Elektronischer Rechtsverkehr: Fangen die Arbeits­ge­richte in Schleswig-Hol­stein früher an?

von Annelie Kaufmann

08.10.2019

Eigentlich sind Rechtsanwälte und Behörden erst ab dem 1. Januar 2022 verpflichtet, Schriftsätze elektronisch bei Gericht einzreichen. In Schleswig-Holstein könnte das schon zu Anfang 2020 gelten – zumindest an den Arbeitsgerichten.

Ab dem 1. Januar 2022 müssen Rechtsanwälte, Behörden und Personen öffentlichen Rechts bundesweit Schriftsätze, Anträge und Erklärungen elektronisch bei den Gerichten einreichen. Das sieht das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten (ERVGerFöG) vor. Allerdings können die Länder diese Nutzungspflicht für die professionellen Einreicher auch schon vorher einführen. Schleswig-Holstein prüft nun als erstes Bundesland, ob es von dieser Opt-in-Regelung schon zum 1.1.2020 Gebrauch macht - allerdings nur für die Arbeitsgerichte. Das sieht ein Entwurf zu einer Landesverordnung über die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs vor, der LTO vorliegt.

Hintergrund ist, dass demnächst alle Arbeitsgerichte in Schleswig-Holstein mit der elektronischen Akte arbeiten. Allerdings werden viele Schriftsätze nach wie vor auf Papier eingereicht. Sie müssen gem. § 46e Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetzs eingescannt werden. Dabei sind bestimmte Formerfordernisse zu beachten, unter anderem muss bei handschriftlich unterschriebene Dokumenten der Übertragungsnachweis mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle versehen werden. Der Übertragungsvorgang sei mit einer Arbeitsgeschwindigkeit von ca. vier Blatt pro Minute mit erheblichem Zeitaufwand verbunden und belaste den Justizhaushalt erheblich, heißt es in einem Schreiben des Ministeriums.

Mit der vorgezogenen Nutzungspflicht soll der Eingang von Papierpost deutlich reduziert werden.

Im Justizministerium geht man davon aus, dass die Betroffenen sich schnell auf eine Nutzungspflicht einstellen können. Prinzipiell müssen Rechtsanwälte schon seit 2018 das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), Behörden das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) vorhalten, um eine sichere elektronische Kommunikation zu ermöglichen.

DAV: "Prinzipiell ok, aber ungünstiger Zeitpunkt"

Beim Landesverband des Deutschen Anwaltvereins (DAV) in Schleswig-Holstein sieht man einer vorgezogenen Nutzungspflicht deshalb entsprechend gelassen entgegen: "Grundsätzlich spricht nichts dagegen, die Nutzungspflicht schon eher einzuführen", so der Vorsitzende des Landesverbands, Rechtsanwalt und Notar Andreas Bothe.

"Der erste Januar 2020 ist aber ein eher ungünstiger Zeitpunkt, denn dann wechselt gleichzeitig der Software-Anbieter des elektronischen Anwaltspostfachs beA. Sinnvoller wäre es abzuwarten, ob das alles technisch glatt läuft - und dann, etwa drei Monate später, die Pflicht zur elektronischen Kommunikation einzuführen."

Bothe betont, wie wichtig es sei, "dass das gut kommuniziert wird. Insbesondere auch Anwälte aus Niedersachsen, Hamburg oder Mecklenburg-Vorpommern müssen wissen, dass sie bei den schleswig-holsteinischen Arbeitsgerichten elektronisch einreichen müssen, um die Fristen zu wahren."

BAG-Präsidentin: "Vorpreschen gefährdet Akzeptanz des ERV"

Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Ingrid Schmidt, sieht die schleswig-holsteinischen Pläne kritisch: "Die Akzeptanz des elektronischen Rechtsverkehrs wird insgesamt leiden, wenn ein Bundesland und begrenzt auf eine Gerichtsbarkeit vorprescht." Schließlich müssten sich alle Anwälte bundesweit auf die Formerfordernisse speziell an den schleswig-holsteinischen Arbeistgerichten einstellen. "Das geht nicht von heute auf morgen und bedarf entsprechender Informationen", so Schmidt.

Sie warnt auch vor einem zusätzlichen Risiko: "Die schleswig-holsteinische Arbeitsgerichtsbarkeit wird absehbar mit einer Reihe von Wiedereinsetzungsgesuchen belastet werden. Greifbar wird das Risiko zunehmen, den Prozess allein wegen Formversäumnissen zu verlieren."

Zudem sei eine Reihe von Fragen nicht geklärt, sagt die BAG-Präsidentin: "Wie soll vom Recht auf Akteneinsicht Gebrauch gemacht werden? Wie soll in Fällen der Verweisung an ein Gericht eines anderen Bundeslandes oder zu einer anderen Gerichtsbarkeit innerhalb des eigenen Landes verfahren werden? Wie strukturiert wird die Gerichtsakte sein und wer ist hierfür verantwortlich? Gerade letzteres zeigt, wie sehr auch der nichtrichterliche Dienst gefordert sein wird. Und gerade auf den Einsatz der Geschäftsstellen wird es ankommen, ob der elektronische Rechtsverkehr ein Erfolg wird oder nicht."

Beim BAG selbst würden sich die Abläufe in der Verwaltung nicht ändern, so die Sprecherin des Gerichts: "Wir bekommen die Akten weiterhin in Papierform." Langfristig ist ein Portal geplant, über das die Akten aus Gerichten der Länder sicher an die Bundesgerichte übermittelt werden können.

Richterverband SH: "Sinnvoll, E-Akte und ERV gleichzeitig einzuführen"

Bis auf weiteres stehen die Gerichte in den Ländern alle vor demselben Problem: Wird die E-Akte standardmäßig verwendet, der elektronische Rechtsverkehr (ERV) aber noch nicht, muss der Schriftverkehr bei den Gerichten eingescannt werden. Ähnlich ist es im umgekehrten Fall: Werden Papierakten geführt, müssen elektronisch eingehende Dokumente ausgedruckt werden.

"Es ist auf jeden Fall sinnvoll, gleichzeitig die Pflicht zur elektronischen Kommunikation mit dem Gericht und die standardmäßige Arbeit mit der E-Akte an einzuführen", sagt die Vorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Richterverbands Dr. Christine Schmehl deshalb. "So vermeidet man einen unnötigen Medienbruch."

Zitiervorschlag

Elektronischer Rechtsverkehr: Fangen die Arbeitsgerichte in Schleswig-Holstein früher an? . In: Legal Tribune Online, 08.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38023/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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