Verzögert sich die Legalisierung?: "Welt­po­li­ti­sche Lage" bremst deut­sches Canna­bis­ge­setz

von Hasso Suliak

11.10.2023

Eigentlich sollte am Freitag das Cannabisgesetz im Bundestag beraten werden. Doch wegen des Angriffs auf Israel verschwindet das Vorhaben von der Tagesordnung – ebenso die Ausschussanhörung eine Woche später. Die Union vermutet andere Gründe.

Solidarität mit Israel ist nun auch Thema auf der Tagesordnung im Bundestag. Kurzfristig wurde deshalb für diesen Donnerstag um 9 Uhr eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers mit anschließender Debatte zur Lage in Israel anberaumt. Aufgrund der dadurch eintretenden Veränderungen im ursprünglich geplanten Sitzungsablauf fällt nach Angaben der Ampel nunmehr ausgerechnet das umstrittene, aber zugleich auch von vielen erwartete Cannabis-Vorhaben "hinten runter". Dessen Aufsetzung war eigentlich für Freitag geplant. 

Am Freitagvormittag sollte sowohl die erste Lesung des Cannabisgesetzes der Ampel stattfinden als auch über den Gegenantrag der Unionsfraktion "Cannabislegalisierung stoppen, Gesundheitsschutz verbessern – Aufklärung, Prävention und Forschung stärken" beraten werden. Geplant war eine kurze, 40-minütige Debatte. Dass es wegen der konträren Positionen von Union und Ampel beim Thema Legalisierung im Plenum heiß hergegangen wäre, davon ist auszugehen. Nun läuft stattdessen eine Aussprache zur Finanzierung politischer Stiftungen. Auch die dürfte hitzig werden

Zu viel Kontroverse ist nun offenbar der Grund, warum das Vorhaben Cannabis-Legalisierung von der Tagesordnung genommen wurde. Der ursprünglich vorgesehene Fahrplan – Teil-Legalisierung zum 1.Januar 2024 – könnte damit wackeln.  

SPD-MdB wollen "keinen Kampf" mit der CDU/CSU 

In einem Video auf der Plattform "X" begründeten die für das Thema in der SPD-Fraktion zuständigen Abgeordneten Carmen Wegge und Dirk Heidenblut die Absetzung der Cannabis-Beratungen mit der "weltpolitischen Lage". Man wolle keine Debatten führen, die möglicherweise zwischen CDU/CSU und der Ampel eskalieren, vielmehr wolle man "in dieser Woche geeint" stehen. Mit Rücksicht auf die hohe Zahl von Opfern passe eine derartige Debatte aus Sicht der Ampel aktuell nicht in die Zeit, berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Zugleich versicherten Wegge und Heidenblut, dass der Zeitplan beim Cannabis-Vorhaben eingehalten werde:  "Wir werden dafür sorgen, dass das dann alles in der nächsten Woche irgendwie über die Bühne geht". 

Ob das "irgendwie" gelingt, darauf darf man gespannt sein. Schließlich hat die Verschiebung im Plenum zunächst einmal zur Folge, dass die eigentlich für den 18. Oktober vorgesehene Sachverständigenanhörung zum Cannabisgesetz im Gesundheitsausschuss ebenfalls gecancelt wurde. Diese könnte ohnehin erst nach der ersten Lesung im Bundestag stattfinden. Trotz mannigfaltiger Streitpunkte, Unklarheiten und Änderungswünschen aus den Ampelfraktionen selbst waren für diese Anhörung gerade einmal 90 Minuten eingeplant.

Am späten Mittwoch-Nachmittag wurde nunmehr der neue Fahrplan bekanntgegeben: Nach der ersten Lesung in der 42. KW soll die Anhörung im Ausschuss für Gesundheit am 6. November und die finale Verabschiedung des Gesetzes am 16. November stattfinden.*   

Während Wegge und Heidenblut allerdings in ihrem Video zumindest den Eindruck erweckten, dass die Absetzung des Cannabis-Themas von der Tagesordnung auch im Interesse der Union sei, mit der man angesichts des Terrorangriffs der Hamas jedenfalls in dieser Woche nicht streiten will, reibt man sich bei der größten Oppositionsfraktion verwundert die Augen.  

Thorsten Frei (CDU): "Kurzfristige Absetzung zeigt Kopflosigkeit der Koalition"  

Denn nicht nur die Absetzung des Tagesordnungspunktes hat die Union überrascht. Aus Kreisen der Fraktion ist auch zu vernehmen, dass man auch die von der Ampel vorgetragene Begründung – kein Streit über Cannabis nach den Vorfällen in Israel – als völlig abwegig bewertet. Der erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion Thorsten Frei sagte zu LTO: "Selbst bei einem ihrer vermeintlichen Lieblingsprojekte scheint die Ampel vom Streit blockiert. Die überraschende und äußerst kurzfristige Absetzung des Cannabisgesetzes zeigt die Kopflosigkeit der Koalition. Ausdrücklich warnen wir die Koalition davor, den internen Streit – wie so oft – auf Kosten eines geordneten parlamentarischen Verfahrens zu führen. In der Sache wäre es das Beste, das Gesetz nicht wieder aufzusetzen."  

Auch der Obmann der Union im Verkehrsausschuss, Thomas Bareiss, reagierte in einem Statement am Dienstagabend gegenüber LTO verwundert: "Heute hat die Ampel-Regierung überraschend ihren Gesetzesentwurf zur Cannabis-Freigabe von der Tagesordnung genommen." Seine Vermutung: In den Ampel-Koalitionsfraktionen erkenne man anscheinend immer deutlicher, welch großer Schaden durch die Cannabis-Freigabe für die Verkehrssicherheit entstünde. 

Beratung "in gebührender Tiefe" nächste Sitzungswoche 

Ob nun das Israel-Thema tatsächlich der wahre Grund für die Verschiebung des Cannabisgesetzes ist, darüber kann nur spekuliert werden. Fachpolitiker:innen der Ampel hatten zuletzt immer wieder massive Änderungen am Regierungsentwurf gefordert. Änderungen, die im Wesentlichen wohl weitere Erleichterungen für Konsument:innen und die geplanten Anbauvereinigungen zur Folge hätten. Nicht ausgeschlossen, dass die Spitzen der Ampelfraktionen die Cannabis-Freunde in ihren Reihen durch die Verschiebung der Debatte wieder etwas "einfangen" wollen.

Auf Nachfrage von LTO hieß es allerdings, das sei nicht der Grund. Die erste Parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen, Irene Mihalic, wiegelt ab: "Das Cannabisgesetz ist ja ein Gesetz der Ampel und daher haben wir auch als Ampel vereinbart, die Erste Lesung um eine Woche zu schieben. In der Tat wird es zu den schrecklichen Ereignissen in Israel eine Regierungserklärung geben mit anschließender 90-minütiger Debatte. Dadurch verlängert sich das Plenum erheblich, weshalb wir geschaut haben, welches Gesetz man in die nächste Woche schieben kann, ohne dass es sich für den weiteren Beratungsverlauf und die politische Debatte negativ auswirkt."  

Ein Sprecher der FDP-Fraktion erläuterte: "Wenn man das Ziel hat, nicht immer bis spät in die Nacht zu tagen, muss man aber auch Tagesordnungspunkte schieben, wenn neue hinzukommen. Daher wurde die Tagesordnung für diese Woche verändert, diese wird heute von den Fraktionen der Koalition und der Opposition – wie meistens – einvernehmlich beschlossen werden. Das Cannabisgesetz wird nun in der kommenden Sitzungswoche in erster Lesung auf die Tagesordnung gesetzt, was mit Blick auf den Zeitplan keinen Unterschied macht." 

Aus der SPD-Bundestagsfraktion hieß es ebenfalls, man habe die Tagesordnung wegen der Israel-Debatte "entschlacken" müssen. Das Cannabisgesetz sei allerdings die einzige Vorlage gewesen, die deswegen abgesetzt wurde, sagte ein Sprecher. Es werde nun "in gebührender Tiefe" in der kommenden Sitzungswoche (16. bis 20. Oktober) beraten.

Unionsantrag beschlossen 

Unterdessen hat die Union ihre Ablehnung gegen das Ampelgesetz noch einmal bekräftigt. In ihrem am Dienstagabend in der Fraktion beschlossen Gegenantrag, der LTO vorliegt, wird die Bundesregierung aufgefordert, "ihr geplantes Vorhaben zur Legalisierung von Cannabis zu beenden".  

Stattdessen bedürfe es der verstärkten Prävention und Aufklärung über die Gefahren, die durch den Konsum von Cannabis entstehen können. Die Legalisierung von privatem Anbau, Besitz und Konsum für alle Erwachsenen werde zu einer Ausweitung des Cannabiskonsums führen, so die Warnung. 

*Angaben wurden nach Erscheinen des Artikels am 11.10.2023 um 17:50 Uhr ergänzt. Eine Anmeldung zur Anhörung im Ausschuss für Gesundheit am 6. November kann hier vorgenommen werden.  

Zitiervorschlag

Verzögert sich die Legalisierung?: "Weltpolitische Lage" bremst deutsches Cannabisgesetz . In: Legal Tribune Online, 11.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52895/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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