DAV-Symposium zur "Fehlerkultur in der Rechtspflege": Auch Juristen müssen sich irren dürfen

von Hasso Suliak

17.01.2018

Auf einem Symposium in Berlin übten Juristen Selbstkritik an ihrem Umgang mit Fehlern und Irrtümern. Sie wissen, dass sich die Rechtspflege noch immer schwer damit tut. Hasso Suliak hat die Diskussion verfolgt.

Fast schon neidisch blickte der Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Ulrich Schellenberg, auf die Entwicklungen, die das Thema Fehlerkultur in anderen Branchen bereits durchlaufen hat: In der Medizin oder der Luftfahrt habe man längst erkannt, "dass ein konstruktiver Umgang mit Fehlern nicht nur dazu führt, unternehmerischen Fortschritt herbeizuführen, sondern gerade dazu dient, Fehler zu vermeiden", so der DAV-Präsident.

Manager von Unternehmen würden gezielt darin geschult, Fehler nur auf den ersten Blick als Rückschläge anzusehen, aus denen sich dann bei näherem Hinsehen "Chancen auf Verbesserungen und neue Entwicklungen ergeben".

So konnte etwa für den Bereich der Medizin Ärztin Franziska Diel von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung diese Entwicklung nur bestätigen: Nachdem sich die Ärzteschaft inzwischen vom Bild des Arztes als "Halbgott in Weiß" verabschiedet habe, seien zunehmend vertrauensgeschützte Räume geschaffen worden, so die Rednerin am Dienstagabend auf der Veranstaltung. In diesen habe sich die Einsicht durchgesetzt, dass jeder Fehler letztlich "ein Schatz" sei, aus dem man lernen könne. Und das, obwohl auch die ärztliche Berufsordnung mitunter schwere Sanktionen für ärztliches Fehlverhalten vorsieht.

Vertrauen in Rechtspflege wiederherstellen

Und in der Rechtspflege? Unlängst hatte ein LTO-Beitrag auf das sensible Thema "Fehlerkultur in Kanzleien" aufmerksam gemacht. Langsam gewinnt das Thema für die gesamte Zunft mehr und mehr an Relevanz. Eine angemessene und zeitgemäße Fehlerkultur in der Rechtspflege wird zunehmend als ein Mittel verstanden, mit dem die allseits beklagte Vertrauenskrise der Justiz überwunden werden könnte:

"Zu wenige Menschen haben in Deutschland Zugang zum Recht", sagte Markus Hartung, Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession an der Bucerius Law School in Hamburg. Wenn 70 Prozent der Bürger nicht zum Anwalt gingen, ist das seiner Auffassung nach auch ein Ausdruck mangelnden Vertrauens in die Rechtspflege. Eine adäquate Fehlerkultur und vor allem richtige Strategien, um Fehler zu vermeiden, könnten ein Weg sein, Vertrauen in die Rechtspflege wiederherzustellen, so der Rechtsanwalt.

Legal-Needs-Studie gefordert

DAV-Präsident Schellenberg sah das ähnlich: Unter Verweis auf den drastischen Rückgang der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten in den letzten Jahren um rund ein Viertel sei der Vertrauensverlust der Menschen spürbar: "Ich befürchte, dass wir im Begriff sind, einen Teil der Bürgerinnen und Bürger für die Justiz zu verlieren."

Der vernünftige Umgang mit Fehlern könne nicht nur die Rechtspflege verbessern, sondern auch Vertrauen zurückgewinnen und dieses festigen. "Der Fehler sollte nicht als Unwort, sondern als Chance begriffen werden, besser zu werden und zu bleiben - zum Schutz der Mandanten und auch der Rechtsordnung", sagte Schellenberg am Abend im Gespräch mit LTO.

Von der nächsten Bundesregierung fordert der DAV deshalb "eine umfassende Legal-Needs-Studie, um den Bedarf nach Rechtsberatung empirisch zu erforschen und Möglichkeiten zu erarbeiten, den Zugang zum Recht zu verbessern".  

Wenn Juristen nicht miteinander reden

Unisono betonten Richter wie Anwälte an diesem Abend in Berlin, dass Kommunikation und fachlicher Austausch zwischen Kollegen im Arbeitsalltag oft zu kurz komme und fehlerhaftes Verhalten dadurch befördert werde. Vertrauenswürdige Räume, in denen Fehler offen angesprochen und vorwurfsfrei diskutiert werden könnten, existierten zum Beispiel nicht für die mehr als 30 Prozent der Rechtsanwälte, die als Einzelkämpfer tätig seien.

Die frühere Richterin des Bundesverfassungsgerichte und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Renate Jäger, sieht auch im fortschreitenden Abbau von Kollegialgerichten in der Justiz eine gefährliche Entwicklung, die Fehler provoziere: "In der ersten Instanz findet unter den Einzelrichtern kaum noch der nötige Austausch statt", erläuterte die Rednerin. Sie selber habe ebenso erst später während der Arbeit in einer Kammer den wichtigen kollegialen Austausch erfahren.
Jäger, die eine Zeit lang auch als Schlichterin der Rechtsanwaltschaft tätig war, appelliert, wenn es um die Vermeidung von Fehlern geht, an die Richterschaft: "Mehr Kommunikation untereinander und auch die gelegentliche Einholung von externem Rat sind keine Schwächen".

Dem Gesetzgeber sei leider als einziges Instrument des Fehlermanagements in der Gerichtsbarkeit nur der Instanzenzug eingefallen, kritisierte sie in Berlin. Für viele Richter ist es laut Jäger heute daher wichtiger, "etwas revisionssicher als es richtiger zu machen".

Mit Legal Tech Fehler vermeiden

Richtiger machen, Fehler vermeiden: Für Professor Stephan Breidenbach, Hochschullehrer und Gründer des Legal Tech Centers an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), steht bei der Diskussion um eine Fehlerkultur ohnehin die Schaffung von Qualitätsstandards im Vordergrund. Er kann sich von Spezialisten des jeweiligen Rechtsgebiets entwickelte, qualitätsgesicherte Bausteine in Form von Legal-Tech-Anwendungen vorstellen. Mit Hilfe dieser digitalen Bausteine könnten dann zum Beispiel Rechtsanwälte  "qualitätsgesicherte" Verträge entwerfen oder Schriftsätze erstellen – und damit letztlich Fehler vermeiden, so der Breidenbach.

Doch bei aller Hoffnung, die er in derartige "digitale Fertigungsstraßen" als künftiges Hilfsmittel zur Fehlervermeidung bei der täglichen Rechtsanwendung setzt, steht für den Professor für Wirtschaftsmediation im Hinblick auf die Anwaltschaft eines außer Frage: Legal-Tech könne erst dann zum Einsatz gelangen, wenn der Rechtsanwalt erst einmal im Wege seiner kommunikativen Fähigkeiten das Ziel seines Mandanten ermittelt habe. 

Zum Stichwort Kommunikation waren sich dann auch alle Diskutanten des DAV-Symposiums einig: Die meisten Fehler passierten Juristen nicht bei der Rechtsanwendung, sondern bei der Wahl der richtigen Ansprache, die für Anwälte besonders im ersten Kontakt mit dem Mandanten wichtig sei. Hartung sagte: "Hier sind empathische Kommunikationsfähigkeiten gefragt, die bislang leider in der Juristenbildung nicht examensrelevant sind." Anwälten empfiehlt er im Umgang mit Fehlern ähnlich wie in der Wirtschaft häufiger die unternehmerische Blickweise einzunehmen: "Dann können Fehler tatsächlich ein Schatz sein – und nicht in erster Linie ein Haftungsrisiko."

Zitiervorschlag

Hasso Suliak, DAV-Symposium zur "Fehlerkultur in der Rechtspflege": Auch Juristen müssen sich irren dürfen . In: Legal Tribune Online, 17.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26529/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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