Die juristische Presseschau vom 24. bis 27. Dezember 2022: Thomas Fischer vs. Spiegel / Max Sch­rems vs. EU-Kom­mis­sion / LG Frank­furt vs. Peter Feld­mann

27.12.2022

Thomas Fischer streitet mit Journalisten über die Verletzung von Dienstgeheimnissen vor der Reichsbürger-Razzia. Max Schrems kündigt neue Klage an, falls die EU den Datentransfer in die USA genehmigt. Frankfurter Ex-OB wurde verurteilt.

Thema des Tages

Razzien und Öffentlichkeit: Kontrovers diskutierte Ex-Bundesrichter Thomas Fischer mit spiegel.de (Jörg Diehl/Martin Knobbe) über die Frage, ob es legitim ist, dass so viele Medien vorab von der bundesweiten Razzia gegen umsturzbereite Reichsbürger wussten. Fischer betonte die Strafbarkeit des Verrats von Dienstgeheimnissen. Es gebe kein Grundrecht des Bürgers, live bei der Verhaftung von Verbrechern dabei zu sein, und kein Grundrecht der Presse, über eine solche Verhaftung vorab informiert zu werden. Er wünsche sich, dass man mit der öffentlichen Berichterstattung über solche Razzien "wesentlich länger" warte. Die beiden Spiegel-Redakteure weisen das zurück, weil bis dahin die veröffentlichte Sichtweise der Behörden von Medien nicht hinterfragt werden könnte. Dass die Presse versuche, über Kontakte im Apparat vorab Informationen zu erhalten, sei eine "jahrzehntealte Praxis". Schon die Spiegel-Durchsuchung 1962 sei vorab bekannt geworden. Auch der Gesetzgeber erkenne das Interesse der Presse an, über Kontakte in Behörden Informationen zu erhalten.

Rechtspolitik

Datenschutz/Datentransfers: Der österreichische Jurist und Datenschutzaktivist Max Schrems (Noyb) will "zu 95 Prozent" auch gegen die von der EU-Kommission Mitte Dezember vorgeschlagene Entscheidung klagen, den US-Datenschutz als gleichwertig mit dem EU-Datenschutz anzuerkennen. Die Einhaltung der "executive order" von Präsident Joe Biden, mit der eine Beschwerdestelle und ein Data Protection Review Court eingerichtet werden sollen, sei für EU-Bürger:innen nicht einklagbar. Schrems hatte vor dem EuGH auch schon Erfolg gegen die Vorgängerentscheidungen der EU-Kommission, "Save Harbour" und "Privacy Shield". Das Hbl (Christoph Herwatz/Dietmar Neuerer u.a) berichtet.

Cannabis: Ronen Steinke (Sa-SZ) kritisiert die EU-Kommission, die bei ihrer bisherigen Ablehnung der Cannabis-Legalisierung versuche, Deutschland für dumm zu verkaufen. Der EU-Rahmenbeschluss von 2004, der es den EU-Staaten überlasse, den privaten Umgang mit Cannabis zu regeln, gelte nicht nur für den Besitz, sondern auch im Vorfeld für Cannabisproduktion und -kauf. Zudem gebe es weltweit genügend Studien, um die Folgen einer Cannabis-Legalisierung seriös abschätzen zu können.

Lieferketten und Menschenrechte: Kurz bevor das deutsche Lieferkettengesetz zum neuen Jahr in Kraft tritt, haben Wirtschaftsvertreter Vereinfachungen für Unternehmen gefordert, berichtet spiegel.de. Viele Dinge seien sehr, sehr schwierig zu handhaben, wird Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, zitiert. Indirekt seien alle Firmen betroffen, "weil große Unternehmen die Anforderungen zwangsläufig an ihre kleineren Zulieferer weitergeben", befürchtet BDI-Präsident Siegfried Russwurm.

Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Andreas Zöllner und Hendrik Schwager haben auf LTO am Tag vor Heiligabend untersucht, welche Auswirkungen das neue Lieferkettengesetz auf die "Geschäftsbeziehungen" des Weihnachtsmanns hätte.

Indexmieten: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat Forderungen nach einer Reform von Indexmieten zurückgewiesen, schreibt spiegel.de. "Mieter mit Indexmietverträgen standen in den vergangenen Jahren zumeist besser da als Mieter mit normalen Mietverträgen", so Buschmann, denn die Lebenshaltungskosten seien viel langsamer gestiegen als die Vergleichsmieten, deshalb hätten sich gerade auch Mietervereine bis vor Kurzem positiv zur Indexmiete geäußert. Vor allem aus der SPD waren nun aber Forderungen erhoben worden, Indexmieten künftig nicht mehr an die Inflationsrate, sondern an die Entwicklung der Netto-Kaltmieten zu koppeln, um sprunghafte Mietanstiege wegen der hohen Inflation zu verhindern.

Erbschaftsteuer: Die verfassungsrechtliche Debatte um die kürzlich vom Bundestag im Jahressteuergesetz beschlossene Umstellung der Immobilienbewertung und die Folgen für die Erbschaftsteuer stellt die Sa-FAZ (Katja Gelinsky) dar. Die bayerische Staatsregierung hat angekündigt, gegen die Neuregelung vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, u.a. weil die Freibeträge nicht erhöht wurden. Während allerdings FDP-Politiker die Ankündigung als "PR-Aktion" werteten, sieht Rechtsprofessor Ekkehart Reimer Klärungsbedarf. Wenn die Zahllast so hoch ist, dass Erben verkaufen müssen, sei auch das grundrechtlich geschützte Erbrecht tangiert. Rechtsprofessor Heribert Anzinger sieht dagegen keine verfassungsrechtlichen Probleme, weil die Möglichkeit einer zinslosen Stundung bestehe.

Kartellrecht/Kronzeugen: Felix von Zwehl (vom Prozessfinanzierer Deminor) kritisiert auf LTO die Forderung des Bundeskartellamtes (BKartA), Kronzeugen zum Nachteil von Geschädigten besser zu stellen. Es sei Aufgabe unseres Rechtssystems, Geschädigten eine vollständige Wiedergutmachung des erlittenen Schadens zu ermöglichen, denn ansonsten würde keinerlei Risiko mehr bestehen, eine Kartellabsprache zu treffen, solange man als erster Selbstanzeige bei der Kartellbehörde stelle. Nach Ansicht des BKartA-Präsidenten gebe es einen Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Kronzeugenanträge von Unternehmen und dem "massiven Anstieg der Aktivitäten von Kartellgeschädigten", etwa in Form von Schadensersatzklagen, weil sich mögliche Kronzeugen vor privaten Kartellschadensersatzklagen fürchteten (gegen die sie bisher auch der Kronzeugen-Status nicht schützt). 

Justiz

LG Frankfurt/M. zu Ex-OB Peter Feldmann: Der abgewählte Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann muss wegen Vorteilsannahme eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 175 Euro bezahlen, hat das Landesgericht Frankfurt/M. am vergangenen Freitag geurteilt. Es ging erstens um eine Rückkehrvereinbarung mit Feldmanns früherer Arbeitgeberin, der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt (AWO), zweitens um die Einstellung von Feldmanns Lebensgefährtin für eine Kita-Leitung bei der AWO, für die sie nicht ausreichend qualifiziert war und überbezahlt wurde, sowie drittens um eine Spendensammlung der AWO für Feldmanns Wiederwahl 2018. Über die Entscheidung berichten Sa-FAZ (Anna-Sophia Lang), Sa-taz (Christoph Schmidt-Lunau), spiegel.de (Matthias Bartsch) und LTO.

Es sei eine harte, aber gerechte Strafe, zu der Peter Feldmann verurteilt worden sei, auch wenn die Richter unter der Forderung der Staatsanwaltschaft geblieben seien, schreibt Thomas Holl (Sa-FAZ). Im Rhein-Main-Teil bescheinigt Carsten Knop (Sa-FAZ) dem früheren OB mangelnden Respekt – vor dem Amt und auch vor dem Gericht. Selbst seine Schlussworte habe er mehr zum Publikum gesprochen. Korruption sei ein Dunkelfeld, schreibt Markus Zydra (Sa-SZ), dem man nur mit Transparenz auf die Spur komme. Wie sonst könne man ehrliche Menschen dafür begeistern, in die Politik zu gehen?

EuGH – Super League: Kritisch sieht Rechtsreferendar Arvid van Loon im FAZ-Einspruch die Schlussanträge von Generalanwalt Athanasios Rantos zur geplanten Fußball-"Super League" einiger Profivereine. Die Argumentation des Generalanwalts, der es für kartellrechtskonform hält, wenn der Fußballverband UEFA Vereine der Super League von seinen eigenen Wettbewerben wie der Champions League auszuschließen droht, bedeute eine dauerhafte Monopolstellung der UEFA. Das Kartellrecht als "Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft" solle eine derartige Hemmung von Innovation und Monopolstellungen aber gerade verhindern.

OVG Bremen zu Falschparkern: Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat der Stadt aufgeben, auf Beschwerden gegen sogenanntes halb aufgesetztes Parken künftig zu reagieren. Bisher werde diese Form des Parkens, insbesondere in eng bebauten Stadtteilen, toleriert, so spiegel.de. Mit dem Urteil haben Anwohner:innen nun den Anspruch, dass ihre Beschwerden gegen Falschparker geprüft werden. Die Begründung der Entscheidung liegt noch nicht vor.

RiDG Berlin – AfD-Richterin Birgit Malsack-Winkemann: Die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) hat Berufung gegen eine Entscheidung des Richterdienstgerichtes Berlin von Mitte Oktober eingelegt, nachdem dieser Versuch, die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann vorzeitig in den Ruhestand zu schicken, erfolglos geblieben war. Die Richterin ist im Zusammenhang mit der Razzia gegen die Reichsbürgerszene verhaftet worden. Die Justizsenatorin sieht durch die jetzt geänderte Sachlage größere Erfolgschancen. Der Spiegel (Severin Weiland) berichtet.

OLG München zu islamistischer Attacke im ICE: Zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren hat das Oberlandesgericht München einen aus Syrien stammenden Palästinenser u.a. wegen versuchten Mordes und Körperverletzung verurteilt. Er hatte vor gut einem Jahr vier Reisende mit einem Messer in einem ICE angegriffen. Das Gericht folgte der Einschätzung der Sachverständigen und schloss eine psychische Erkrankung zum Tatzeitpunkt aus. Die Richter:innen sahen die "radikalislamistische, dschihadistische Einstellung" des Mannes als Grund für die Tat. Die Verteidigung hatte ihren Mandanten als einen schuldunfähigen, paranoid Schizophrenen präsentiert und für einen Freispruch sowie eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus plädiert. Es berichten die Sa-SZ (Benedikt Warmbrunn)Sa-FAZ und LTO

LG Itzehoe zu KZ-Sekretärin Stutthof: Ex-Bundesrichter Thomas Fischer widmet sich in seiner Kolumne auf spiegel.de unter anderem dem in der vergangenen Woche zu Ende gegangenen Strafprozess gegen eine mittlerweile 97-jährige, frühere Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof. Er begrüßt, dass die deutsche Strafrechtswissenschaft letztendlich doch noch "einen dogmatisch gangbaren Weg zur Gerechtigkeit gefunden" hat und dass "das bloße nachträgliche Sich-Distanzieren von der eigenen Tatbeteiligung nun für eine Strafbarkeit unerheblich ist". Fischer stellt fest, dass, nachdem mit dem DDR-Unrechtsregime juristisch sauber aufgeräumt wurde, ein womöglich großer Teil der Deutschen bereit und willens sei, demnächst auch viele Russen von Völkerrechts-Tribunalen aburteilen zu lassen.

GBA – Spion im BND: Nach der Enttarnung eines mutmaßlichen Spions beim Bundesnachrichtendienstes und dessen Festnahme auf Geheiß des Generalbundesanwalts wird auf tagesschau.de (Frank Bräutigam/Christoph Kehlmann) erklärt, was der Vorwurf "Landesverrat" gem. § 99 StGB bedeutet. Erinnert wird auch daran, dass es in jüngerer Zeit immer wieder Fälle von Spionage für Russland gegeben habe. So hatte zum Beispiel das Oberlandesgericht Düsseldorf im November einen Reservisten der Bundeswehr zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, weil er Dokumente an den russischen Militärgeheimdienst übermittelt hatte.

Kindesentzug im Gefängnis: Der Spiegel (Dietmar Hipp/Christopher Pilz) schildert den Fall einer 19-jährigen Frau, die im Gefängnis ein Kind gebärt, das ihr sofort weggenommen und in Pflege gegeben wird. Trotz mehrerer Gerichtsurteile zugunsten der Mutter lebt das Kind nach einem Jahr noch immer bei den Pflegeeltern.

Straftaten an Heiligabend: Über sieben Fälle, in denen an Heiligabend Straftaten begangen wurden, die später vor Gericht landeten, berichtet zeit.de (Eva Sudholt). Vom kaltblütigen Mord bis zum Überfall auf eine Tankstelle, den eine Mutter begangen hat, um ihrer Familie "ein schönes Weihnachtsfest" bescheren zu können, reichen die geschilderten Fälle.

Recht in der Welt

Polen – Justizreform: Florian Hassel (Sa-SZ) portraitiert den polnischen Präsidenten Andrzej Duda, der seit 2015 bis heute konsequent an der weitgehenden Abschaffung des Rechtsstaates mitgewirkt habe. Zwar verdiene er für einige seiner Maßnahmen Respekt, zum Beispiel weil er sein Veto gegen ein Bildungsgesetz einlegte, das Polens Schulen weiter ideologisieren sollte. Duda habe aber Verfassungs- und Gesetzesbrüche gebilligt, die die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtes, des Obersten Gerichtes, normaler Gerichte und des Landesjustizrates (KRS) beseitigten. Außerdem lehne er jetzt ein (nach Aussage von Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki) mit der EU-Kommission abgestimmtes Gesetz ab, nur weil er seine weitreichende, verfassungswidrige Rolle bei der Richterernennung verlieren würde.

Sonstiges

Ingo von Münch: Rechtsprofessor Ingo von Münch hat am Montag seinen 90. Geburtstag begangen und wird aus diesem Anlass von der Sa-FAZ (Johannes Leithäuser) gewürdigt. Sein Ruf habe sich nicht nur aus der Autorenschaft eines Grundgesetzkommentars gespeist, sondern auch aus der Originalität und dem Witz, mit dem er seit 1973 seine Vorlesungen präsentiert habe, die bei Weitem nicht nur Jurastudenten anzogen.

Kanzleien: LTO (Stefan Schmidbauer) blickt auf die 2022er-News im Ressort "Kanzleien und Unternehmen" zurück und erinnert dabei unter anderem an das "Russland-Dilemma" der Wirtschaftskanzleien, die Gründung von gleich zwei konkurrierenden Interessensvertretungen und den "holprigen Start" des Lobbyregisters.

Naturrecht: Warum die Lehre vom Naturrecht schon immer ein Potenzial für unzufriedene Menschen bot, erläutert Martin Rath auf LTO an Beispielen.

Sissi und Franz und die Demokratie: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Tabea Nalik gleicht auf LTO die jüngst auf Netflix erschienene Neuverfilmung der Geschichte des österreichischen Herrscherpaares mit den tatsächlichen historischen Vorgängen ab. Politische Konflikte, die Serien-Franz und Serien-Elisabeth mit dem Volk, aber auch mit sich selbst im Hinblick auf ihre Rolle im dynastischen System haben, seien nur schemenhaft erkennbar, stellt die Autorin bedauernd fest. Verfassungsgeschichte bilde nur den Rahmen der Netflix-Erzählung.

Zwerge und Recht: Über juristische Konflikte mit, über und rund um Zwerge erzählt Martin Rath auf LTO.

 

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LTO/pf/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. bis 27. Dezember 2022: Thomas Fischer vs. Spiegel / Max Schrems vs. EU-Kommission / LG Frankfurt vs. Peter Feldmann . In: Legal Tribune Online, 27.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50584/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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