Österreichs COVID-19-Impfpflichtgesetz: "Kein unmit­tel­barer Zwang"

Gastbeitrag von Prof. Dr. Stephan Rixen

10.02.2022

Österreich hat eine Impfpflicht eingeführt. Stephan Rixen stellt die Regelungen dar und sagt: Rechtlich regeln lässt sich eine Impfpflicht auch in Deutschland. Die Probleme lägen woanders.

Im Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich ist am 4. Februar 2022 das "Bundesgesetz über die Pflicht zur Impfung gegen COVID-19 (COVID-19-Impfpflichtgesetz – COVID-19-IG)" verkündet worden. In Kraft getreten ist es am 5. Februar 2022, mit Ablauf des 31. Januar 2024 tritt es außer Kraft. Die zwanzig Paragrafen des Gesetzes zeigen, dass sich eine COVID-19-Impfpflicht regeln lässt. 

Diese Einsicht klingt trivial, sie ist es aber nicht. Das zeigt die Debatte in Deutschland. Über mögliche Normtexte wird immer noch nicht diskutiert. Der Blick ins Nachbarland lohnt sich, auch wenn sich natürlich nicht alles eins zu eins übertragen lässt. Das österreichische Gesetz hilft, Regelungsthemen zu identifizieren, die auch in einem deutschen COVID-19-Impfpflichtgesetz angesprochen werden müssten.

Pflicht für alle ab 18 Jahren

Das COVID-19-IG beginnt mit der klaren Aussage, dass sich alle Personen, sofern sie das 18. Lebensjahr vollendet und ihren Wohnsitz in Österreich haben, "einer Schutzimpfung gegen COVID-19 zu unterziehen" haben. Diese Pflicht wird ausdrücklich "Impfpflicht" genannt. Weil es so wichtig ist, wird gleich danach betont: "Die Impfpflicht darf nicht durch Ausübung unmittelbaren Zwangs durchgesetzt werden." Das heißt: Körperlich wirkender Zwang darf bei der Durchsetzung der Impfpflicht keine Rolle spielen. 

Daran wird später im Gesetz mit Blick auf die Geldsanktionen, die den deutschen Geldbußen entsprechen, erinnert. Zuwiderhandlungen gegen die Impfpflicht dürfen, wenn die Geldsanktionen uneinbringlich sind, nicht mit einer ersatzweise angeordneten Freiheitentziehung geahndet werden. Das entspricht aus deutscher Perspektive einem Verzicht auf die Anordnung von Erzwingungshaft (§ 96 Ordnungswidrigkeitengesetz – OWiG). Wer solchen Zwang in Deutschland bei der Durchsetzung der Impfpflicht nicht will, sollte nicht im Ungefähren bleiben, sondern Klartext reden. Das österreichische Gesetz zeigt, wie das geht.

Legaldefinitionen zentraler Begriffe des COVID-19-IG schließen sich an, ebenso Ausnahmen von der Impfpflicht. Sie betreffen Schwangere, Personen, bei denen eine medizinische Kontraindikation bestätigt ist, sowie nachweislich Genesene "für die Dauer von 180 Tagen ab dem Tag der Probenahme" (§ 3 Abs. 1 Ziffer 3 COVID-19-IG). Die Situation Genesener, die in der deutschen Debatte über die Impfpflicht bislang kaum vorkommen, gerät im österreichischen COVID-19-IG genauer in den Blick. Das Gesetz verweist ergänzend auf Regelungen des österreichischen Epidemiegesetzes, das sich eingehend mit dem Nachweis des Genesenen-Status befasst.

Gesundheitsministerium entscheidet über Intervalle und Impfstoffe

Die Impfpflicht erfüllt, wer nach dem 15. März 2022 über einen gültigen Impfstatus verfügt. Wie viele Impfungen in welchen Intervallen mit welchen Impfstoffen nötig sind, überlässt das Gesetz der Konkretisierung des österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit. Die COVID-19-Impfpflichtverordnung (COVID-19-IV) ist am 8. Februar 2022 in Kraft getreten. Sie wurde – nach vorheriger Anhörung des Nationalen Impfgremiums, das der Ständigen Impfkommission (STIKO) in Deutschland ähnelt – mit Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates, also des österreichischen Parlaments, erlassen (§ 18 Abs. 1 COVID-19-IG). 

In Deutschland wird seit Beginn der Pandemie diskutiert, wie sehr der Gesetzgeber, gemessen am Wesentlichkeitsgrundsatz bzw. an Art. 80 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG - "Inhalt, Zweck und Ausmaß"), Detailregelungen in Rechtsverordnungen zulassen darf. Ein Zustimmungsvorbehalt des Bundestages, der im Infektionsschutzrecht nichts Neues wäre (vgl. § 28c Infektionsschutzgesetz – IfSG), könnte mit einer Extradosis demokratischer Legitimation die nötige regulatorische Flexibilität bei der Normierung der COVID-19-Impfpflicht ermöglichen.

Angesichts der schwer vorhersehbaren Entwicklung von Virusvarianten und der dadurch gebotenen Anpassung von Impfstoffen dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit und die Regelungsdichte parlamentsgesetzlicher Regelungen nicht zu streng sein. Das COVID-19-IG ist daher – so ein Ausdruck aus der politischen Diskussion in Österreich – ein "Impfpflicht-Rahmengesetz". Dem entspricht in der deutschen Debatte die Rede von der "Impfpflicht auf Vorrat", die der Präzisierung durch Rechtsverordnungen bedarf.

Geldsanktionen bei Missachtung der Impfpflicht

Die Missachtung der Impfpflicht ist ab dem 16. März 2022 mit Geldsanktionen zu ahnden. Dass eine Person noch nicht geimpft ist, kann etwa bei Polizeikontrollen bekannt werden, bei denen entsprechende Nachfragen erlaubt sind. Die Polizei hat die zuständigen Verwaltungsbehörden zu informieren, die die Ahndung einleiten. Die auf solche Meldungen zurückgehenden Verfahren dürfen höchstens vier Mal im Kalenderjahr zu Geldsanktionen führen. Die Ahndung kann durch den zügigen Nachweis der Impfung verhindert werden. 

In einer nächsten Phase – der zeitliche Ablauf wird im Gesetz nicht festgelegt – soll der Kontrolldruck zunehmen. Ab einem von der österreichischen Bundesregierung noch festlegenden Erinnerungsstichtag werden die noch nicht geimpften Personen aufgrund eines automatischen Datenabgleichs, der das Melderegister, das zentrale Impfregister und das Register anzeigepflichtiger Krankheiten verbindet, gezielt ermittelt. Sie erhalten ein Erinnerungsschreiben. Weisen sie die Impfung nicht doch noch nach, dürfen ab einem von der Bundesregierung mit Zustimmung des Hauptausschusses des Parlaments ebenfalls noch festzulegenden Impfstichtag Geldsanktionen, ebenfalls im abgekürzten Verfahren, verhängt werden. 

Österreich erwartet 1,4 Millionen Verfahren

Im abgekürzten Verfahren darf die Geldsanktion nicht mehr als 600 Euro betragen. Legt die betroffene Person Einspruch ein, wird ein ordentliches Verfahren eröffnet. In diesem ordentlichen Verfahren darf eine höhere Geldsanktion (Obergrenze 3600 Euro) verhängt werden. Offenbar soll zunächst die Entwicklung der Impfquote (Durchimpfungsrate) ab dem 16. März 2022 abgewartet werden (Ziel ist eine Quote von 90%, um die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens zu schützen). 

Entwickelt sich die Impfquote nicht schnell genug in die gewünschte Richtung (und funktioniert die im Gesetz ausführlich umschriebene IT-Infrastruktur), dann lässt sich mithilfe der Informationen aus dem automatischen Datenabgleich der Kontrolldruck erhöhen, sofern es den Behörden gelingt, die Geldsanktionen schnell zu verhängen. 

Die Erläuterungen zum Gesetzentwurf gehen allein für das Jahr 2022 von 1, 4 Mio. Verfahren aus. Die Berufsverbände der Richterinnen und Richter betonen: "Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurses über die Impfpflicht ist […] eine Rechtsmittelquote von unter 10 Prozent optimistisch geringgeschätzt […]."

Verfassungsrecht vs. politische Klugheit

Aus deutscher Sicht mag sich die Frage stellen, ob ein solches Kontrollszenario verfassungsrechtlich zulässig und politisch klug ist. Mehr noch stellt sich die Frage, ob ein komplexer IT-basierter Kontrollzugriff (Stichwort "Impfregister") in wenigen Monaten praktisch installiert werden kann.

 Angesichts der in der COVID-19-Pandemie unübersehbar gewordenen Schwierigkeiten weiter Teile der öffentlichen Verwaltung, zügig für funktionierende IT-Strukturen zu sorgen, ist dies wenig wahrscheinlich. Womit sich die Frage aufdrängt, wie die Impfpflicht effektiv implementiert werden soll. Das Desaster der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, in der ein notleidendes Normprogramm (§ 20a IfSG) von notleidenden Gesundheitsämtern umzusetzen ist, sollte Anlass genug sein, die praktischen Probleme der Durchsetzung endlich ernst zu nehmen.

Ist das österreichische Gesetz ein Vorbild für Deutschland? Ja, weil es hilft, sich nichts vorzumachen: Eine Impfpflicht, sofern die Grenzen der Verfassung eingehalten werden, lässt sich regeln. Eine Impfpflicht erfolgreich umzusetzen, ist die eigentliche Herausforderung.

Der Autor Prof. Dr. Stephan Rixen ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sozialwirtschafts- und Gesundheitsrecht an der Universität Bayreuth und Mitglied des Deutschen Ethikrates.

Zitiervorschlag

Österreichs COVID-19-Impfpflichtgesetz: "Kein unmittelbarer Zwang" . In: Legal Tribune Online, 10.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47500/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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