Kaum ein Wochenende vergeht ohne Schlägereien zwischen Fans, Pyro-Technik oder Platzstürme. Die DFL will nun die Stadien sicherer machen. Fans sind dagegen, Vereine skeptisch. Auch die "Arbeitsgemeinschaft Fan-Anwälte" lehnt das Konzept rundweg ab. Waltraut Verleih spricht im LTO-Interview über rechtswidrige Stadionverbote, die Machtlosigkeit der Fans und deren verzerrte Wahrnehmung in Medien und Justiz.
LTO: Frau Verleih, Sie sind Teil der "Arbeitsgemeinschaft Fan-Anwälte". Was machen Sie und Ihre Kollegen genau?
Verleih: Die "Arbeitsgemeinschaft Fananwälte" ist ein Zusammenschluss von Rechts-anwältinnen und Rechtsanwälten, die regelmäßig Fußballfans vertreten und zwar sowohl in Verfahren vor Strafgerichten als auch in verwaltungs-und zivilrechtlichen Verfahren.
LTO: Wie entstand die Idee, sich um die rechtlichen Belange von Fußballfans zu kümmern?
Verleih: Uns fiel bei unserer alltäglichen Arbeit auf, wie sehr Vorkommnisse, die nur annähernd einem Fußballzusammenhang zuzuordnen waren, zu "marktbeherrschenden" Themen wurden, unter anderem in der Presse.
Parallel dazu bemerkten wir, dass bei der Verteidigung von Beschuldigten, wenn die betreffenden Vorkommnisse auch nur annähernd dem Bereich Fußball zuzuordnen waren, die Verfahren scheinbar anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegen als andere Fälle.
So scheinen einzelne Staatsanwaltschaften in Verfahren im Kontext von Fußballereignissen zu vergessen, dass man Verfahren wegen Geringfügigkeit einstellten kann.
Die meisten von uns gehen selbst seit Jahren regelmäßig ins Stadion und stellen auch dort zunehmend überbordendes polizeiliches Handeln fest.
Stadionverbote: "Rechtswidrige Datenübermittlung, keine Einsicht, keine Anhörung"
LTO: Wie können wir uns Ihre Arbeit mit den Fans vorstellen? Wie gehen Sie vor, wenn ein Mandant zum Beispiel mit einem Stadionverbot belegt worden ist?
Verleih: Das Stadionverbot ein rein privatrechtliches Hausverbot. In der Praxis verhängen Vereine solche Verbote, wenn sie Kenntnis von Ermittlungsverfahren erlangen. Rechtlich problematisch sind dabei gleich mehrere Aspekte.
So halten wir die Datenweitergabe von vorläufigen Erkenntnissen der Polizei an die Vereine für unzulässig. Vor allem, weil sie zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem die Betroffenen regelmäßig noch nicht einmal Akteneinsicht zu den Vorwürfen haben.
Außerdem werden die Stadionverbote häufig ohne weitere Prüfung des Sachverhalts, ohne Würdigung der Person und ohne Anhörung ausgesprochen. Nur wenige Vereine hören den Betroffenen vor dem Verbot an. So sind meistens bereits Fakten geschaffen, wenn die Mandanten zu uns in die Kanzleien kommen.
"Verfassungsbeschwerde gegen Stadionverbot ist anhängig"
LTO: Aber man könnte doch klagen?
Verleih: Natürlich. In solchen Fällen, in denen das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist und ein Stadionverbot verhängt wurde, könnte man vor dem zuständigen Amtsgericht gegen das Verbot klagen. Dies scheitert aber häufig sowohl an den finanziellen Möglichkeiten der Betroffenen als auch an der Erfolgsaussicht in der Sache: Nach der Rechtsprechung des BGH reicht schon die Einleitung des Ermittlungsverfahrens für ein Stadionverbot aus.
Wenn ich den eher seltenen Fall habe, dass ein Mandant mit der Anhörung zu einem beabsichtigten SV kommt, nehme ich mit dem Verein Kontakt auf, um zu versuchen, die Entscheidung über ein Stadionverbot auszusetzen zu lassen, bis ich als Verteidigerin Akteneinsicht hatte und die Vorwürfe prüfen konnte. Erst nach Akteneinsicht kann ich gegebenenfalls eine Stellungnahme für den Mandanten abgeben.
LTO: Sie sprechen die Entscheidung des BGH zur Rechtmäßigkeit von Stadionverboten an. Ist es richtig, dass im Zusammenhang damit eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe anhängig ist?
Verleih: Ja; gegen das Urteil des BGH vom 30. Oktober 2009 (Anm. d. Red.: Az. V ZR 253/08) wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.
Die Entscheidung wird besondere Bedeutung haben, weil das Ermittlungsverfahren, das Grund für die Verhängung des Stadionverbots war, nach § 153 Strafprozessordnung eingestellt wurde und nicht mit einer Verurteilung endete. Der Tatbeitrag des Beschuldigten bestand – unbestritten – allein darin, dass er mit anderen nach dem Spiel zur S-Bahn gelaufen ist.
Stadionverbot: "Prognose ist Kaffeesatzleserei"
LTO: Die Deutsche Fußballliga (DFL) will mit ihrem Positionspapier "Sicheres Stadionerlebnis" die Stadionverbotsrichtlinie aber sogar noch verschärfen und die bisherige Höchstlaufzeit von drei auf fünf Jahre ausweiten. Was halten Sie von diesem Ansatz?
Verleih: Wie alle meine Kolleginnen und Kollegen der "Arbeitsgemeinschaft Fan-Anwälte": nichts.
Die angedachte Verschärfung stellt sich aus unserer Sicht als rechtlich unzulässiges Instrument mit Strafcharakter dar - und als unverhältnismäßig. Für ein Stadionverbot als eine in die Zukunft gerichtete Maßnahme bedarf es der negativen Prognose eines zukünftig gefährlichen Verhaltens, das sich gegen die Sicherheit des Stadionbetriebs richtet.
Aber gerade bei jungen Menschen, und solche sind von Stadionverboten hauptsächlich betroffen, ist diese Prognose nicht einfach. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Würdigung der Sach- und Rechtslage sowie der Persönlichkeit des Fans - und zwar bevor eine Prognose zu einer mutmaßlichen Entwicklung möglich ist.
All das ist in dem Rahmen, in dem über Stadionverbote entschieden wird, nicht zu leisten. Die Kollegin Furmaniak hat dieses Vorhaben treffend beschrieben: "Eine solche Prognose auf fünf Jahre hinaus abgeben zu wollen, ist Hellseherei". Sie können es von mir aus auch gerne als Kaffeesatzleserei bezeichnen.
2/2 Vollkörperkontrollen: "Auch der Fußballfan ist Grundrechtsträger"
LTO: Um zu verhindern, dass Pyrotechnik oder gefährliche Gegenstände ins Stadion gelangen, werden die Fans bereits jetzt vor Betreten des Stadions durchsucht. Die DFL plant auch hier eine Ausweitung hin zur Vollkörperkontrolle. Ist das aus Ihrer Sicht zielführend?
Verleih: Nein. Weder zielführend noch rechtlich zulässig. Und zwar nicht nur deshalb nicht, weil die Polizei sich dabei verstärkt privater Sicherheitsdienste bedienen will.
Grundsätzlich ist jeder Mensch – auch der Fußballfan – Grundrechtsträger und in seiner körperlichen Immunität geschützt. Eine Durchsuchung durchbricht diese "Immunität".
Deswegen dürften solche Maßnahmen, die in aller Regel gegen den Willen von Betroffenen erfolgen, nur im Rahmen gesetzlicher Vorgaben erfolgen. Die im DFL-Papier vorgesehenen Vollkörperkontrollen als quasi neben-vertragliche Pflicht des Stadionbesuchers einzuführen, wären wegen des intensiven Eingriffs in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.
"Geplante Eingriffe nicht nur überzogen, sondern gar nicht notwendig"
LTO: Einige Profivereine lehnen das Positionspapier in seiner jetzigen Fassung rundweg ab. Sehen Sie das ähnlich oder betrachten Sie es als sinnvolle Diskussionsgrundlage?
Verleih: Mitnichten. Die "Arbeitsgemeinschaft Fan-Anwälte" hat bereits in mehreren Stellungnahmen darauf verwiesen, warum wir die genannten Maßnahmen für rechtswidrig und unverhältnismäßig halten.
Ungeachtet der angesprochenen konkreten Maßnahmen enthält das Positionspapier schon gar keine Erklärung, weshalb die geplanten Eingriffe überhaupt notwendig sein sollten. Schließlich geht auch die "Kommission Sicherheit" der DFL in ihrem Papier davon aus, dass die Sicherheit in deutschen Stadien sich bereits heute auf "höchstem Niveau" bewegt.
Auch die Entwicklung der Zuschauerzahlen spricht für ein positives Sicherheitsempfinden in den Stadien. In den letzten 10 Jahren sind die Zuschauerzahlen der 1. und 2. Bundesliga um 6 Millionen Besucher auf ca. 17,5 Millionen angestiegen. Im internationalen Vergleich ist die 1. Bundesliga in Deutschland mit großem Abstand vor der Premier League in England Spitzenreiter - und damit die zuschauerstärkste Fußballliga der Welt. Dabei sind die innerhalb der Stadien gezählten strafrechtlich relevanten Vorkommnisse seit Jahren rückläufig.
"Medien interessieren sich nur für skandalisierbares Fanverhalten"
LTO: Die DFL-Sicherheitskommission will in den kommenden Wochen den Kontakt zu Sicherheitsbeauftragten und Fanvertretern der 36 Profiklubs suchen. Können Sie und die Arbeitsgemeinschaft Fan-Anwälte auf den Ausgang der Gespräche einwirken?
Verleih: Soweit die Kommission sich für rechtliche Sachverhalte interessiert - woran wir gewisse Zweifel hegen.
LTO: Schlägereien vor und nach Spielen, Platzstürme und das Abbrennen von Pyrotechnik: In der öffentlichen Diskussion kommen Ihre Mandanten zumeist nicht allzu gut weg. Entspricht das negative Bild von Fußballfans nach Ihren Erfahrungen der Realität?
Verleih: In den seltensten Fällen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass sich Teile der Medien häufig leider erst für Fanverhalten interessieren, wenn es sich als skandalisierbar darstellt.
Viel zu wenig Beachtung finden hingegen die vielen gemeinnützigen Dinge, die Fan-Projekte oder auch Ultra-Gruppierungen tun: Spendensammlungsaktionen zu Gunsten krebskranker Kinder, zu Gunsten von Obdachloseneinrichtungen, Mittagstische für Kinder oder die Finanzierung und Organisierung von Nachhilfeunterricht für Kinder – um nur einige Beispiele zu nennen.
Wir sehen natürlich auch, dass versucht wird, durch öffentliche Verlautbarungen von Innenpolitikern und Vertretern von Polizeigewerkschaften eine gewisse Meinungsherrschaft zu erreichen, auch um Druck auf Vereine und Verbände auszuüben. Wir versuchen, dem mit rechtlichen Erörterungen und Klarstellungen von Sachverhalten zu begegnen.
"Wir wollen verzerrende Bilder in der Justiz und im Gerichtssaal verhindern"
LTO: Sehen Sie es als Ihre Aufgabe an, diesem negativen Bild entgegenzuwirken?
Verleih: Die Mitglieder der "Arbeitsgemeinschaft Fan-Anwälte" erlangen sowohl im beruflichen Zusammenhang als auch als Stadionbesucher und Beobachter von Polizei-einsätzen in der Regel häufig genauere Kenntnisse von Vorkommnissen.
Deshalb versuchen wir nicht nur im Rahmen unserer alltäglichen Arbeit, sondern auch in Diskussionen, aufzuklären und die Debatte dort, wo es möglich ist und Interesse besteht, zu versachlichen.
Wir sehen das als notwendig an. Auch um zu verhindern, dass verzerrende Bilder den Alltag in der Justiz und im Gerichtssaal bestimmen und zu immer weiter ausufernden und zukunftsvernichtenden Strafen insbesondere sehr junger Menschen führen.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Waltraut Verleih ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für Strafrecht und Mediatorin (DAA) in Frankfurt am Main.
Die Fragen stellte Tobias Kohl.
Waltraut Verleih , Fan-Anwältin zum DFL-Konzept "Sicherer Stadionbesuch": "Unverhältnismäßig, rechtswidrig - und überhaupt nicht nötig" . In: Legal Tribune Online, 02.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7434/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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