Nach dem Videobeweis-Fehler: Welche Chancen hätte Kölns Pro­test?

von Dr. Christian Deckenbrock

18.09.2017

3/3: Oder entscheidet am Ende die FIFA?

Im am 5. August 1997 ausgetragenen Bundesligaspiel zwischen 1860 München und dem Karlsruher SC unterbrach Schiedsrichter Michael Malbranc das Spiel durch einen Pfiff wegen eines Foulspiels eines Müncheners. Auf den nach dem Pfiff erfolgten Schuss eines Karlsruher Spielers erkannte er gleichwohl auf Tor zum 2:2. Obwohl Malbranc angab, er habe "die Wahrnehmung gehabt, erst nach dem Tor gepfiffen zu haben", setzte die DFB-Sportgerichtsbarkeit das Spiel wegen eines Regelverstoßes des Schiedsrichters neu an.

Die FIFA sah dies anders und wies den DFB an, von einer Wiederholung des Spiels abzusehen, da "Entscheidungen, die ein Schiedsrichter während einer Begegnung fällt und die den Verlauf des Spieles betreffen, Tatsachentscheidungen sind". Der internationale Fußballverband hat jedenfalls in dem damals beurteilten Sachverhalt den Begriff der Tatsachenentscheidung weiter ausgelegt als der DFB. Auf internationaler Ebene wurde also eine Abgrenzung zum Regelverstoß nicht vorgenommen, sondern jede Entscheidung des Schiedsrichters als unanfechtbar angesehen.

Die RuVO DFB sieht zwar nach wie vor eine Differenzierung von Tatsachen- und Regelverstoß vor; ergänzt wurde allerdings mittlerweile eine Bestimmung, nach der rechtskräftige Entscheidungen auf Spielwiederholungen der FIFA vorzulegen sind. Denkbar ist es daher, dass auch nun, sollte der FC Einspruch einlegen und damit nach Ansicht des DFB-Sportgerichts Erfolg haben, die FIFA das letzte Wort über eine Neuansetzung haben wird.

Insoweit müsste dann abgewartet werden, ob die FIFA an einer weiten Auslegung der Tatsachenentscheidung festhält. Vermutlich wird auch insoweit das Ergebnis von der Einlassung des Unparteiischen abhängen. Soweit er behauptet, dass er aus seiner Sicht erst nach dem Überschreiten der Torlinie gepfiffen hat, wird die FIFA wohl kaum eine Neuansetzung akzeptieren.

Sollte der Schiedsrichter dagegen einen Regelverstoß eingestehen, erschiene es fragwürdig, wenn sie gleichwohl zu seinem Schutz eine Spielwiederholung ablehnen würde. Immerhin kam es 2015 zu der schon angesprochenen Spielwiederholung des U-19-EM-Qualifikationsspiels der Frauen zwischen England und Norwegen. Damals hatte die deutsche Schiedsrichterin Marija Kurtes beim Stand von 2:1 für Norwegen in der 96. Minute einen Elfmeter für England gegeben. Als eine englische Spielerin den Ball zum vermeintlichen Ausgleich im norwegischen Tor versenkte, entschied Kurtes – weil eine englische Mitspielerin zu früh in den Strafraum lief – auf Freistoß für Norwegen und nicht – wie von den Regeln vorgesehen – auf Wiederholung des Elfmeters.

Wie gerecht könnte ein neues Spiel sein?

Unabhängig vom Ausgang des sportgerichtlichen Verfahrens spricht viel dafür, durch eine Änderung von RuVO DFB und SO DFL künftig auch bei Regelverstößen – solange kein Fall der vorsätzlichen Spielmanipulation vorliegt – die Möglichkeit auszuschließen, das Spiel neu anzusetzen.

Es gibt – auch mit dem Videobeweis – so viele gravierende Fehlentscheidungen, die im Nachhinein nicht geändert werden können. Warum also sollte nun gerade in diesem Fall eine Korrektur erfolgen? Ob ein Regelverstoß wegen weniger Zentimeter oder wie damals beim Hoffenheimer Phantomtor eine krass falsche Tatsachenentscheidung vorliegt, ist aus Sicht des Betroffenen doch letztlich egal.

Zudem bleiben Zweifel, ob ein Wiederholungsspiel wirklich ein Mehr an Gerechtigkeit bedeutet. Im Fall von Köln gegen Dortmund würde eine Neuansetzung nämlich die Borussia erheblich benachteiligen, die zum Zeitpunkt des vermeintlichen Regelverstoßes immerhin mit 1:0 zur Halbzeit geführt hätte. Die Wahrscheinlichkeit eines Dortmunder Sieges war damit deutlich höher, als wenn man nun die Uhren auf Null setzen und erneut 90 Minuten spielen lassen würde.

Und der Videobeweis?

Schließlich stellt sich die Frage nach der Zukunft des Videobeweises. DFL und DFB werden eingestehen müssen, dass auch ein einjähriges intensives Training nicht ausgereicht hat, um an den ersten Spieltagen zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen. Technikprobleme und einige zweifelhafte (Nicht-)Entscheidungen lassen auch heute die Diskussionen nicht verstummen.

Dass es nun aufgrund des Einsatzes des Video-Assistenten zu einer regeltechnisch fehlerhaften Entscheidung gekommen ist, die zumindest das Vorliegen eines Regelverstoßes vermuten lässt, gibt den Gegnern des Videobeweises weiteren Auftrieb.

Nach vier Spieltagen ein endgültiges Urteil über den Videobeweis fällen zu wollen, ist aber sicherlich zu früh – zumal jedem, der den Einsatz von Technologie in anderen Sportarten aufmerksam beobachtet hat, klar sein musste, dass es auch weiterhin zu kontroversen Entscheidungen bis hin zu einer Fehlbewertung durch den Video-Assistenten kommen wird. Letztlich entscheiden am Ende Menschen, die vor Fehlern bekanntlich nicht gefeit sind. Nach Abschluss der Saison lässt sich schon eher beurteilen, ob der Videobeweis – trotz eines so spektakulären Falls wie demjenigen vom Sonntag – nicht auch sehr viele krasse Fehlentscheidungen von Unparteiischen vermeiden konnte und so doch für insgesamt mehr Gerechtigkeit auf dem Platz gesorgt hat.

Der Autor Dr. Christian Deckenbrock ist Akademischer Rat am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Universität zu Köln. In seiner Freizeit ist er nicht nur Fan des 1. FC Köln, sondern auch Schiedsrichter in den Feld- und Hallenhockeybundesligen und als Turnieroffizieller bei internationalen Hockeyturnieren, etwa bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro, im Einsatz.

Zitiervorschlag

Christian Deckenbrock, Nach dem Videobeweis-Fehler: Welche Chancen hätte Kölns Protest? . In: Legal Tribune Online, 18.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24575/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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