Nach der Causa Böhmermann: Das poli­ti­sche Straf­recht ist über­holt

von Prof. Dr. Marco Mansdörfer

03.05.2016

2/2: Vorschriften abschaffen oder zusammenfassen

Auch das Strafrecht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit ist 1998 im sechsten Strafrechtsreformgesetz modernisiert worden. Man hat damals mit Recht alle Menschen gleichermaßen geschützt. Unter besonderem Schutz stehen nur  Kinder und Jugendliche gegenüber ihrem Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) und – etwas später eingefügt –  Frauen gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung (§ 226a StGB).

Ebenfalls alle gleich schützt die Norm des Tatbestands der Beleidigung (§ 185 StGB) vor Ehrverletzungen und damit auch die Interessen Erdogans. Der Strafrahmen von bis zu einem Jahr ist dabei absolut ausreichend. 

Bei dem von der Bundesregierung angekündigten und von Heiko Maas beschleunigten Streichen des § 103 StGB darf nicht Halt gemacht werden. Die Aufräumaktion muss – unabhängig von Böhmermann und Erdogan – weiter gehen. Opfer des Rotstifts sollten nicht nur die §§ 102 (Angriff gegen Organe ausländischer Staaten), 103 StGB (Beleidigung von Organen ausländischer Staaten), sondern auch die §§ 90 (Verunglimpfung des Bundespräsidenten), 90b (Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen), 105 (Nötigung von Verfassungsorganen), 106 (Nötigung des Bundespräsidenten), 106b StGB (Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorganes) werden. § 90a StGB (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole) und § 104 StGB (Verletzung von Flaggen ausländischer Staaten) könnten ohne weiteres in einer Norm zusammengefasst werden.

Politisch motivierte Straftaten finden trotzdem Würdigung

Streichen heißt keinesfalls, dass das entsprechende Verhalten straflos oder weniger strafwürdig ist. Nötigungen, Beleidigungen und Angriffe sind nach allgemeinen Vorschriften strafbar. Der Nachweis, dass die allgemeinen Regeln zum Schutz politischer Organe nicht ausreichen, ist nicht erbracht. Ein Sonderschutz für Staatsoberhäupter entstammt vielmehr den Zeiten der Monarchie und ist keineswegs konsequent. Warum soll ausgerechnet die Verunglimpfung des Bundespräsidenten  speziell unter Strafe stehen? Wo bleiben der die Leitlinien der Politik bestimmende Bundeskanzler und der Präsident des Verfassungsgerichts als oberster Hüter des Rechts? Hätte man in Zeiten des Linksterrorismus nicht auch die Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank besonders schützen müssen?

Wenn man das politische Sonderstrafrecht zurückschneidet, führt dies keineswegs zur politischen Kastration. Das allgemeine Strafrecht bietet hinreichenden Spielraum, die Motive des Täters entsprechend zu würdigen. § 46 Abs. 2 StGB macht dies sogar zum Pflichtprogramm bei der Zumessung der konkreten Strafe. Dort, bei der Strafzumessung und der allgemein geltenden Spielraumtheorie, ist der Platz im Einzelfall Vergeltung, Spezial- und Generalprävention in ein angemessenes Verhältnis zu bringen.

Wie steht es also um unser politisches Strafrecht? Antik ist es, ja. Ebenfalls haben die verschiedenen Sonderrechte ausgedient. Aber damit ist es nicht getan. Das gesamte politische Strafrecht, das über Jahrzehnte von Rechtspolitik und – dogmatik stiefmütterlich behandelt wurde, gehört reformiert. Ein bloßes Update genügt nicht. Notwendig ist eine neue Version des politischen Strafrechts für eine Bundesrepublik Deutschland vor den Herausforderungen einer globalisierten Welt und als verlässliches Mitglied Europas und der Vereinten Nationen.

Der Autor Prof. Dr. Marco Mansdörfer ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht einschließlich Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht an der Universität des Saarlandes. Zudem ist er als selbstständiger Strafverteidiger mit einem Schwerpunkt auf Wirtschaftsstrafrecht tätig.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Marco Mansdörfer , Nach der Causa Böhmermann: Das politische Strafrecht ist überholt . In: Legal Tribune Online, 03.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19276/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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