Die juristische Presseschau vom 5. April 2022: BAW-Erfolg nach 30 Jahren / Impfpf­licht-Kom­pro­miss vor dem Schei­tern / LG Mün­chen I zu Oktober­fest 2022

05.04.2022

Der Rechtsextremist Peter S. soll 1991 ein Asylbewerberheim in Saarlouis angezündet haben. CDU/CSU lehnt auch Impfpflicht ab 50 ab. Der Verkauf von Tischreservierungen für das noch wackelige Oktoberfest 2022 ist unlauter.

Thema des Tages

BAW – Anschlag auf Asylheim Saarlouis: Dreißig Jahre nach dem Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Saarlouis, bei dem der Flüchtling Samuel Yeboah ums Leben kam, ließ die Bundesanwaltschaft den 50-jährigen Rechtsextremisten Peter S. als Tatverdächtigen festnehmen und dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vorführen. Es bestehe der dringende Tatverdacht des Mordes und des versuchten Mordes an zwanzig weiteren Bewohner:innen sowie der Brandstiftung mit Todesfolge. S. habe am 19. September 1991 den Brand aus rassistischer Gesinnung gelegt, so die Bundesanwaltschaft. Am 16. April 2020 hatte die BAW die Ermittlungen übernommen, die einst bei der saarländischen Landesjustiz eingestellt worden waren, da kein Täter ermittelt werden konnte. Mittlerweile wurden Versäumnisse bei der damaligen Polizeiarbeit eingeräumt. Die Organisationsstruktur habe in Teilen nicht richtig funktioniert, sodass "Defizite bei der Erhebung, Bewertung und Weitergabe von Informationen" festgestellt worden seien. Es schreiben FAZ (Marlene Grunert/Julian Staib), SZ (Kassian Stroh), taz (Christoph Schmidt-Lunau)spiegel.de (Sven Röbel/Wolf Wiedmann-Schmidt) und LTO.

Ukraine-Krieg und Recht

Kriegsverbrechen in der Ukraine: Die EU hat angekündigt, zur Aufklärung mutmaßlicher russischer Kriegsverbrechen Ermittlungsteams von Europol und der EU-Justizbehörde Eurojust in die Ukraine zu schicken. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs hatte bereits Anfang März ein Ermittler-Team in die Ukraine entsandt. Mit Untersuchungen der Leichen in der Kleinstadt Butscha könnte sofort begonnen werden da in Butscha derzeit keine Kampfhandlungen stattfinden und die Ukraine die Kontrolle übernommen hat. Falls es sich bewahrheiten sollte, dass  abziehende russische Soldaten wahllos Zivilisten erschossen haben, wäre dies ein schweres Kriegsverbrechen. Unter Umständen könnte auch ein Völkermord-Verbrechen vorliegen. Die deutsche Bundesanwaltschaft sammelt zwar für ein Strukturermittlungsverfahren Informationen, sie könnte aber zu den Vorgängen in Butscha nur etwas beitragen, wenn Zeug:innen oder Täter:innen nach Deutschland flüchten und hier befragt werden. Es berichten SZ (Ronen Steinke), taz (Christian Rath), LTO und spiegel.de.

Rechtspolitik

Corona – Impfpflicht: 237 Abgeordneten von SPD, Grünen, FDP und Linken haben einen Kompromissvorschlag für ein sogenanntes "Gesetz zur Aufklärung, Beratung und Impfung aller Volljährigen gegen SARS-CoV-2 (SARSCoVImpfG)" vorgelegt. Hiernach soll für Menschen ab 50 ab dem 1. Oktober 2022 eine Impfnachweispflicht gelten. In diesem Alter sei das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs und die Belastung für das Gesundheitssystem am größten. Es sollen gegenüber den Krankenkassen Nachweise über drei Einzelimpfungen erbracht werden, wobei eine Einzelimpfung durch eine Genesung ersetzt werden könnte. Alle Menschen ab 18 Jahren sollen zumindest Nachweise über ein Beratungsgespräch erbringen. Über eine Impfpflicht ab 18 solle im September entschieden werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnte das Kompromissangebot ab. Tino Sorge (CDU) sieht bei einer altersbezogenen Impfpflicht verfassungsrechtliche Probleme. Zudem sei unklar, wie die Beratungspflicht "in der Lebenspraxis" umgesetzt werden solle. Es berichten FAZ (Helene Bubrowski), taz (David Muschenich), Hbl (Jürgen Klöckner), LTO, spiegel.de.

Werner Bartens (SZ) kritisiert, dass selbst ehemalige Befürworter von einer Impfpflicht ab 18 Jahren abrücken. Dies sei nicht rational und könnte für den Herbst ein "fatales Signal" sein. Es sei ein "Trauerspiel".

Corona – Maßnahmen/MaskenpflichtRenate Mikus (LTO) analysiert, unter welchen Voraussetzungen die Maskenpflicht im Einzelhandel auf das Hausrecht gestützt werden kann. Wolfgang Janisch (SZ) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch das Hausrecht seine Grenzen habe. Zwar könne der Eigentümer frei darüber verfügen, wem er Zutritt zu seinem Anwesen gewähre, das Allgemeine Gleichstellungsgesetz verbiete jedoch Diskriminierungen zum Beispiel wegen der Weltanschauung. Dies führe jedoch nicht dazu, dass Coronaleugner sich über eine hausrechtliche Maskenpflicht hinwegsetzen können, schließlich sei ein "Verschwörungsmärchen noch keine Weltanschauung".

Wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mitteilte, wurde auf der Gesundheitsministerkonferenz beschlossen, dass für Menschen mit einer Corona-Infektion ab 1. Mai nur noch eine "dringende Empfehlung" für eine fünf Tage lange Quarantäne gelten solle. Eine verbindliche Quarantäne gelte dann nur noch für infizierte Beschäftigte in Gesundheits- oder Pflegeeinrichtungen, deren Isolation erst nach fünf Tagen mit einem negativem Schnell- oder PCR-Test ende. Es berichten SZ und FAZ (Kim Björn Becker/Helene Bubrowski).

Cyberabwehr: Wie das Hbl (Dietmar Neuerer) berichtet, möchte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mehr Kompetenzen für den Bund bei der Abwehr von Cyberkriminalität und plant hierzu eine Änderung des Grundgesetzes. Die Gefahrenabwehr sei bisher überwiegend Ländersache und damit nicht so schlagkräftig, man müsse den Bund in eine führende Rolle bringen und deutschen Sicherheitsbehörden Cyber-Gegenattacken, sogenannte Hackbacks, ermöglichen, so Faeser. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz kritisiert:"Jeder, der versteht, worum es technisch bei diesem Instrument geht, weiß, wie kompliziert und verfassungsrechtlich problematisch es wäre, wenn der Staat mit Militär oder Polizei im Internet die Integrität IT-technischer Systeme angreifen würde".

Equal-Pay: Für diesen Dienstag ist eine Abstimmung im EU-Parlament über die EU-Equal-Pay-Richtlinie für transparente Löhne geplant, deren Ziel es ist, mehr Transparenz über die Bezahlung in Firmen herzustellen und geschlechtsspezifische Lohnunterschiede einzuebnen. In Deutschland wird dies seit 2017 mit dem Entgelttransparenzgesetz versucht. Dies schreibt das Hbl (Frank Specht).

Justiz

LG München I zu Festzeltreservierungen: Das Landgericht München I hat entschieden, dass eine Eventagentur keine Tischreservierungen für Oktoberfest-Festzelte im Herbst 2022 im Internet anbieten und veräußern darf. Der Verkauf sei irreführend und stelle einen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb dar, da noch nicht feststehe, ob das Oktoberfest dieses Jahr überhaupt stattfindet. Hinweise auf der Webseite, dass es sich um einen "verbindlichen Optionserwerb" handele, suggeriere Verbraucher:innen einen "verbindlichen" Kauf von Oktoberfesttickets. Dies werde zusätzlich durch die Möglichkeit des "Expressversands" auf der Webseite verstärkt, so das Gericht. Es berichtet LTO.

BVerfG – Berliner-Hochschulgesetz: Wie die FAZ (Heike Schmoll) erwähnt, wollen CDU und FDP nach Ostern ein Normenkontrollverfahren gegen eine Bestimmung des Berliner Hochschulgesetzes einleiten, wonach Dauerstellen für Postdoktoranden geschaffen werden müssen, die sich für eine Professur qualifizieren. Das Berliner Gesetz sei nicht verfassungskonform, die Gesetzgebungskompetenz liege beim Bund, der mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz von seiner Kompetenz bereits Gebrauch gemacht habe. Jüngste Verfassungsgerichtsurteile hätten eine prinzipielle Fluktuation wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen als Bestandteil der Wissenschaftsfreiheit eingestuft.

LG Bonn – Cum Ex/Hanno Berger: Vor dem Landgericht Bonn hat der Prozess gegen Hanno Berger wegen Cum-Ex-Geschäften begonnen. Berger hatte - für das Gericht überraschend - einen Umzugskarton neuer Unterlagen aus seinem Schweizer Exil mitgebracht, von dem er sich Entlastung erhofft. Auf Anraten seiner Pflichtverteidiger schwieg der Angeklagte zunächst. Seine Wahlverteidiger hatten sich vor einigen Wochen von ihm getrennt, weil er unbedingt aussagen wollte und damals "beratungsresistent" gewesen sei. Es berichten SZ (Jan Diesteldorf/Nils Wischmeyer), FAZ (Katja Gelinsky), LTO (Stefan Schmidbauer), Hbl (René Bender/Volker Votsmeier) und spiegel.de (Tim Bartz).

LG Hamburg zu Drosten/Wiesendanger: Das Landgericht Hamburg hat am 31. März die sofortige Beschwerde des Virologen Christian Drosten gegen eine Mitte März ergangene Entscheidung des Gerichts abgewiesen, berichtet LTO (Felix W. Zimmermann). Mitte März hatte das LG einzelne kritische Äußerungen des Physikers Roland Wiesendanger als zulässige Meinungsäußerungen eingestuft. Das Gericht hielt nun daran fest, dass die Begriffe "Desinformationskampagne" und "Unwahrheiten" scharfe, aber zulässige Wertungen im wissenschaftlichen Meinungskampf seien. Nun wird Drostens sofortige Beschwerde dem Oberlandesgericht Hamburg zur Entscheidung vorgelegt. Soweit das LG Mitte März auch eine Unterlassungsverfügung gegen Aussagen Wiesendangers beschloss, hat jener Widerspruch eingelegt, über den am 20. Mai vor dem LG verhandelt wird.

LG Kiel zu Dreifachmord nach Trennung: Das Landgericht Kiel hat einen 48-jährigen Zahnarzt zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt, weil er im Mai 2021 seine Ehefrau, deren Freund und einen weiteren Mann erschoss. Sein Motiv sei unter anderem das Scheitern seiner Ehe gewesen. Dies schreiben faz.net und spiegel.de.

AG Dortmund zu Waffensammlung: Das Amtsgericht Dortmund hat einen 69-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffenrecht und das Sprengstoffgesetz verurteilt, weil er in seiner Wohnung große Waffen- und Munitionsbestände lagerte. Dies berichten FAZ (Reiner Burger) und spiegel.de.

Corona – Videoverhandlungen: Wie LTO berichtet, wurde die Digitalisierung in der Justiz durch die Corona-Pandemie beschleunigt und im vergangenen Jahr wurden über 50.000 Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz durchgeführt. Dieses technische Niveau sei jedoch nicht in allen Bundesländern gleichermaßen zu verzeichnen. Insbesondere im Osten gebe es Nachholbedarf, so der Bundesgeschäftsführer des Richterbunds Sven Rebehn.

Recht in der Welt

Ruanda – Urteil gegen "Hotel Ruanda"-Manager: Wie spiegel.de berichtet, hat das Oberste Berufungsgericht Ruandas die 25-jährige Haftstrafe wegen "Terrorismus" gegen den Regierungskritiker Paul Rusesabagina bestätigt. Er war der Held des international beachteten Films "Hotel Ruanda" und rettete während des Völkermordes in Ruanda 1994 vielen Menschen das Leben.

Sonstiges

Deutscher Insolvenzrechtstag: LTO (Hasso Suliak) berichtet über den 19. Deutschen Insolvenzrechtstag in Berlin, bei dem es unter anderem um Themen wie die staatliche Unterstützung von Unternehmen und der EU-Harmonisierung des Insolvenzrechts ging.

Ungarn – Rechtsstaatlichkeit: Die EU-Kommission möchte noch in dieser Woche im Fall Ungarn das Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit starten, das zum Entzug von EU-Mitteln führen kann. Der Europäische Gerichtshof hatte Mitte Februar eine Klage von Polen und Ungarn gegen den neuen Rechtsstaatsmechanismus abgelehnt. Die SPD-Europaabgeordnete Katarina Barley sagte, man müsse Orbán endlich behandeln als das, was er sei, ein "Antieuropäer und ein Feind der Demokratie". Denkbar ist, dass die EU-Kommission zunächst nur gegen Ungarn und nicht wie bisher erwartet auch gegen Polen vorgeht. Es berichten FAZ (Thomas Gutschker), taz (Eric Bonse) und Hbl (Christoph Herwartz).

Energieversorgung: Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) setzt die Bundesnetzagentur vorübergehend als Treuhänderin für Gazprom Germania ein, die deutsche Tochtergesellschaft des russischen Energiekonzerns, um die Energieversorgung in Deutschland zu sichern. Unklare Rechtsverhältnisse und der Verstoß gegen die Meldepflicht im Rahmen der Außenwirtschaftsverordnung, seien Hintergrund der Entscheidung, so das Ministerium. Dies berichten SZ (Michael Bauchmüller), FAZ (Julia Löhr) und LTO.

Kinderrechte: In Deutschland gebe es gravierende Defizite bei der Umsetzung von Kinderrechten, so das UN-Kinderhilfswerks Unicef. Neben Kinderarmut und ungleichen Bildungschancen, wirke sich die Erfahrung von Gewalt auf die Lebenssituation und das Wohlbefinden von Kindern aus. Zudem stünden die Kinderrechte bis heute nicht im Grundgesetz. Zwar seien seit Inkrafttreten der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen vor 30 Jahren Fortschritte erreicht worden, für zu viele Kinder blieben aber zahlreiche Kinderrechte weiter außer Reichweite. Es schreibt spiegel.de.

Das Letzte zum Schluss

Spritztour: Die Polizei stoppte im Saarland einen 15-Jährigen und seinen 14-jährigen Beifahrer, die mit dem Kleinbus einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung, in der sie wohnen, weggefahren waren. Das Ziel der Spritztour sei ein Fast-Food-Restaurant gewesen, so die Polizei. Ein Ermittlungsverfahren wurde unter anderem wegen des Verdachts des Fahrens ohne Fahrerlaubnis eingeleitet, berichtet spiegel.de.

 

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LTO/ok

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. April 2022: BAW-Erfolg nach 30 Jahren / Impfpflicht-Kompromiss vor dem Scheitern / LG München I zu Oktoberfest 2022 . In: Legal Tribune Online, 05.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48043/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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