BGH zu Fristversäumnis durch Rechtsanwalt: ZPO-Basis­wissen muss auch bei fal­scher Rechts­mit­tel­be­leh­rung sitzen

16.02.2023

Seit dem 1. Januar 2022 müssen Anwälte das beA für Schreiben an das Gericht verwenden. Wer kurz nach Inkrafttreten der Regelung eine Berufung postalisch einreicht, kann sich nicht auf eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung berufen. 

Seit dem 01. Januar 2022 müssen anwaltliche Schriftsätze als elektronisches Dokument über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) bei Zivilgerichten eingereicht werden. Geregelt ist das in § 130d Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun klargestellt: Die Norm ist Basiswissen, die Anwälte kennen müssen. Und zwar auch dann, wenn sie bei Fristbeginn noch nicht in Kraft getreten war (Beschl. v. 10.01.2023, Az. VIII ZB 41/22).

In dem Fall hatte ein Anwalt eine beklagte Mieterin in einem Streit um Nachzahlung von Betriebskosten vertreten. Das Urteil des Amtsgerichts, das der Klage Vermieterin überwiegend stattgegeben hatte, wurde dem Anwalt am 23. Dezember 2021 zugestellt. In der Rechtsbehelfsbelehrung hieß es unter anderem: 

"Die Berufung muss mit Schriftsatz durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt eingelegt werden. […] Rechtsbehelfe können auch als elektronisches Dokument eingereicht werden. […]"

Einen Hinweis darauf, dass für Rechtsanwälte ab dem 01. Januar 2023 die Pflicht nach § 130d ZPO besteht, enthielt die Belehrung nicht. Der Anwalt legte postalisch am 03. Januar 2022 über den Nachtbriefkasten des Gerichts Berufung ein. Nach Hinweis des Gerichts auf Bedenken bezüglich der formgerechten Berufungseinlegung übermittelte der Anwalt auch ein elektronisches Dokument und beantragte, weil die Berufungsfrist inzwischen abgelaufen war, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Berufungsgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag aber zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. 

Kein Vertrauen darauf, dass sich Prozessrecht nicht ändert

Der BGH verwarf die Rechtsbeschwerde der Beklagten dagegen nun ebenfalls als unzulässig. Die Beklagte habe die Berufungsfrist versäumt, weil die Berufungseinlegung in postalischer Form unwirksam sei. Auch eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist sei ihr verwehrt, da das Fristversäumnis auf einem der Beklagten zurechenbaren Verschulden ihres Anwalts beruhe. Sie könne sich nicht darauf berufen, dass ihr Anwalt auf die vom Gericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen dürfe. 

Der BGH ließ dabei ausdrücklich offen, ob eine Belehrung über § 130d ZPO überhaupt erforderlich ist. Selbst wenn man von einer unvollständigen oder einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung ausgehe, liege ein Verschulden an der Fristversäumnis vor. 

Wenn die Belehrung wegen des fehlenden Hinweises auf § 130d ZPO unvollständig wäre, würde es laut BGH an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der unterbliebenen Belehrung und der Versäumung der Berufungsfrist fehlen. Von einem Rechtsanwalt könne erwartet werden, dass er (selbst) die Voraussetzungen für die wirksame Einlegung eines Rechtsmittels kennt. Diese Voraussetzung habe er bei einer Rechtsänderung sogar "mit erhöhter Sorgfalt" zu überprüfen. 

beA-Nutzungspflicht "verfahrensrechtliches Grundwissen"

Auch wenn man davon ausgehe, die Belehrung sei nicht nur unvollständig, sondern inhaltlich fehlerhaft, fehle es an einem Zusammenhang zwischen (unterstellt) fehlerhaften Belehrung und dem Fristversäumnis. Ein Anwalt dürfe nicht darauf vertrauen, dass der im Zeitpunkt der Erteilung zutreffende Hinweis, wonach Rechtsbehelfe lediglich optional elektronisch eingelegt werden können, auch noch im Zeitpunkt der Berufungseinlegung der geltenden Rechtslage entsprechen würde. Aufgrund der bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Rechtskenntnisse sei es für den Anwalt "offenkundig" gewesen, dass die Berufung ab dem 01. Januar zwingend elektronisch eingereicht werden muss. 

Die aktive beA-Nutzungspflicht und die entsprechende Norm § 130d ZPO gehöre zum verfahrensrechtlichen Grundwissen eines im Zivilprozess tätigen Rechtsanwalts. Der Anwalt habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass Rechtsmittel auch nach Inkrafttreten der Vorschrift wirksam in postalischer Form übermittelt werden können. Ein Vertrauen darauf, dass sich zivilprozessuale Verfahrensvorschriften während eines anhängigen Verfahrens nicht ändern, bestehe ebenfalls nicht. Die Neufassung des Verfahrensrechts erfasse grundsätzlich auch bereits anhängige Rechtsstreitigkeiten und das neue Prozessrecht gelte - wenn sich, wie hier, aus Überleitungsvorschriften oder dem Sinn und Zweck der Regelung nichts Abweichendes ergibt - vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an.

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BGH zu Fristversäumnis durch Rechtsanwalt: ZPO-Basiswissen muss auch bei falscher Rechtsmittelbelehrung sitzen . In: Legal Tribune Online, 16.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51083/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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