Übertragung von Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare: (Teil-) Privatisierung der Justiz?

Alexander Knauss

25.06.2010

Ein Gesetzentwurf des Bundesrates soll den Ländern ermöglichen, Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare zu übertragen. Ziel ist - wie so oft - die Entlastung der Justiz und die Einsparung von Kosten. Auf den ersten Blick gerade in Zeiten leerer Kassen eine sinnvolle Überlegung. Nach Meinung von Alexander Knauss hat der Entwurf aber erhebliche Tücken.

Der Bundesrat hat beschlossen, den "Entwurf eines Gesetzes zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare" verbunden mit einer Änderung des Grundgesetzes in den Deutschen Bundestag einzubringen. Die Aufgaben aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit , die dadurch auf Notare übertragen werden sollen sind vor allem solche der Nachlassgerichte.

Die Übertragung von Rechtssachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare ist schon verfassungsrechtlich problematisch. Denn gem. Art. 92 GG ist die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut. Geplant ist daher, einen neuen Art. 98a ins Grundgesetz einzufügen, um Notaren überhaupt Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit übertragen zu können.

Hinsichtlich der Übertragbarkeit von Aufgaben soll vor allem danach unterschieden werden, ob es sich um Entscheidungen handelt, die in Rechtskraft erwachsen (dann keine Übertragbarkeit auf Notare) oder um sonstige gerichtliche Aufgaben, beispielsweise die Erteilung eines Erbscheins (dann Übertragbarkeit auf Notare).

Diese Unterscheidung greift erheblich zu kurz. Beispielsweise erwächst ein Erbschein zwar nicht in Rechtskraft. Er entfaltet aber erhebliche Rechtsscheinwirkung (vgl. §§ 2366, 2367 BGB). Wegen der häufig bestehenden Schwierigkeit der Auslegung eines Testaments bzw. der Feststellung, welches von mehreren Testamenten gilt, ist die Erteilung eines Erbscheins bei Vorliegen eines Testaments heute mit guten Gründen dem Richter vorbehalten. Lediglich bei gesetzlicher Erbfolge kann der Erbschein von einem Rechtspfleger erteilt werden (vgl. §§ 3 Nr. 2 c, 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG). Bei Übertragung des Nachlasswesens auf die Notare könnte diese Unterscheidung nicht beibehalten werden.

Bundesweite Rechtszersplitterung

Tritt der Gesetzentwurf in Kraft und machen nicht alle Bundesländer von der Möglichkeit Gebrauch, Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare zu übertragen, droht eine bundesweite Rechtszersplitterung.

Während in einem Bundesland die Notare Nachlassgericht erster Instanz sein könnten, bliebe in anderen Bundesländern das Amtsgericht zuständig. Für die Bürger wäre das Verfahren unübersichtlicher.

Schon innerhalb eines Amtsgerichtsbezirkes wäre es für den Bürger mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, herauszufinden, wer denn nun beispielsweise für die Erteilung eines Erbscheins zuständig ist. Während es in den meisten Städten nur ein Amtsgericht gibt, sind beispielsweise in Bonn 20 Notare zugelassen, in Frankfurt am Main sogar mehrere hundert Notare. Woher soll der Bürger, der von einem Erbfall betroffen ist, wissen, an wen er sich wenden muss?

Erheblich höhere Kosten für den Bürger

Die Übertragung gerichtlicher Aufgaben auf Notare führt zu erheblich höheren Kosten für den Bürger als bisher. Denn die Tätigkeit der Notare ist - anders als die der Nachlassgerichte - umsatzsteuerpflichtig. Die mit einer Aufgabenübertragung auf die Notare verbundene Steigerung der Mehrwertsteuereinnahmen wird im Gesetzentwurf auch freimütig eingeräumt (vgl. BR-Drucks. 67/10, S. 4 oben).

Für den Bürger bedeutet dies Mehrkosten von - derzeit - 19% gegenüber den jetzigen Gebühren. Diese sollen laut Gesetzesbegründung zwar "durch die Vorteile der Übertragung nachlassgerichtlicher Aufgaben auf die Notare zumindest teilweise wieder ausgeglichen" werden.

Worin diese Vorteile konkret bestehen sollen oder wie diese zu quantifizieren sind, wird allerdings nicht näher ausgeführt.

Aufgabe der (richterlichen)Unabhängigkeit

Die freiwillige Gerichtsbarkeit im Bereich des Nachlasswesens gehört zum Kernbereich der Justiz. Die Aufgaben lassen sich nicht einfach auf andere Stellen übertragen. Rechtssachen aus dem Bereich des Nachlasswesens gehören in die Hände unabhängiger Richter bzw. Rechtspfleger.

Diese Unabhängigkeit ist bei Übertragung der Aufgaben auf Notare nicht gewährleistet. Zwar sind Notare Träger eines öffentlichen Amtes. Gleichwohl können auch Notare sich von wirtschaftlichen Interessen nicht vollständig freisprechen. Nehmen wir beispielhaft an,  Immobilienunternehmer I streitet mit seiner Schwester S über die Auslegung des Testaments der gemeinsamen Mutter M. Der als Nachlassgericht zuständige Notar N beurkundet aber regelmäßig die Verträge des I, was ihm beträchtliche Einnahmen bringt.

Die Gefahr, dass seine Beurteilung - anders als die eines in jeder Hinsicht uabhängigen Nachlassgerichts -  von seinen wirtschaftlichen Interessen jedenfalls beeinflusst werden kann, ist offensichtlich.

Der Notar als erste Anlaufstelle? Nicht unabhängig und teuer - ohne Not

Nach der Gesetzesbegründung soll der Notar zum ersten Ansprechpartner rund um Testament und Erbfall werden. Dies zeigt, dass hinter dem Gesetzentwurf (zumindest auch) berufspolitische Interessen stecken.

Für die geplante Aufgabenübertragung der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare besteht keine Notwendigkeit. Sie birgt erhebliche Nachteile für den rechtssuchenden Bürger.

Zu Recht wird die geplante Gesetzesänderung daher auch von namhaften Verbänden abgelehnt.

Der Autor Alexander Knauss ist Fachanwalt für Erbrecht in Bonn und Vorstandsmitglied  der Arbeitsgemeinschaft Testamentsvollstreckung und Vermögenssorge (AGT) e.V. Er ist Verfasser zahlreicher erbrechtlicher Veröffentlichungen.

Zitiervorschlag

Alexander Knauss, Übertragung von Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare: (Teil-) Privatisierung der Justiz? . In: Legal Tribune Online, 25.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/810/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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