Fan-Anwältin zum DFL-Konzept "Sicherer Stadionbesuch": "Unverhältnismäßig, rechtswidrig - und überhaupt nicht nötig"

Interview mit Waltraut Verleih

02.11.2012

2/2 Vollkörperkontrollen: "Auch der Fußballfan ist Grundrechtsträger"

LTO: Um zu verhindern, dass Pyrotechnik oder gefährliche Gegenstände ins Stadion gelangen, werden die Fans bereits jetzt vor Betreten des Stadions durchsucht. Die DFL plant auch hier eine Ausweitung hin zur Vollkörperkontrolle. Ist das aus Ihrer Sicht zielführend?

Verleih: Nein. Weder zielführend noch rechtlich zulässig. Und zwar nicht nur deshalb nicht, weil die Polizei sich dabei verstärkt privater Sicherheitsdienste bedienen will.

Grundsätzlich ist jeder Mensch – auch der Fußballfan – Grundrechtsträger und in seiner körperlichen Immunität geschützt. Eine Durchsuchung durchbricht diese "Immunität".

Deswegen dürften solche Maßnahmen, die in aller Regel gegen den Willen von Betroffenen erfolgen, nur im Rahmen gesetzlicher Vorgaben erfolgen. Die im DFL-Papier vorgesehenen Vollkörperkontrollen als quasi neben-vertragliche Pflicht des Stadionbesuchers einzuführen, wären wegen des intensiven Eingriffs in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.

"Geplante Eingriffe nicht nur überzogen, sondern gar nicht notwendig"

LTO: Einige Profivereine lehnen das Positionspapier in seiner jetzigen Fassung rundweg ab. Sehen Sie das ähnlich oder betrachten Sie es als sinnvolle Diskussionsgrundlage?

Verleih: Mitnichten. Die "Arbeitsgemeinschaft Fan-Anwälte" hat bereits in mehreren Stellungnahmen darauf verwiesen, warum wir die genannten Maßnahmen für rechtswidrig und unverhältnismäßig halten.

Ungeachtet der angesprochenen konkreten Maßnahmen enthält das Positionspapier schon gar keine Erklärung, weshalb die geplanten Eingriffe überhaupt notwendig sein sollten. Schließlich geht auch die "Kommission Sicherheit" der DFL in ihrem Papier davon aus, dass die Sicherheit in deutschen Stadien sich bereits heute auf "höchstem Niveau" bewegt.

Auch die Entwicklung der Zuschauerzahlen spricht für ein positives Sicherheitsempfinden in den Stadien. In den letzten 10 Jahren sind die Zuschauerzahlen der 1. und 2. Bundesliga um 6 Millionen Besucher auf ca. 17,5 Millionen angestiegen. Im internationalen Vergleich ist die 1. Bundesliga in Deutschland mit großem Abstand vor der Premier League in England  Spitzenreiter - und damit die zuschauerstärkste Fußballliga der Welt. Dabei sind die innerhalb der Stadien gezählten strafrechtlich relevanten Vorkommnisse seit Jahren rückläufig.

"Medien interessieren sich nur für skandalisierbares Fanverhalten"

LTO: Die DFL-Sicherheitskommission will in den kommenden Wochen den Kontakt zu Sicherheitsbeauftragten und Fanvertretern der 36 Profiklubs suchen. Können Sie und die Arbeitsgemeinschaft Fan-Anwälte auf den Ausgang der Gespräche einwirken?

Verleih: Soweit die Kommission sich für rechtliche Sachverhalte interessiert -   woran wir gewisse Zweifel hegen.

LTO: Schlägereien vor und nach Spielen, Platzstürme und das Abbrennen von Pyrotechnik: In der öffentlichen Diskussion kommen Ihre Mandanten zumeist nicht allzu gut weg. Entspricht das negative Bild von Fußballfans nach Ihren Erfahrungen der Realität?

Verleih: In den seltensten Fällen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass sich Teile der Medien häufig leider erst für Fanverhalten interessieren, wenn es sich als skandalisierbar darstellt.

Viel zu wenig Beachtung finden hingegen die vielen gemeinnützigen Dinge, die Fan-Projekte oder auch Ultra-Gruppierungen tun: Spendensammlungsaktionen zu Gunsten krebskranker Kinder, zu Gunsten von Obdachloseneinrichtungen, Mittagstische für Kinder oder die Finanzierung und Organisierung von Nachhilfeunterricht für Kinder – um nur einige Beispiele zu nennen.

Wir sehen natürlich auch, dass versucht wird, durch öffentliche Verlautbarungen von Innenpolitikern und Vertretern von Polizeigewerkschaften eine gewisse Meinungsherrschaft zu erreichen, auch um Druck auf Vereine und Verbände auszuüben. Wir versuchen, dem mit rechtlichen Erörterungen und Klarstellungen von Sachverhalten zu begegnen.

"Wir wollen verzerrende Bilder in der Justiz und im Gerichtssaal verhindern"

LTO: Sehen Sie es als Ihre Aufgabe an, diesem negativen Bild entgegenzuwirken?

Verleih: Die Mitglieder der "Arbeitsgemeinschaft Fan-Anwälte" erlangen sowohl im beruflichen Zusammenhang als auch als Stadionbesucher und Beobachter von Polizei-einsätzen in der Regel häufig genauere Kenntnisse von Vorkommnissen.

Deshalb versuchen wir nicht nur im Rahmen unserer alltäglichen Arbeit, sondern auch in Diskussionen, aufzuklären und die Debatte dort, wo es möglich ist und Interesse besteht, zu versachlichen.

Wir sehen das als notwendig an. Auch um zu verhindern, dass verzerrende Bilder den Alltag in der Justiz und im Gerichtssaal bestimmen und zu immer weiter ausufernden und zukunftsvernichtenden Strafen insbesondere sehr junger Menschen führen.

LTO: Vielen Dank für das Gespräch.

Waltraut Verleih ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für Strafrecht und Mediatorin (DAA) in Frankfurt am Main.

Die Fragen stellte Tobias Kohl.

Zitiervorschlag

Waltraut Verleih , Fan-Anwältin zum DFL-Konzept "Sicherer Stadionbesuch": "Unverhältnismäßig, rechtswidrig - und überhaupt nicht nötig" . In: Legal Tribune Online, 02.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7434/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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