Sitzblockaden und der "Fall Ramelow": Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden

von Christoph Smets

16.12.2014

2/2: "Friedliche" Versammlungsblockade?

Herr Ramelow gibt an, selbst nur als Vermittler zwischen Demonstranten und Polizei aufgetreten zu sein. Die Anklage hingegen geht offenbar davon aus, dass er die Blockade des Aufzugs maßgeblich mitinitiiert habe. Was zutrifft, könnte etwa im Prozess geklärt werden. Geht man von der Version der Staatsanwaltschaft aus, so sind die Klagen darüber, dass hier Zivilcourage und friedliche Proteste gegen Nazis kriminalisiert werden sollten, jedenfalls fehl am Platze.

Denn sie übersehen, dass eine Blockade zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu § 240 Strafgesetzbuch (StGB) keine Gewalt im Rechtssinne darstellt, deswegen aber noch kein "friedlicher" Protest sein muss. Im Gegenteil übt eine Blockade Zwang auf die blockierte Versammlung aus, weil deren Teilnehmer nicht einfach über die Protestler hinweg laufen können.

Dieser Zwang braucht auch nicht erst kriminalisiert zu werden, denn er es ist es bereits in § 21 VersG. Danach macht sich strafbar, wer in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen zu sprengen, "grobe Störungen" verursacht. Gewalt muss danach nicht einmal angewendet werden. Gerade eine Blockade kann daneben auch tateinheitlich den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllen.

Demokratie muss mit allen Meinungen umgehen können

Die Strafbarkeit hat auch gute Gründe. Denn sie will eigentlich jenes Gut schützen, das die Gegendemonstranten hier für sich vereinnahmen: die Demokratie.

Eine Meinungskundgabe zu verhindern, ist zutiefst undemokratisch. Der Grundgesetzgeber hat sich für einen freien und offenen Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes entschieden. Die für die freiheitliche Demokratie konstituierende Meinungsfreiheit ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung. Diese zu zensieren, steht weder dem Staat noch dem Privaten in einer Volksherrschaft zu. Es steht den Gegendemonstranten natürlich jederzeit frei, anschließend oder gleichzeitig ihre Meinung kundzugeben, um dadurch einer abgelehnten Meinung ein Gegengewicht zu geben.

Bei allem Verständnis für den Wunsch, etwas gegen Neonazis zu unternehmen: es ist sehr einfach, nur Versammlungen zu begrüßen, die das wiedergeben, was man selbst auch denkt. Die Auffassung, man habe das Recht, die Äußerung unliebsamer Meinungen zu verhindern, weil man sie nicht mag oder nicht hören will, zeugt nicht von einer demokratischen Gesinnung dessen, der sie vertritt.

Wer Mut hat, hat es nicht nötig, jemandem den Mund zu verbieten

Der Demokratietest liegt an anderer Stelle. Das BVerfG betont seit jeher, dass nicht die angenehme Mehrheitsmeinung den Schutz der Meinungsfreiheit besonders braucht, sondern gerade die provokative, vielleicht verachtenswert erscheinende „unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird“ (Beschl. v. 10.10.1995, Az. 1 BvR 1476 – Soldaten sind Mörder; Beschl. v. 23.03.1971, Az. 1 BvL 25/61 und 3/62 – Jugendgefährdende Schriften). Die Versammlungsfreiheit umfasst zudem die Wahl von Ort und Zeit einer Versammlung (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, Az. 1 BvR 233, 341/81 – Brokdorf).

Dieses Gebot ist derartig fundamental für die rechtsstaatliche Demokratie, dass der Gesetzgeber es als nötig ansah, die ultima ratio des Strafrechts auf diejenigen anzuwenden, die eine Versammlung verhindern oder sprengen wollen. Dass der Großteil der Gesellschaft die üblicherweise als neonazistisch bewerteten Inhalte ablehnt, gar verabscheut, ist ein gutes Zeichen – ihre Kundgabe verhindern darf man gleichwohl nicht.

Daher zeigt der Fall Ramelow mit Sicherheit keinen Verfolgungsdrang, sondern vielmehr eine falsch verstandene Art der Zivilcourage. Wer Mut hat, hat es nicht nötig, jemandem den Mund zu verbieten. Subjektive Demokratie bedeutet, andere ihre Meinungen sagen zu lassen, um anschließend mit lauter Stimme und breiter Unterstützung die eigene dagegen zu stellen. Die verachtete Ansicht zu ertragen, um sich anschließend gegen ihren Inhalt zu stellen, das ist Zivilcourage. Speziell Angehörigen der Partei DIE LINKE mag dies bekannt sein: "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. […] weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt […]."

Der Autor Christoph Smets ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität Düsseldorf.

Zitiervorschlag

Christoph Smets, Sitzblockaden und der "Fall Ramelow": Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden . In: Legal Tribune Online, 16.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14117/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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