Whistleblowing und Extremismus in Behörden: Denun­zi­anten im Dienst?

Gastbeitrag von Prof. Dr. Andreas Nitschke

26.06.2022

Wird ein neues Hinweisgeberschutzgesetz auch die Extremistenbekämpfung in Behörden verbessern? In seiner bisherigen Form greift der Whistleblowerschutz vor allem bei der Meldung extremistischer Verhaltensweisen zu kurz, meint Andreas Nitschke.

Wer in Deutschland Beamter oder Beamtin ist, wird dienstrechtlich zur Treue und Verschwiegenheit über seine Arbeit verpflichtet. Will er und sie Regelübertretungen melden, müssen sie sich an den internen Meldeweg halten. Dass die Bundesregierung mit einem neuen sog. Hinweisgeberschutzgesetz nun Whistleblower besser schützen will, wird auch Auswirkungen auf Beamtinnen und Beamte haben.

Seit einigen Monaten nehmen Innenpolitik und Verfassungsschutz vor allem Rechtsextremisten, Reichsbürger und Selbstverwalter in Behörden stärker in den Blick. Die Pläne zum Whistleblowerschutz könnten hierzu einen Beitrag leisten. Um Extremismus in deutschen Behörden möglichst weitgehend zu bekämpfen, ist ein ebenso weitgehender Schutz für Whistleblower erforderlich.

Extremismusbekämpfung in Behörden

Die Bundesregierung hat angekündigt, Extremismus in deutschen Amtsstuben, soweit er vorhanden ist, entschlossen entgegenzutreten und Verfassungsfeinde einfacher als bisher aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Dabei wird unter anderem erörtert, ein Dienstverhältnis künftig bereits dann zu beenden, wenn Beamt:innen zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wegen Volksverhetzung verurteilt worden sind.

Ebenfalls zur innerbehördlichen Extremismusbekämpfung soll die Positionierung der Bediensteten aufmerksamer verfolgt werden. So forderte der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer bereits 2020 von der Beamtenschaft, insbesondere bei Rechtsextremismus genau hinzuschauen und entsprechende Fälle zu melden.

Dienstrechtliche "Denunzierungspflicht"?

Ob es aber über diese eher als nachdrückliche Empfehlung zu verstehende Forderung hinausgehend auch eine echte dienstrechtliche Pflicht für Beamt:innen gibt, von Kolleg:innen begangene Dienstvergehen, wie beispielsweise extremistische Vorgänge bzw. Verhaltenswiesen innerhalb der Beamtenschaft, zu melden, lässt sich nicht eindeutig sagen. In den Beamtengesetzen ist eine solche Dienstpflicht jedenfalls nicht ausdrücklich normiert.  

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH), wonach bei Korruptionsstraftaten jedenfalls für verbeamtete Sachgebietsleiter einer Behörde eine dienstrechtliche Pflicht zur Meldung besteht, und der rechtswissenschaftlichen Literatur erscheint es aber sachgerecht, eine solche "Melde- bzw. Unterrichtungspflicht" jedenfalls dem Grunde nach zu bejahen. Sie kann vor dem Hintergrund der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung und des kollegialen Miteinanders innerhalb der Beamtenschaft allerdings nur qualifizierte Dienstvergehen erfassen, die mindestens die Schwelle zur Strafbarkeit überschreiten.  

Auf diese Weise dürfte der Spagat zwischen einer zu verhindernden (weil ein Klima gegenseitiger Bespitzelung erzeugenden) gesetzlichen Verpflichtung zu einem allumfassenden Denunziantentum einerseits und andererseits der Notwendigkeit, jedenfalls bei krassen Dienstvergehen aus dem Kollegenkreis nicht "wegschauen" zu dürfen, in angemessener Weise gelingen.

Schutz nach dem Referentenentwurf zum neuen "Hinweisgeberschutzgesetz"

Vor dem Hintergrund einer so verstandenen dienstrechtlichen "Melde bzw. Unterrichtungspflicht" dürfte der Referentenentwurf zum neuen "Hinweisgeberschutzgesetz" einen angemessenen Schutz für Dienstvergehen meldende verbeamtete Whistleblower bieten. Denn in § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Entwurfs wird der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes auf alle Verstöße erstreckt, die strafbewehrt sind. Wer also entsprechende qualifizierte (weil strafbewehrte) Dienstvergehen meldet, genießt nach dem Referentenentwurf gesetzlichen Hinweisgeberschutz. Das kann etwa bedeuten, dass die Anonymität der Hinweisgeber gewahrt wird. Sorge vor dienstrechtlichen Konsequenzen brauchten Hinweisgeber in Behörden auch schon zuvor nicht zu haben, sie mussten eher "soziale" Folgen befürchten. 

Dies bedeutet eine deutliche Verbesserung der Situation von Whistleblowern in Behörden, denen nach alter Rechtslage ein solcher Schutz nicht zukam und die sich als vermeintliche "Nestbeschmutzer" oder "Kameradenschweine" nicht selten in einer emotionalen Zwickmühle befanden und ggf. sogar die "Rache" der Kolleg:innen fürchten mussten.  

Bei Dienstvergehen unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit, wie etwa im Falle einer ernstgemeinten rassistischen Äußerung, besteht nach dem Wortlaut des Referentenentwurfs zwar kein Schutz, aber nach richtigem Verständnis auch keine "Melde- bzw. Unterrichtungspflicht".

In Sicherheitsbehörden auch Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsschwelle melden

Allerdings wird bezogen auf das oben genannte Ziel der Bundesregierung, Extremismus in Behörden effektiv zu bekämpfen, deutlich, dass eine restriktiv verstandene "Melde- bzw. Unterrichtungspflicht" in vielen Fällen nicht weiterhilft. Denn extremistische Verhaltensweisen sind danach nur dann zu melden, wenn sie zugleich auch strafbewehrt sind, wie es beispielsweise bei einer Volksverhetzung der Fall wäre. Die Schwelle zur Strafbarkeit wird allerdings häufig nicht überschritten sein. Als Beispiel seien die sogenannten "Nazi-Chats" genannt, bei denen über Messenger-Dienste rassistische bzw. rechtsextreme Äußerungen im Kollegenkreis gemacht werden bzw. wurden, welche zwar ein Dienstvergehen, aber häufig als solche noch kein strafrechtlich relevantes Verhalten darstellen.

Gerade in Bezug auf Sicherheitsbehörden lässt dieser Befund innehalten, sind diese Behörden doch mit der Wahrnehmung besonders sensibler Aufgaben betraut, dürfen Bürger:innen gegebenenfalls überwachen und haben Zwangsbefugnisse. Extremistische Einflüsse können gerade in diesem empfindlichen Bereich zu schweren Folgen führen, da es nicht selten um die Sicherheit des Staates und, beispielsweise im Bereich der Polizei, um den Umgang mit Waffen geht. Daher erscheint es konsequent, jedenfalls im Bereich der Sicherheitsbehörden die Anforderungen an die Aktivierung der "Melde- bzw. Unterrichtungspflicht" herabzusetzen.

Richtigerweise sind daher jedenfalls in diesem Bereich extremistische Aktivitäten bereits unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit zu melden.

Der Referentenentwurf bietet allerdings in Bezug auf solche Meldungen bislang keinen Schutz für Whistleblower. Hierauf hat richtigerweise auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Till Steffen, in der FAZ hingewiesen. Steffen sieht die Meldung rechtsextremer Chats durch Whistleblower nur im Falle ihrer Strafbarkeit als vom Referentenentwurf geschützt an.

Das Versprechen im Koalitionsvertrag

Im Rahmen der aktuell geführten Debatte, ob der Schutz für Whistleblower nach dem Referentenentwurf zum neuen "Hinweisgeberschutzgesetz" zu weit geht oder hinter dem Notwendigen zurückbleibt, müssen auch die Konsequenzen für die öffentliche Verwaltung, insbesondere für die effektive innerbehördliche Bekämpfung von Extremismus, in den Blick genommen werden. Soll eine solche Extremismusbekämpfung unter Berücksichtigung einer jedenfalls im Bereich der Sicherheitsbehörden entsprechend weit zu interpretierenden "Melde- bzw. Unterrichtungspflicht" das Ziel sein, ist eine Erweiterung des Schutzes im neuen Hinweisgeberschutzgesetz erforderlich.

Die Regierungsparteien haben sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, neben der Meldung bzw. Offenlegung von Gesetzesverstößen auch die Aufdeckung von "sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt" unter Schutz zu stellen. Genau dieses Verhalten steht bei extremistischen Verhaltensweisen in Sicherheitsbehörden unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit in Rede.

Der Autor Prof. Dr. Andreas Nitschke ist Hochschullehrer an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in Schleswig-Holstein für die Fächer Öffentliches Recht, insbesondere Beamtenrecht, und Zivilrecht. Er war zuvor als Referent in einem Landesministerium mit beamtenrechtlichen Rechtsfragen betraut.

Zitiervorschlag

Whistleblowing und Extremismus in Behörden: Denunzianten im Dienst? . In: Legal Tribune Online, 26.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48844/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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