BVerfG zu Böhmermanns Schmähgedicht: Nichts zu sagen?

von Dr. Felix W. Zimmermann

10.02.2022

Ist das Schmähgedicht zulässige Satire oder bloße Schmähung? Daran scheiden sich die Geister. Dass aber das BVerfG den Fall erst als bedeutsam einstuft und dann ohne Begründung nicht annimmt, ist enttäuschend, meint Felix W. Zimmermann.

Am 10. Juni 2021 bekamen fünf Organisationen Post. Das ZDF, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein, der Deutsche-Journalisten-Verband und die Gewerkschaft ver.di. Der Absender: Das Bundesverfassungsgericht. Dessen Präsident und Vorsitzende des Ersten Senats Stephan Harbarth persönlich bat die Organisationen um Stellungnahme in einem der prominentesten Rechtsfälle der letzten Jahre: Jan Böhmermanns Schmähgedicht.

Für Jan Böhmermann war das ein gutes Zeichen. Das Einholen von Stellungnahmen durch das BVerfG zeigt nämlich für gewöhnlich, dass am Fall "etwas dran" ist, das Gericht ihn als diskussionswürdig einstuft. Ansonsten würde es einen solchen Aufwand nämlich gar nicht erst betreiben. Auch der Wortlaut der Bitte um Stellungnahme an die Organisationen offenbarte, dass das BVerfG sich den Fall genau anzusehen gedachte, die vorinstanzlichen Entscheidungen als diskussionswürdig einstufte. Wörtlich heißt es im Schreiben an die Organisationen, das LTO vorliegt:

"Das Verfassungsbeschwerdeverfahren wirft neben der Frage der Grenzen und Reichweite von Satire und der Beeinträchtigung der Kunst- und Meinungsfreiheit (…) die Frage der Bewältigung eines grundrechtlichen Konflikts mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf. Sollte ein dem Schutzbereich der Kunstfreiheit unterfallendes Verhalten vorliegen, ist dabei zu klären, ob und gegebenenfalls wie die für die Meinungsfreiheit geltenden Schranken in Art. 5 Abs. 2 GG sowie die in der Rechtsprechung (…) gebildeten Fallgruppen (Menschenwürdeangriff, Schmähkritik, Formalbeleidigung) auf die Kunstfreiheit übertragbar sind."

Die Anfrage des BVerfG reflektierte also die Kontroverse in Gesellschaft und Rechtswissenschaft zum Schmähgedicht und maß dem Rechtsstreit offenbar grundsätzliche Bedeutung bei. Ganz konkret war aus Sicht des BVerfG zu klären, inwieweit bei Einschlägigkeit der Kunstfreiheit auch schlimme Beschimpfungen ausnahmsweise gerechtfertigt sein könnten.

Die Organisationen gaben Stellungnahmen ab. Vier von fünf sprachen sich für die Stattgabe der Verfassungsbeschwerde aus. Ein weiteres gutes Zeichen für Böhmermann.

Eine beispiellose Debatte über die Grenzen von Kunst und Satire...

Was nun aber folgte, war nicht etwa eine Senatsentscheidung, die sich mit dem vom BVerfG ja erkannten grundlegenden und neuen Fragen des Falls und den Stellungnahmen auseinandersetzte. Vielmehr wurde der Böhmermann-Fall an die Kammer aus drei Richtern zurückgespielt, die dafür vorgesehen ist, in einfach gelagerten Fällen den Senat zu entlasten.

Und diese Kammer beschloss das zu tun, was eigentlich nach der Idee des Gesetzes für ganz besonders klare Fälle gedacht ist. Die Verfassungsbeschwerde nicht anzunehmen und auf eine Begründung zu verzichten.

Ein Armutszeugnis aus Karlsruhe. Über das Schmähgedicht wurde eine beispiellose gesellschaftliche Debatte über Grenzen von Kunst und Satire in Gang gebracht. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wurde überwiegend die Meinung vertreten, die Kunst- und Satirefreiheit gehe vor. Denn es sei Böhmermann darum gegangen, dem Feind der Meinungsfreiheit Erdogan die tatsächlichen Grenzen der Meinungsfreiheit aufzuzeigen. Aber auch die andere Ansicht hatte mit Verweis auf die Unteilbarkeit des Rechts gute Argumente auf ihrer Seite.

...aber das BVerfG duckt sich weg

Dass das BVerfG nun keine Begründung geliefert hat, könnte zum einen daran liegen, dass sich die drei Kammermitglieder selbst nicht einig waren. Da könnte das Nichtssagen der kleinste gemeinsame Nenner gewesen sein, bevor eine Richterin oder ein Richter etwas unterschreibt, was er oder sie inhaltlich gar nicht teilt. Insoweit nachvollziehbar, denn bei Kammerentscheidungen gibt es nicht die Möglichkeit eines Sondervotums.

Doch jedenfalls nach dem Gesetz hätte jedes Kammermitglied aufgrund des Einstimmigkeitserfordernisses eine Senatsentscheidung erzwingen können. Und auch die übrigen Richter aus dem achtköpfigen Ersten Senat hätten handeln können. Denn wenn drei Richter es so wollen, muss der Senat auch entscheiden. Das sieht das Bundesverfassungsgerichtsgesetz so vor. Dann wäre auch der Weg zu einem Sondervotum eröffnet gewesen.

Der Sache nach schrie der Böhmermann-Fall nach einer Entscheidung des BVerfG. Die Richterinnen und Richter haben die Chance verpasst nach langer Zeit wieder grundlegende Aussagen zur Kunstfreiheit zu treffen. Anstatt zu den offensichtlich diskussionswürdigen verfassungsrechtlichen Fragen Stellung zu beziehen, sich dadurch auch Kritik auszusetzen, durch etwaige Sondervoten auch Uneinigkeit transparent zu machen, duckt sich das BVerfG weg und zweckentfremdet eine Norm, die für die Erledigung einfach gelagerter Fälle geschaffen wurde, um sich eine Begründung zu ersparen.

Nichts zu sagen – für das Gericht die einfachste, für die Grundrechte die schlechteste Lösung. 

Zitiervorschlag

BVerfG zu Böhmermanns Schmähgedicht: Nichts zu sagen? . In: Legal Tribune Online, 10.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47503/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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