Komplizierte Anträge auf Corona-Hilfen: Haften nun die Steu­er­be­rater?

Gastbeitrag von Rüdiger Schaar und Dr. Marius Mehring LL.M.

17.01.2022

Bei den Anträgen auf Corona-Hilfen wirkten Steuerberater als "prüfende Dritte" mit. Viele sind nun in Sorge, für fehlerhafte Anträge haften zu müssen. Was auf die Betroffenen zukommt erläutern Rüdiger Schaar und Dr. Marius Mehring LL.M.

Das rekordverdächtige Rettungspaket des Bundes für die von der Corona-Krise bedrohte deutsche Wirtschaft ist in Wahrheit ein Flickenteppich aus verschiedenen Hilfsprogrammen, darunter die sogenannten Überbrückungshilfen I – IV und die November- und Dezemberhilfe. Steuerberaterinnen und Steuerberater unterstützten Unternehmen und Solo-Selbstständige bei der Beantragung dieser Hilfen als sogenannte "prüfende Dritte". Eine Mammutaufgabe, zumal es sich dabei um völliges Neuland handelte und die Steuerberater während der Corona-Krise ohnehin bereits stark beansprucht waren.

Im Rahmen der für das Jahr 2022 anstehenden Schlussabrechnungen müssen die Steuerberater für ihre Mandanten nunmehr abschließend darlegen, welche staatlichen Fördermittel zur Abmilderung der wirtschaftlichen Einbußen beantragt wurden und warum. Diese Schlussabrechnungen bereiten vielen Steuerberaterinnen und Steuerberatern schlaflose Nächte. In einer Facebook-Gruppe diskutieren mehr als 5.000 Mitglieder mögliche Haftungsszenarien. Die Angst, für nachträglich entdeckte, vermeintliche Fehler bei der Beantragung von Corona-Hilfen verantwortlich gemacht zu werden, ist groß. Zuletzt schaltete sich sogar die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) ein und forderte in einem offenen Brief an das Bundeswirtschaftsministerium, es dürfte "zu keinen (subventionsrechtlichen) Haftungsrisiken oder Regressansprüchen gegenüber Steuerberatern kommen“ wenn Anträge "infolge bestehender Unsicherheiten in Bezug auf die Vorgaben des jeweiligen Hilfsprogramms“ falsch gestellt wurden.

Die Förderbedingungen - immer wieder neu, immer wieder anders

Die Verunsicherung ist verständlich, glich doch der Antragsprozess aus der Sicht der "prüfenden Dritten" einem Spagat. Einerseits mussten sie als Interessenvertreter ihrer Mandanten die diesen zustehenden die Corona-Hilfen möglichst umfassend abrufen und Auslegungsspielräume zugunsten der Mandantinnen und Mandanten berücksichtigen. Allgegenwärtig war aber auch die Sorge, sich bei Beantragung zu vieler Fördermittel oder unzureichender Prüfung der Angaben des Mandanten wegen Subventionsbetrugs nach § 264 Strafgesetzbuch (StGB) bzw. Beihilfe hierzu strafbar zu machen.

"Stolperfallen" gab es bei der Antragstellung zur Genüge. Die Förderbedingungen erklärte das Bundeswirtschaftsministerium in so genannten FAQ, die zu Anfang nahezu wöchentlich aktualisiert bzw. präzisiert werden mussten und selbst nach diesen Präzisierungen bei der Bemessung der für die Höhe der Corona-Hilfszahlungen relevanten Parameter (Umsatzrückgang; Fixkosten) Bewertungsspielräume ließen. Fehleranfällig war z.B. lange die Beurteilung, wann ein "Verbundunternehmen" im Sinne der Corona-Hilfen vorliegt (hier wurde an die Steuerberatern eher wenig geläufige Definition in Anhang I Artikel 3 Absatz 3 Verordnung (EU) Nr. 651/2014 angeknüpft). Ab bestimmter Größenordnungen bedurfte es auf Seiten der Steuerberater auch noch einer detaillierten Beurteilung, ob sich das antragstellende Unternehmen zum Stichtag in "Schwierigkeiten" befand.

Strafverfolgungsrisiko nur bei offensichtlich unplausiblen Angaben und Vorsatz

Doch droht nun wirklich eine Strafverfolgung wegen Subventionsbetrugs? Tatsächlich kann gemäß § 264 Abs. 5 StGB schon "leichtfertiges" Handeln zu einer Strafbarkeit führen. Es gab auch bereits einzelne Verurteilungen von Antragstellern im Zusammenhang mit der Soforthilfen, d.h. der Bundesgerichtshof hat bereits die grundsätzliche Anwendbarkeit des Straftatbestandes auf die Corona-Hilfen bejaht (so etwa BGH, Beschl. v. 4.5.2021, Az. 6 StR 137/21).

Gleichwohl dürfte die Sorge vor einer strafrechtlichen Verfolgung des "prüfenden Dritten" nur in den wenigsten Fällen angebracht sein. Die Rechtsprechung versteht die für § 264 StGB erforderliche Leichtfertigkeit als "vorsatznahe" Schuldform, die eine besondere Gleichgültigkeit oder grobe Unachtsamkeit voraussetzt (BGH, Beschl. V. 20.05.2010, Az. 5 StR 138/10). Ein Strafbarkeitsrisiko kann für den prüfenden Dritten daher allenfalls dann bestehen, wenn die Angaben des Mandanten evident nicht glaubhaft waren, sich die Fehlerhaftigkeit des gestellten Antrags geradezu aufgedrängt hat (OLG Köln, Urt. v. 09.06.1993, Az. 13 U 22/93 zur Steuerhinterziehung).

Dabei dürfte zu berücksichtigen sein, dass dem Steuerberater nach dem ausdrücklichen Wortlaut der FAQs nur eine "Plausibilitätsprüfung" obliegt. Sofern man in dem Tatbeitrag des "prüfenden Dritten" lediglich eine Beihilfehandlung sieht, würde außerdem die von der Rechtsprechung gewährte Privilegierung für "berufstypisches Verhalten" greifen, wonach die Strafbarkeit auf Fälle wissentlichen Handelns beschränkt ist.

Haftung gegenüber dem Mandanten schon für Fahrlässigkeit

Deutlich wahrscheinlicher ist da schon eine zivilrechtliche Haftung gegenüber dem Mandanten. Ein als unzureichend empfundener Antrag auf Corona-Hilfen führt schnell zum Vorwurf einer Pflichtverletzung aus dem Mandatsvertrag. Und die vertragliche Haftung nach den §§ 280, 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) greift zudem bereits bei einfacher Fahrlässigkeit. Das Verschulden des Steuerberaters bzw. der Steuerberaterin wird schließlich nach § 280 Abs. 1 S. 2 vermutet, d.h. er oder sie muss sich aktiv vom Vorwurf der Fahrlässigkeit entlasten und aufzeigen, dass die Nichtbeantragung verfügbarer Fördermittel nicht auf seinem oder ihrem Verschulden beruht. Die Praxis zeigt, dass dieser "Entlastungsbeweis" nur selten gelingt.

Allerdings lässt auch nicht jeder objektiv "falsche" Antrag auf einen Fehler des Steuerberaters schließen. Liefert der Mandant selbst falsche Zahlen oder erteilt er fehlerhafte Auskünfte, obwohl sein Berater ihm klar und deutlich signalisiert hat, welche Unterlagen und Daten er braucht, schließt das eine Pflichtverletzung regelmäßig aus.

Ein Haftungsanspruch besteht zudem nur, wenn auch ein kausaler Schaden entstanden ist, d.h. wenn dem Mandanten oder der Mandantin bei pflichtgemäßem Handeln höhere Fördermittel zugeflossen wären. Es kommt also stets darauf an, wie die Fördermittelstelle bei korrekter Rechtsanwendung über den Antrag hätte entscheiden müssen (BGH, Urt. v. 28.09.2000, Az. IX ZR 6/99). Gerade bei höheren Schäden (je nach Unternehmensgröße erreichen die Fördermittel zum Teil zweistellige Millionenbeträge) können schließlich vertragliche Haftungsbeschränkungen zum Tragen kommen.

Letzter Ausweg Schlussabrechnung: Korrekturen und Nachzahlungen möglich?

Selbst wenn der Steuerberater durch fehlerhafte Antragstellung einen Schaden verursacht hat, folgt daraus schließlich nicht zwangsläufig eine Haftung. Mit Ausnahme der Überbrückungshilfe I ermöglichen nämlich sämtliche Corona-Hilfen im Rahmen der Schlussabrechnungen Nachzahlungen. Einen ursprünglich fehlerhaften Antrag kann der Steuerberater also korrigieren und den verursachten Schaden ausgleichen. Allerdings bestehen auch insoweit Unwägbarkeiten, etwa bei der Frage, inwieweit für Hilfsanträge nachträglich andere als die ursprünglich gewählten Beihilferahmen herangezogen werden können.

Schwierig wird es natürlich, wenn der Steuerberater wegen eines Mandatswechsels zwischen der (fehlerhaften) Antragstellung und der Schlussabrechnung die Korrektur nicht mehr selbst vornehmen kann. Hier bleibt nur die Möglichkeit, sich auf eine Schadensminderungsobliegenheit des ehemaligen Mandanten sowie des neuen Steuerberaters zu berufen. Eine Zurechnung über § 278 BGB ist nach der Rechtsprechung jedenfalls dann möglich, wenn der neue Steuerberater den Auftrag hatte, den ursprünglichen Antrag zu überprüfen (BGH, Urt. v. 20. 01. 1994, Az. IX ZR 46/93). Auf etwaige Möglichkeiten zu Korrekturen sollten Betroffene den ehemaligen Mandanten und den neuen Steuerberater daher vorsorglich hinweisen.

Ein Fall für die Haftpflicht?

Das Thema Corona-Hilfen wird fraglos früher oder später auch die Haftpflichtversicherer beschäftigen. Die Beantragung von Corona-Hilfen ist als "betriebswirtschaftliche Beratung" zwar unproblematisch von der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung erfasst. Mit Corona-Hilfen zusammenhängende Inanspruchnahmen werden die Versicherer allerdings vor besondere Herausforderungen stellen.

Zwar fehlt es nicht an Know-how im Bereich der Steuerberaterhaftung. Sachbearbeiter dürften aber in den wenigsten Fällen vertiefte Kenntnisse über die Auslegung der FAQs und der Corona-Hilfen haben und daher die Darlegung einer schuldhaften Pflichtverletzung nur schwer prüfen können. Dort wo sich Steuerberater bereits jetzt mit derartigen Vorwürfen konfrontiert sehen, kommt es daher mitunter zu vorschnellen Vergleichszahlungen, wo unter Rückgriff auf vertiefte Kenntnisse der FAQs und Antragsprozesse Verteidigungseinwände hätten formuliert werden können.

In Fällen, in denen es nicht zu einer Einigung mit dem Versicherer kommt, werden Anspruchsteller früher oder später auch den Weg zu den Gerichten suchen. Die offenen Fragen rund um die Corona-Hilfen werden daher voraussichtlich nicht nur die Steuerberaterinnen und Steuerberater und die Versicherungsbranche beschäftigen, sondern könnten letzten Endes auch ein Fall für die Justiz werden.

Rüdiger Schaar ist Steuerberater und Partner der interdisziplinären Sozietät Ganteführer in Düsseldorf und betreut dort federführend das Thema Corona-Hilfen. Dr. Marius Mehring LL.M. ist bei Ganteführer als Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Versicherungs- und Haftungsrecht tätig.

Zitiervorschlag

Komplizierte Anträge auf Corona-Hilfen: Haften nun die Steuerberater? . In: Legal Tribune Online, 17.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47226/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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