OLG München will das beA-Journal des Anwalts sehen: Kommt das Emp­fangs­be­kenntnis spät, ist sein Beweis­wert erschüt­tert

von Martin W. Huff

25.06.2024

Bei erheblichen zeitlichen Abweichungen zwischen Urteilsversand und anwaltlichem Empfangsbekenntnis, kann das Gericht in Ausnahmen die Vorlage des beA-Journals verlangen. Martin W. Huff analysiert einen Beschluss des OLG München.

Die elektronische Kommunikation zwischen Gerichten und der Anwaltschaft wird immer selbstverständlicher. Rund zwei Millionen Nachrichten verschickt die deutsche Anwaltschaft pro Monat über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA).  Dass sich dabei dann diverse praktische Probleme stellen, bleibt nicht aus. Einen atypischen, aber wichtigen Fall hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) München entschieden (Beschl. v. 19.6. 2024, Az. 23 U 8369/21).

Der Sachverhalt: Das Landgericht (LG) München I hatte den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten am 7.10.2021 ein Teilurteil vom 5.10.2021 elektronisch übersandt. Entsprechende Eingangsbestätigungen für den 7.10.2021 auf den jeweiligen Rechnern waren vorhanden.

Nach dreimaligem Nachfragen durch das Gericht übersandte der Beklagtenvertreter jedoch erst Wochen später, am 4.11.2021, ein Empfangsbekenntnis per Fax ans Gericht. Auf diesem war als Zustellungsdatum der 22.10.2021 vermerkt. Eine Erklärung dafür, warum die Zustellung mehr als zwei Wochen nach dem Urteil erfolgt sei, gab der Anwalt auch auf entsprechende Nachfragen, nicht ab.

Berufung verfristet

Am 22.11.2021 legte er für die Beklagte allerdings Berufung gegen das Urteil ein. Die Frage, die sich für das OLG daraufhin stellte: Ist die Berufung fristgerecht eingelegt worden? Zu bejahen wäre dies, wenn dem Rechtsanwalt das Urteil tatsächlich - wie er behauptete - erst am 22.10. zugegangen ist. Da dem OLG an dieser Version indes Zweifel.

Vom Anwalt wollte das Gericht Auskunft darüber, wann das Urteil elektronisch eingegangen war. Ein solcher Nachweis ist grundsätzlich durch das beA-Nachrichtenjournal zu führen. Diesem ist zu entnehmen, wann ein Dokument beim Rechtsanwalt eingegangen ist und wann es das erste Mal geöffnet wurde. Das OLG forderte im vorliegenden Fall daher den Beklagtenvertreter gem. § 142 Zivilprozessordnung (ZPO) auf, sein Nachrichtenjournal vorzulegen. Dies tat er nicht, es gingen nur verschiedene Dokumente ein, nicht aber das Journal. Allerdings ergab sich aus den Unterlagen, dass das Urteil am 7.10.2021 ab 8.34 Uhr elektronisch zur Verfügung stand.

Das OLG München hat die Berufung daraufhin als unzulässig verworfen. Das Gericht ging davon aus, dass die Beweiskraft des Empfangsbekenntnisses (§ 174 ZPO) durch die Nichtvorlage des beA-Nachrichtenjournals erschüttert war und deshalb davon auszugehen sei, dass das Urteil dem Rechtsanwalt vor dem 20.10.2021 zugegangen war.

Zur Not Vertretung bestellen

Dass im konkreten Fall das Urteil des LG angeblich erst zwei Wochen nach der elektronischen Übermittlung zugegangen sei, überzeugte das OLG nicht. Im Übrigen verwies das Gericht ausdrücklich auf die Regelung nach § 53 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), wonach der Rechtsanwalt dann, wenn er mehr als eine Woche seine Tätigkeit nicht ausüben kann, verpflichtet ist, einen Vertreter zu bestellen. Der müsse sich dann eben auch um entsprechende Empfangsbekenntnisse kümmern.  

Der Beschluss des OLG München dreht sich – trotz der großen Wahrnehmung in der anwaltlichen Öffentlichkeit – um einen Sonderfall, der sicherlich nicht häufig vorkommen wird. Dennoch enthält die Entscheidung über den Einzelfall hinaus, wichtige Botschaften: So ist etwa festzuhalten, dass das OLG München ausdrücklich den Beweischarakter des Empfangsbekenntnisses nach § 174 ZPO anerkennt und auch sieht, dass es hohe Hürden gibt, um diese Beweiskraft zu erschüttern. 

Das Gericht hat dann aber – wie ich finde sehr gut vertretbar –, dem Rechtsanwalt auferlegt, zu erklären unter welchen Umständen er wie das Urteil erhalten hat. Nachdem dieser dem nicht nachkam, erfolgte der Rückgriff auf § 142 ZPO mit der Aufforderung, das beA- Nachrichtenjournal vorzulegen. Wäre dies vorlegt worden, hätten sich daraus auch Fehler beim Eingang des Urteils in der Sphäre des Rechtsanwalts ergeben können: Zum Beispiel, dass das Urteil erst später für den Rechtsanwalt sichtbar war oder sonstige Umstände, die eine so späte Kenntnis wie vom Rechtsanwalt im Empfangsbekenntnis angegeben erklären.  

Keine neue Zustellungsfiktion erfunden 

Da der Rechtsanwalt diese Chance nicht nutzte und auch ansonsten keine Erklärung dahingehend abgab, warum ihn das Urteil erst am 22.10.2021 erreicht hat, war es konsequent, den Beweis des Empfangsbekenntnisses als erschüttert anzusehen.  

Allerdings handelt es sich hier um einen Ausnahmefall. Das OLG München hat mitnichten eine neue Zustellungsfiktion erfunden (wie in ersten Veröffentlichungen zur Entscheidung zu lesen war), sondern hat lediglich das Prozessrecht konsequent angewendet.  

Auch nach dem Beschluss des OLG bleibt es dabei: Das Empfangsbekenntnis behält im Normalfall seine Beweiskraft und der Rechtsanwalt ist derjenige, der persönlich, auch auf elektronischem Wege, den Empfang bescheinigt. Vom Gericht muss das akzeptiert werden. Jedenfalls in der Regel.  

In bestimmten Ausnahmefällen aber muss der Rechtsanwalt schon begründen, wenn es erhebliche Abweichungen gibt. Dies war übrigens schon in der "Vor-beA-Zeit" so. Etwa wenn die Empfangsbekenntnisse der beteiligten Anwälte zeitlich erheblich voneinander abwichen.  

Und berücksichtigen muss jeder Rechtsanwalt auch, dass er nach einer Woche nach Zugang ein Empfangsbekenntnis zurücksenden muss oder aber sein dann bestellter Vertreter.  

Fälle wie dieser nun vom OLG entschiedene sind ungewöhnlich. Den ordentlich arbeitenden Rechtsanwalt dürfte der Beschluss nicht tangieren.  

Zitiervorschlag

OLG München will das beA-Journal des Anwalts sehen: . In: Legal Tribune Online, 25.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54851 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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