Neues Buch eines Justizjournalisten: "Rechte Richter" – alles nur Ein­zel­fälle?

von Dr. Markus Sehl

04.09.2021

Unterschätzt die Justiz die Gefahr durch Verfassungsfeinde in den eigenen Reihen? Der Jurist und Journalist Joachim Wagner hat ein Buch geschrieben, das Spurensuche und Warnung ist. Und erklärt, warum die Politik nur zögerlich handelt.

Ein AfD-Politiker verliert seinen Staatsanwaltsposten wegen rassistischer Äußerungen, die AfD stellt Verfassungsrichter in Bayern und Baden-Württemberg, Gerichte fällen nachlässige Urteile zu NPD-Plakaten wie "Migration tötet". Wenn es eine Bedrohung von rechts für die deutsche Justiz gibt, dann zeigt sie sich in Einzelfällen. Doch die Gesamtschau von Einzelfällen kann auf eine gefährliche Tendenz hindeuten - so lässt sich jedenfalls der erste Befund von Joachim Wagner in seinem neu erschienenen Buch "Rechte Richter – AfD-Richter,- Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtsstaat?" zusammenfassen.

Der Jurist Wagner, viele Jahre Justizjournalist und zuletzt stellvertretender Chefredakteur im ARD-Hauptstadtstudio, beschäftigt sich schon geraume Zeit mit der Frage, wie die Justiz auf neue Herausforderungen reagieren kann, die mit dem Auftauchen der AfD, mit verbreitetem Rechtsextremismus und Antisemitismus in Gesellschaft und Behörden zusammenhängen.  

Schon diese Herausforderungen überhaupt sichtbar zu machen und zu systematisieren, ist eine Leistung des Buchs von Wagner. Weil wie, wenn nicht über Einzelfälle, lässt sich ein solches Phänomen beschreiben?  

Wer als Verfassungsfeind einmal im Justizdienst ist, den wird man kaum wieder los

Unsicherheiten der Justiz bei der strafrechtlichen Bewertung antisemitischer und fremdenfeindlicher Wahlplakate, beim Umgang mit politisch tendenziösen Ermittlungen eines mit der AfD sympathisierenden Staatsanwalts, an den sich Ex-Kommilitonen als "Jura-Nazi" erinnern wollten, und eine Richterin, die mit Reichsbürgern und Querdenkern demonstrieren geht. Die Herausforderungen haben unterschiedliche Richtungen: mal betreffen sie die Integrität, Sensibilität und Sorgfalt der eigenen juristischen Handarbeit, mal sind es Bedrohungen von innen durch extremistisches Personal, mal ist es das außergerichtliche Engagement der Justizangehörigen. Auch der 2020 zum ersten Mal erschienene Band "Recht gegen Rechts" stellt bemerkenswerte Fälle der vergangenen Jahre zusammen, Wagner will mit seinem Buch Phänomenbereiche identifizieren und diskutiert darüber hinaus Handlungsoptionen.

"Die Justiz hat dem Problem der AfD-nahen Richter, Staatsanwälte und Laienrichter bisher wenig bis keine Aufmerksamkeit geschenkt", heißt in der Einleitung. Das Argument aus der Justiz: Ein paar Dutzend Einzelfälle bei 26.240 aktiven Richtern und Staatsanwälten in Deutschland sei "kein Problem". Wagner hat offenbar bei seiner Recherche zahlreiche Gespräche mit Justizvertretern geführt.

Dem größten deutschen Verband für Richterinnen und Staatsanwälte, der Deutsche Richterbund, wirft er vor, dass Problem zu unterschätzen. Auch die eher linksliberal Neue Richtervereinigung habe sich nur selten zum Thema geäußert. Wagner sieht eine Diskussion, "die in den Anfängen steckengeblieben ist." Er warnt: Gerade Einzelfälle von extremistischen Richtern oder Staatsanwälten können dem Ansehen der Justiz schaden, wenn sie ihre besondere Stellung missbrauchen.  

Im Hauptteil seines Buchs beschreibt er ausführlich, wo ein entscheidender Schlüsselmoment liegt, um rechtsextremistische Karrieren in der Justiz verhindern zu können: Bei der Einstellung der Nachwuchsjuristinnen und -juristen. Der Fall des früheren Staatsanwalts und AfD-Politikers Thomas Seitz, dem ein Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue vorgeworfen wird, weil er sich wiederholt rassistisch geäußert und von "Gesinnungsjustiz" gesprochen hat, zeigt, wie schwierig es selbst bei relativ eindeutigen Rechtsverstößen ist, jemanden wieder aus der Justiz zu entfernen. Der Weg führt nur über die Dienstgerichte und langjährige Rechtstreitigkeiten. Nicht zufällig ist das auf der anderen Seite auch eine Absicherung gegen politisch willkürliche Auswechslung unliebsamer oder kritischer Richter oder Staatsanwältinnen. Die Selbstkontrolle der Justiz bleibt ein Balanceakt.  

Auch die sächsische Justiz hatte zuletzt schlechte Erfahrungen gemacht. Trotz seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Landfriedensbruchs durfte ein Referendar, der sich an Krawallen von Neonazis und Hooligans in Leipzig beteiligt hatte, in Sachsen Volljurist werden. Die Justizverwaltung musste feststellen, dass gerade gegen Ende der Ausbildung die Begründungsanforderungen so hoch ausfallen, dass eine Entfernung kaum noch durchzusetzen war.

Bundesweite Einführung einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz?

Aber wie soll der Eintritt in die Justizlaufbahn aufmerksamer kontrolliert werden? Wagner spricht sich für eine bundesweite Einführung einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz aus - und zwar nach dem strengen Vorbild Mecklenburg-Vorpommerns. Das Land hatte – auch von der Fachöffentlichkeit relativ unbemerkt – Anfang 2021 die schärfste Variante einer Einstellungskontrolle beschlossen.  

Wer dort künftig Richterin oder Richter werden will, zu dem darf die Einstellungsbehörde Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Geschlecht und die Staatsangehörigkeit an das Landesamt für Verfassungsschutz übermitteln. Das meldet daraufhin Erkenntnisse zurück, die "Zweifel daran zu begründen vermögen, dass der Bewerber die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten". Dabei sollen aus Anlass der Überprüfung keine neuen Erkenntnisse zu den Bewerberinnen und Bewerbern erhoben werden.

Gegen den Einsatz des Inlandsgeheimdienstes gibt es vor allem von linken und grünen Justizpolitikerinnen und -politikern viel Widerstand. Der Regelanfrage hängt immer noch der Verdacht aus Zeiten eines "Radikalenerlasses" an, Kritiker fürchten eine Justiz, die unter Generalverdacht gestellt wird, wieder andere versprechen sich von der Überprüfung schlicht nicht allzu viel. In Bremen wurde die Einführung eine Regelanfrage wieder auf Eis gelegt. Niedersachsen prüft ein Vorhaben, genau wie Brandenburg und Hessen. "Dabei fällt auf, dass sich diese Länder seit Monaten schwertun, eine Lösung zu finden", beobachtet Wagner.  

Am Ende verstellt die Diskussion um die Einführung der Regelanfrage den Blick für das eigentliche Problem: Vor allem zu nicht-organisierten, polizeilich unauffälligen Einzelextremisten, die sich etwa im Netz radikalisieren, wird der Verfassungsschutz kaum flächendeckend über Erkenntnisse auf Vorrat verfügen. Dann wäre es einerseits konsequenter die Verfassungsschützerinnen und -schützer im Einzelfall auf die Recherche zu schicken, doch so weit möchte wohl auch Wagner mit seinem Vorschlag nicht gehen.  

Wie müsste ein wirkungsvolle Zugangssicherung aussehen?

So oder so bleibt die Frage: Wie kann eine effektive Zugangssicherung aussehen? Zuerst ist schließlich die Justiz am Zug, sie stellt den Nachwuchs ein. Wie soll sie dabei auf einen "Anfangsverdacht" aufmerksam werden? Auch dieses Problem identifiziert Wagner zielsicher. Er hat dazu bei der Recherche zu seinem Buch eine Umfrage unter den Landesjustizministerien durchgeführt. Und die Antworten sind einigermaßen erstaunlich. Bayern, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gaben laut Wagner an, das Internet für eine Recherche zu den Bewerberinnen und Bewerbern nicht zu nutzen. Alle anderen Länder halten das für ein "legitimes Hilfsmittel", sie wollen es richtigerweise nicht als Entscheidungsgrundlage, aber zur Vorbereitung von Auswahlgesprächen nutzen.  

Damit weist Wagner auf einen Baustein hin, aus dem man ein gestuftes Verfahren aufbauen könnte: Internetrecherche der Justizbehörde unter Nutzung frei verfügbarer Quellen, ein sensibilisiertes Auswahlgespräch, bei erhärtetem Verdacht eine Abfrage vorliegender Kenntnisse beim Verfassungsschutz, bei verbleibenden Zweifeln eine anlassbezogene Überprüfung. Zu diesem gestuften Verfahren müssten Bewerberinnen und Bewerber sich grundsätzlich bereit erklären, Abschreckungswirkung für Extremisten inklusive.  

Damit die eigene Internetrecherche datenschutzkonform und wirkungsvoll ausfällt, bräuchte es natürlich entsprechende Schulungen. Im investigativen Journalismus ist unter dem Stichwort Open Source Intelligence reichlich Expertise vorhanden. Auch wird es nicht um das Erstellen von Dossiers zu Personen gehen, sondern um eine Art kompakten Vorabcheck. So wie es heute alltäglich sein dürfte, dass die Namen von Bewerberinnen und Bewerber egal auf welche Stelle vom Arbeitgeber zumindest mal in das Feld einer Suchmaschine getippt werden.

Einen anderen Weg hat das Land Sachsen eingeschlagen. Es hat seine Regeln zur Einstellung von Referendarinnen und Referendaren verschärft – die aber nicht völlig frei von verfassungsrechtlichen Zweifeln an ihrem Bestand sein können. Auch hier steht die Justiz vor einem Balanceakt. Einerseits darf sie Verfassungsfeinde nicht in den Justizdienst eintreten lassen, zugleich hat sie das Ausbildungsmonopol für Volljuristinnen und Volljuristen. Vielleicht ist die Neuregelung ein erster Schritt – der noch weiteren Ausdifferenzierungen braucht.

Wie könnte eine laufende Selbstkontrolle der Justiz aussehen?

Wagner verweist jedenfalls auf eine mittlerweile erhöhte Sensibilität der Justiz in den Ländern. Und die braucht es auch, denn nur mit strengeren Einstellungsverfahren ist es nicht getan, wie Wagner betont. Radikalisierungen können sich auch im laufenden Betrieb ereignen. In diesem Zusammenhang beobachtet Wagner eine Politisierung von Richterinnen und Staatsanwälten im Zuge der Corona-Pandemie. So waren etwa einzelne Richterinnen und Richter aufgefallen, deren Urteile im Zusammenhang mit Coronaschutzmaßnahmen, wie Wagner schreibt, "bis an die Grenze der Rechtsbeugung" reichten. Hier hätte man sich gewünscht, noch etwas mehr über diese Tendenzen in der Justiz zu erfahren, auch wenn die jüngsten Entwicklungen schon in die Vorbereitungszeit der Veröffentlichung gefallen sein dürften.

Für eine laufende Selbstkontrolle der Justiz fordert Wagner, die Dienstaufsicht zu stärken und sie transparenter zu machen. Leider präzisiert Wagner nicht, welche konkreten Schritte der Justiz hier weiterhelfen könnten. Er appelliert: "Um den Eindruck von Rechtslastigkeit zu vermeiden, sollte die Justiz künftig in Verfahren mit politischem Hintergrund wacher, sensibler und geschichtsbewusst agieren." Ein Vorbild bei der Bekämpfung von Extremismus könnten Antisemitismusbeauftrage bei den Generalstaatsanwaltschaften sein.

Nicht zuletzt zeichnet das Buch aus, dass es die Aufmerksamkeit auf einen Bereich der Justiz lenkt, der in der öffentlichen Wahrnehmung der Justiz-Protagonisten, also der Richter und Staatsanwältinnen, vielleicht zu oft in Vergessenheit gerät: Die rund 40.000 ehrenamtlichen Richterinnen und Richter in deutschen Strafgerichtssälen, die sogenannten Schöffen. Auch hier fehlen Wagner wirksame Sicherungen gegen Bewerber mit extremistischem Hintergrund oder Reichsbürger. Eine gezieltere Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz im Vorfeld könnte für Wagner ein erster Schritt sein. Schon 2023 steht die nächste Schöffenwahlrunde an. Die Justizverwaltung in zwölf Bundesländern sieht laut einer Umfrage von Wagner allerdings bislang keinen Handlungsbedarf.

 

Das Buch: Rechte Richter, AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtsstaat?, Berliner Wissenschafts-Verlag, 2021, 194 S., 29 Euro

Zitiervorschlag

Neues Buch eines Justizjournalisten: "Rechte Richter" – alles nur Einzelfälle? . In: Legal Tribune Online, 04.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45915/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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