagsserie in Paris 2015 geleistet haben sollen und die "der französischen Justiz keinen Auslieferungsantrag wert waren". Der Prozess sei eine Art "Vergangenheitsbewältigung und Warnung an das Milieu" in Stadtteilen wie Molenbeek, wo sich die "Terroristen wie Fische im Wasser" bewegen.

Sonstiges

Psychotherapie und Verbeamtung: LTO-Karriere (Pauline Dietrich) befasst sich mit der verbreiteten Befürchtung, dass eine Psychotherapie einer Verbeamtung entgegenstehe. Laut Dr. Klaus Schröer vom Bundesvorstand des BVÖGD, dem Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e.V., sei ausschlaggebend, ob vom Eintritt einer Dienstunfähigkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze auszugehen sei. Es werde in die Zukunft geschaut, sodass auch eine in der Vergangenheit liegende Psychotherapie einer Verbeamtung grundsätzlich nicht entgegen stehe, wenn man gesundheitlich geeignet sei. Hole sich jemand Hilfe, um ein besonderes Problem mit professioneller Unterstützung anzugehen wie Prüfungsstress oder -ängste, müsse dies positiv bewerten werden. Dies werde dann durch den Abschlussbericht des behandelnden Psychotherapeuten auch für den Amtsarzt bei seiner Beurteilung ersichtlich.

Das Letzte zum Schluss

Ungewöhnlicher Proviant: Am Münchner Flughafen haben Zollbeamte bei einer Gepäckkontrolle eine gebratene Rohrratte sichergestellt, die ein Passagier seiner Aussage nach als "Proviant" aus Afrika mitgenommen hatte. Die Seuchengefahr verbiete es jedoch, das Fleisch ins Land zu bringen. Es sei sichergestellt und fachmännisch beseitigt worden, schreibt spiegel.de.

*Zuvor war hier fälschlicherweise vom AG Würzburg die Rede. Korrigiert am Tag der Veröffentlichung um 10:28 Uhr

 

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LTO/ok

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 22. April 2022: Prozessbeginn gegen Messerstecher / BGH zu Leasingautos im Dieselskandal / Verbeamtung trotz Psychotherapie? . In: Legal Tribune Online, 22.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48210/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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