Erstes Urteil zum Leistungsschutzrecht: Schiefe Anwendung eines verfehlten Gesetzes

Das - soweit bekannt - erste Urteil zum Leistungsschutzrecht für Presseverleger hat das LG Berlin im Januar 2015 gefällt. Die Entscheidung bestätigt, was längst gemutmaßt wurde: Seinem ursprünglich zugedachten Zweck wird das Gesetz nicht dienen. Dafür kommt es nun in obskuren bis missbräuchlich anmutenden Sonderkonstellationen zum Einsatz.

Das Leistungsschutzrecht (LSR) wurde im August 2013 auf den ausdrücklichen und dringlichen Wunsch einiger Presseverlage, namentlich insbesondere von Springer und Burda eingeführt. Die Verlage hatten seinerzeit kritisiert, dass Suchmaschinen und Nachrichtenaggregatoren wie etwa Google (News) auf ihre Kosten Profite machten, indem sie die von den Verlagsmedien erstellten Nachrichten mit kurzen Textauszügen anrissen. Diese Textauszüge, die sog. Snippets,  sollte das LSR  einem gesonderten urheberrechtlichen Schutz unterstellen, sodass ihre Wiedergabe nur gegen Zahlung von Lizenzgebühren gestattet wäre.

Das Vorhaben der Verlage wurde von Anfang an heftig kritisiert; neben rechtlichen Argumenten galt es vielen auch als wirtschaftlicher Unsinn. Denn indem etwa Google auszugsweise Nachrichtenschnipsel der Verlagsmedien präsentiere, würde es diesen nicht etwa Leser rauben, sondern im Gegenteil die Leser gerade erst dazu bringen, auf den Textauszug zu klicken und somit auf die jeweilige Nachrichtenseite zu gelangen. Einige Medien, darunter auch die LTO, erklärten unmittelbar nach seiner Einführung, auf die Gebührenforderungen nach dem LSR zu verzichten.

Andere machten die Ansprüche nach dem LSR zunächst gegenüber Google geltend. Der Internetkonzern verzichtete in diesen Fällen schlicht auf das Einblenden der Textschnipsel. Das machte die Suchergebnisse der betroffenen Seiten jedoch weniger aussagekräftig – und führte zu einem drastischen Einbruch der Nutzerzahlen. Bald ruderten die Verlage zurück und gestatteten den Gebrauch der Auszüge, wie auch vor Einführung des LSR, wieder kostenfrei. Damit wäre die kurze und unrühmliche Geschichte des überflüssigen Gesetzes, dessen Abschaffung Experten im Bundestag bereits vehement fordern, eigentlich geschrieben.

Leistungsschutzrecht als Retourkutsche wegen Zahlungsaufforderung

Eigentlich. Denn abseits ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung finden sich durchaus Anwendungsfälle für die neue Regelung. Ein, so weit bekannt, erstes Urteil lieferte hierzu im Januar 2015 das Landgericht (LG) Berlin, veröffentlicht und kommentiert wurde es auf den Seiten der Kanzlei Lampmann Haberkamm Rosenbaum. Die dortige Bewertung, das Urteil werfe "kein gutes Licht" auf das Leistungsschutzrecht, ist angesichts des Sachverhalts allerdings fast noch wohlwollend formuliert.

Verfahrensbeteiligt waren eine Medienagentur sowie ein Medium, welches sich selbst als "Wissensportal, Suchmaschine & Community" bezeichnet. Das Portal hatte ein Foto der Agentur – nach deren Vorbringen: unerlaubt – benutzt und wurde daraufhin von dieser per E-Mail zur nachträglichen Zahlung einer Lizenzgebühr aufgefordert. Zu Dokumentationszwecken hatte die Agentur einen Screenshot der betroffenen Webseite angefertigt und online gestellt, auf dem neben dem fraglichen Foto auch Textauszüge aus den Beiträgen des Mediums zu sehen waren.

Wegen dieses Screenshots klagte nun in einem verblüffenden Rollentausch das Medium gegen die Agentur. Nach §§ 87 f Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 1 S. 1, 19a Urheberrechtsgesetz (UrhG) habe diese es zu unterlassen, die im Screenshot erkennbaren Textschnipsel online zu stellen. Eine stattgebende einstweilige Verfügung erging  bereits im September 2014 und wurde im Januar 2015 vom LG Berlin bestätigt (Urt. v. 06.01.2015, Az. 15 O 412/14).

Kaum erkennbares Rechtsschutzbedürfnis

Bei dem Medium handele es sich um ein Presseerzeugnis im Sinne des § 87 f Abs. 2 UrhG; nach §§ 87 f Abs. 1, 19a UrhG stehe ihm somit das Leistungsschutzrecht an den Textauszügen zu. Dass der Screenshot nur auf einer Seite abrufbar war, die (außer in der Zahlungsaufforderung an das Medium) nirgends verlinkt und somit für Nutzer faktisch nicht auffindbar war, spiele keine Rolle. Bereits die theoretische Möglichkeit, dass jemand die korrekte, zum Screenshot führende Adresse in seinen Browser eingeben könnte, reiche aus, um von einem Zugänglichmachen im Sinne des § 19 a UrhG zu sprechen. Auch sei das Vorgehen des Mediums nicht rechtsmissbräuchlich, da es niemandem verwehrt werden könne, seine absoluten Rechte gegenüber Dritten geltend zu machen.

Die Entscheidung, von der Arno Lampmann einräumt, dass sie "formal richtig sein mag", steht mit dem Gerechtigkeitsempfinden gleichwohl nicht in Einklang. Auch wenn die eher ungewöhnliche und atypische Konstellation sich in dieser Form nicht häufig wiederholen dürfte, ist es dennoch bezeichnend, dass das erste bekanntgewordene Urteil zum LSR einer Retourkutsche ohne erkennbares Rechtsschutzbedürfnis dient.

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, Erstes Urteil zum Leistungsschutzrecht: Schiefe Anwendung eines verfehlten Gesetzes . In: Legal Tribune Online, 26.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15080/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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