Schwarmintelligenz im Netz: Recht auf Wiki­pedia

von Stefan Mey

16.03.2016

Die deutsche Wikipedia feiert ihren 15. Geburtstag. Nicht nur Laien schlagen dort gerne einmal Rechtsthemen nach. Doch wer sind die Menschen, die die Einträge verwalten? Und wie kann man selbst mitmachen? Von Stefan Mey.

Was sind AGB, wo sitzt der Bundesgerichtshof, und wer hat ein Zeugnisverweigerungsrecht? Wer etwas wissen will, fragt heute meist als erstes Google – und findet dort unter den höchstplatzierten Suchergebnissen häufig Einträge der (deutschen) Wikipedia. Die Enzyklopädie wird von der Suchmaschine als besonders verlässliche Informationsquelle angesehen und entsprechend gut platziert. Bei einer Suche nach den Begriffen "Straftat", "Mord", "BGH" oder "BGB" beispielsweise stehen Wikipedia-Artikel auf Nummer eins oder zwei der jeweiligen Trefferliste.

Die Online-Enzyklopädie wurde Januar 2001 ins Leben gerufen, am 16. März des gleichen Jahres entstand ihr deutscher Ableger. Heute bringt er es auf knapp zwei Millionen Artikel, auch zu fast allen Rechtsthemen gibt es Einträge. Das Interesse daran ist groß: Allein die Seite zum Bürgerlichen Gesetzbuch beispielsweise wurde in den letzten 30 Tagen rund 18.000 Mal gelesen.

Eine Redaktion für Rechtsthemen

Die juristischen Einträge werden im Portal:Recht zusammengefasst, eines von mehreren thematischen Ressorts der Online-Enzyklopädie. Eine ehrenamtliche Redaktion wacht über die Inhalte. "Die 'Redaktion Recht' ist ein loser Zusammenschluss von Wikipedianern, der dazu dient, die Arbeit im Fachbereich zu koordinieren und anderen Autoren eine Anlaufstelle für Fragen zu juristischen Artikeln zu bieten", sagt der Wikipedia-User Gnom, der selbst Mitglied der Redaktion ist. Man diskutiere innerhalb der Gruppe Probleme und Fragen, die bei der Arbeit an Artikeln auftauchen, etwa zu Zitierregeln für Gesetze. Aufnahmekriterien gebe es nicht. Jeder, der Interesse an juristischen Themen auf Wikipedia hat, könne mitmachen.

Anders als viele Wikipedia-Autoren ist Gnom nicht anonym. Hinter dem Nutzernamen steht Lukas Mezger, der kurz vor Abschluss seiner juristischen Dissertation an der Uni Kiel steht und danach in einer Kanzlei als Anwalt für Urheber- und Medienrecht anfangen wird. Zudem sitzt er im Präsidium des deutschen Wikimedia-Vereins. Seinen ersten Wikipedia-Artikel hat Mezger 2005 verfasst. An wie vielen juristischen Einträgen er seitdem beteiligt war, weiß er nicht genau, nach seiner Schätzung aber an mehreren hundert. Manche davon hat er nur in Details verändert, andere selbst angelegt oder maßgeblich geprägt – so etwa jene über Gefahrengebiete im Polizeirecht oder über das Umgehungsverbot im anwaltlichen Berufsrecht.

Jeder kann ändern – aber nicht jeder freischalten

Einen Artikel erstellen und bearbeiten darf eigentlich jeder. In der Praxis gibt es auf der deutschsprachigen Wikipedia jedoch eine Art Vorab-Zensur. Änderungen und neue Artikel müssen von einem "Sichter" freigeschaltet werden. Diesen Status in der Community-Ordnung kann jeder beanspruchen, der mehr als 200 erfolgreiche Bearbeitungen vorweisen kann. Hat noch kein Sichter sein Okay gegeben, signalisiert nur ein kleiner Hinweis am oberen Rand des Artikels, dass auch eine nicht bestätigte Version existiert.

Lukas Mezger schätzt, dass mehrere hunderte Autoren sporadisch oder regelmäßig an Artikeln aus dem Rechts-Ressort mitwirken. Die, die intensiv und längerfristig mitwirken, schätzt er auf "vielleicht ein paar Dutzend".

Aller Anfang ist schwer

Interessierten Neu-Autoren empfiehlt er, einfach loszulegen: auf den "Bearbeiten"-Button eines Artikels klicken und erste, kleine Änderungen vornehmen. Das gehe auch ohne Nutzerkonto. Er hält es trotzdem für sinnvoll, sich einen Account auf Wikipedia anzulegen, denn so könne man von der Community als Neuling erkannt und angesprochen werden. Im Nutzerbereich gibt es eine so genannte Artikelbaustelle, auf der man an einem Textentwurf feilen kann. Tauchen Fragen oder Probleme auf, könne man sich über ein Mentorenprogramm mit erfahrenen Wikipedianern in Verbindung zu setzen.

Gerade zu Anfang sei es kaum vermeidbar, dass andere die eigenen Änderungen auch einmal rückgängig machen würden: "Denn Wikipedia ist ja schon einige Jahre alt, und die Community hat deshalb schon viele Regeln und Konventionen erarbeitet, die man als Neuling unmöglich alle von vornherein kennen kann." Mezger empfiehlt auch, sich vor Ort mit anderen Autoren zu treffen. In fast jeder Stadt gebe es Vernetzungs-Termine, Hamburg etwa hat einen regelmäßigen Wikipedia-Stammtisch.

Relevanz, Anspruch und Verständlichkeit

Damit die vom schwer fassbaren Schwarm der Wikipedianer erzeugten Artikel ein anständiges Qualitätsniveau erreichen, hat die globale Community im Laufe der Zeit verschiedene Prinzipien erarbeitet. Eines lautet, dass Themen oder auch Personen nur dann einen eigenen Wikipedia-Eintrag haben dürfen, wenn sie "enzyklopädisch relevant" sind. Ob und wann genau die Schwelle erreicht ist, wird innerhalb der Community leidenschaftlich und manchmal verbissen diskutiert. Eine andere Regel lautet, dass kein neues Wissen geschaffen wird, wie das etwa in Artikeln von Fachzeitschriften oft der Fall ist. Wikipedia sieht sich hingegen als Tertiärquelle, die nur bereits bestehendes Wissen abbildet. Schließlich sollen Wikipedia-Artikel bei aller inhaltlichen Komplexität möglichst allgemeinverständlich sein.

Diese Prinzipien gelten für Artikel aller Disziplinen. Bei Wikipedia-Texten mit juristischem Bezug ergeben sich allerdings spezifische Probleme, erzählt Mezger. Um die "Relevanz" eines Thema zu beurteilen, müsse man beispielsweise fragen, ab wann ein Wort tatsächlich einen Rechtsbegriff darstellt, der sich wissenschaftlich definieren lässt. Und die Maßgabe, ebenso fachlich präzise wie verständlich zu schreiben, bedeute bei juristischen Themen stets einen Spagat. "Unsere Leser sind teilweise Fachleute, die nur kurz etwas nachschlagen möchten ohne gleich in einen Kommentar zu schauen. Teilweise sind es Studenten, die einen ersten Einblick in ein Thema erlangen möchten und teilweise juristische Laien, die selbstständig eine Rechtsfrage klären möchten."

Zitiervorschlag

Mey, Schwarmintelligenz im Netz: Recht auf Wikipedia . In: Legal Tribune Online, 16.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18794/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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