EuGH entscheidet über Fremdkapitalverbot für Anwaltskanzleien: Spek­ta­ku­läre Vor­lage aus Mün­chen

von Martin W. Huff

27.04.2023

Das Fremdkapitalverbot bei Rechtsanwaltsgesellschaften, wonach sich keine Dritten an einer Anwaltskanzlei beteiligen dürfen, ist seit langem höchst umstritten. Jetzt muss der EuGH darüber entscheiden. Martin W. Huff berichtet. 

Bis zum 31. Juli 2022 galt in Deutschland ein striktes Fremdkapitalverbot für Rechtsanwaltskanzleien. Danach dürfen sich in einer an dem Kapital einer Rechtsanwaltsgesellschaft nur Rechtsanwälte und zum Beispiel Steuerberater und Wirtschaftsprüfer beteiligen können, nicht aber Dritte. Die Berufsträger müssen zudem in der Gesellschaft tätig sein, wie es in § 59 e Bundesrechtsanwaltsordnung formuliert war.

Seit dem 1.August 2022 gibt es zwar die Möglichkeit, dass sich in Berufsausübungsgesellschaften auch andere freie Berufe als Gesellschafter beteiligten und mitarbeiten. Aber in reinen Anwaltsgesellschaften gilt das Fremdkapitalverbot im Grundsatz weiterhin. 

Daher stellt sich weiterhin die Frage, ob sich an einer Rechtsanwaltsgesellschaft Dritte beteiligen und wenn Sie dies dürfen, unter welchen Voraussetzungen dies möglich wäre.

Mit diesem Fragenkomplex wird sich jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg aufgrund eines Vorlageverfahrens des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs (AGH, Beschl. v. 20.4.2023, Az. BayAGH III-4-20/21) befassen müssen. Denn die bayerischen Anwaltsrichter haben erhebliche Bedenken, ob das strikte nationale Fremdkapitalverbot europarechtlich in Bezug auf die Freiheit des Kapitalverkehrs aber auch in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt ist. Sie vertreten grundsätzlich die Auffassung, dass bei entsprechenden Satzungsregelungen, die zum Beispiel die Berufsausübung Rechtsanwälten vorbehält und die Verschwiegenheitspflichten gewährleisten, auch eine Beteiligung Dritter an der Anwaltsgesellschaft möglich sein müsste.

RAK München widerrief Zulassung von RA-Gesellschaft 

Hintergrund des Beschlusses des AGH ist eine Auseinandersetzung der Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft UG mit der Rechtsanwaltskammer (RAK) München. Der Gründer der Gesellschaft, Rechtsanwalt Dr. Daniel Halmer, hat bereits mit verschiedenen Gesellschaften zum Beispiel mit der Gesellschaft Mietright zur Überprüfung der Mietpreisbremse durch nichtanwaltliche Gesellschaften, für erhebliche Unruhe im anwaltlichen Markt gesorgt. 

Halmer hatte Ende 2020 die Unternehmergesellschaft (UG) gegründet und im Juni 2021 eine knappe Mehrheit, nämlich 51 Prozent seiner 100 Geschäftsanteile an eine österreichische Gesellschaft mit beschränkter Haftung abgetreten. In der Satzung der UG waren allerdings weitreichende Regelungen enthalten, die die anwaltliche Berufsausübung in der Gesellschaft dem Einfluss der Gesellschafter weitgehend entzogen. So müssen die Geschäftsführer der Gesellschafter Rechtsanwälte sein, die Gesellschaft darf nicht gegen die Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung verstoßen und weitere auch Verbraucher schützende Regelungen waren dort enthalten.

Nachdem die Abtretung der Gesellschaftsanteile der RAK München mitgeteilt worden war, widerrief diese mit Bescheid vom 9.11.2021 die Zulassung der UG als Rechtsanwaltsgesellschaft. Gegen diesen Widerruf richtet sich die Klage der UG vor dem Bayerischen AGH. Dabei steht die UG, vertreten durch die Kanzleien Hengeler Mueller (Prof. Dirk Uwer) und GQL Rechtsanwälte (Moritz Quecke), dezidiert auf dem Standpunkt, dass das grundsätzliche Fremdkapitalverbot für Rechtsanwaltsgesellschaften verfassungsrechtlich und europarechtlich nicht haltbar sei. Es müsse möglich sein, dass sich Finanzinvestoren an Anwaltsgesellschaften beteiligen können, wenn bestimmte berufsrechtliche Schutzmechanismen eingerichtet werden.

AGH mit Zweifeln an Fremdkapitalverbot

Mit diesem Ansatz hatte die UG nunmehr vor dem AGH zum Teil Erfolg. Die Münchener Richter legten dem EuGH die entsprechenden Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vor. Sie wollen vom EuGH insbesondere wissen, ob das nationale Verbot der Beteiligung von Dritten, z.B. Finanzinvestoren, an einer Rechtsanwaltsgesellschaft unter Umständen eine unzulässige Beschränkung des Rechts auf Freiheit des Kapitalverkehrs darstellt.

In ihrem ausführlichen Beschluss äußern die Richter dabei deutliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verbots. Zwar seien die Unabhängigkeit der Rechtsberatung und die Sicherheit der beruflichen Verschwiegenheit durchaus Ziele der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, die eine Beschränkung der Kapitalfreiheit rechtfertigen könnten. Allerdings ist es nach Ansicht der Münchner Richter zweifelhaft, ob zum Erreichen dieser Ziele das grundsätzliche und auch weiterhin modifizierte Verbot der Beteiligung Dritter an Anwaltsgesellschaft erforderlich ist. 

Sie verweisen auch darauf, dass in der juristischen Literatur immer wieder Zweifel an diesen strikten Regelungen geäußert werden. So vertreten diverse Berufsrechtler die Auffassung, dass die Unabhängigkeit der anwaltlichen Tätigkeit der Rechtsanwälte in einer Rechtsanwaltsgesellschaft auch durch bestimmte Schutzvorschriften in der Satzung der Gesellschaft erreicht werden können. Weiter  verweisen die Münchner Richter darauf, dass nicht nur Gesellschafter und Investoren Einfluss auf eine Rechtsanwaltsgesellschaft nehmen könnten. Bereits aktuell könnten externe Kapitalgeber oder finanzstarke Mandanten durchaus Einfluss auf die Tätigkeit des Anwalts ausüben könnten. Vergleichbare Verbote gäbe es hier aber nicht. 

Unabhängigkeit der anwaltlichen Geschäftsführung gewahrt?

Wichtig ist nach Ansicht der AGH-Richter, dass die Unabhängigkeit der anwaltlichen Geschäftsführung gewahrt ist. Sie wollen daher vom EuGH wissen, ob das grundsätzliche Verbot, dass zum Zeitpunkt des Widerrufs der Zulassung für die UG noch bestand, wirklich europarechtlich notwendig ist. Sie verweisen dabei auch auf die bisherige Rechtsprechung des EuGH. So habe der EuGH für Apotheker aufgrund der besonders hohen Bedeutung des Verbraucherschutzes bei Medikamenten eine Kapitalbeteiligung untersagt, für Optiker Arbeit dies indes nicht so streng gesehen. Wo nunmehr die Tätigkeit von Rechtsanwälten anzusiedeln ist, wird der EuGH entscheiden müssen.

Der sehr sorgfältig begründete und ausführliche Beschluss der Münchner Richter ist ein Paukenschlag für das anwaltliche Berufsrecht. Zum ersten Mal hat sich in aller Deutlichkeit ein Gericht den immer wieder erhobenen Bedenken gegen die strikten berufsrechtlichen Regelungen angeschlossen.  Denn es stellt sich ja wirklich die Frage, ob die Unabhängigkeit der Rechtsberatung wirklich nur durch das Verbot der Kapitalbeteiligung Dritter gewährleistet wird. Die Überlegungen der Richter, dass dies auch zum Beispiel durch bestimmte gesellschaftsvertragliche Regelungen oder andere Vereinbarungen gewährleistet werden könnte, sind nicht von der Hand zu weisen. 

Sieht man sich die Satzung der maßgeblichen UG an, die in wesentlichen Teilen in dem Vorlagebeschluss an den EuGH wiedergegeben ist, sieht man, dass die österreichischen Gesellschafter auf die tägliche Arbeit in der Rechtsanwaltsgesellschaft kaum Einfluss haben. 

Und auch wenn Rechtsanwälte immer noch als "Organ der Rechtspflege" verstanden werden: Dass eine Anwaltsgesellschaft auf die Erzielung auch von Gewinn ausgerichtet ist, dürfte in der heutigen Zeit selbstverständlich sein. Daraus aber weiterhin zu schließen, dass sie sich nur selbst finanzieren müssen, scheint sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich mehr als bedenklich zu sein. 

Zitiervorschlag

EuGH entscheidet über Fremdkapitalverbot für Anwaltskanzleien: Spektakuläre Vorlage aus München . In: Legal Tribune Online, 27.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51646/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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