DAV zum Entwurf über europäischen Warenhandel: Mate­riell unaus­ge­wogen, sprach­lich ungenau

Ein EU-einheitliches Verbrauchervertragsrecht ist eine gute Idee – das meint auch der DAV. Der vorliegende Entwurf der Kommission sei allerdings handwerklich missglückt. Co-Berichterstatterin Sylvia Kaufhold fasst die Kritik zusammen.

Gewährleistungsrechte sind innerhalb der Europäischen Union (EU) natürlich existent – bisher indes nicht ganz einheitlich. Problematisch ist dies insbesondere im Online-Handel, wenn Käufer und Händler in unterschiedlichen Ländern beheimatet sind und ihre Rechte und Pflichten somit unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen können. Die EU-Kommission arbeitet daher seit langem an einer Vereinheitlichung des Verbrauchervertragsrechts und hat Ende Oktober 2017 einen geänderten Richtlinienvorschlag zum Warenhandel vorgelegt. Zur Stunde findet eine Verbändeanhörung im BMJV zum Thema statt.

Im Vorschlag für eine Richtlinie COM(2017) 637 "über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenhandels" erstreckt die EU-Kommission den ursprünglich auf den Online-Warenhandel und sonstige Formen des Fernabsatzes mit Verbrauchern beschränkten Richtlinienvorschlag COM(2015) 635 vom Dezember 2015 jetzt allerdings auf den stationären Handel. Im Kern soll damit eine europaweit einheitliche (vollharmonisierte) Gewährleistungs- und Verjährungsfrist von zwei Jahren mit ebenso langer Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers eingeführt werden. Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG, auf die der deutsche Gesetzgeber bekanntlich die Schuldrechtsmodernisierung aufbaute, wird im Gegenzug aufgehoben.

Harmonisierung ja, aber richtig

In seiner Stellungnahme befürwortet der Deutsche Anwaltverein (DAV) das Ziel, die Regelungen für den On- und Offline-Handel zu harmonisieren. Den konkreten Vorschlag jedoch kritisiert er auf 26 Seiten ganz überwiegend als materiell unausgewogen und handwerklich schlecht gemacht.

Vor allem sollten durchaus existierende Mängel und Unklarheiten in den diversen bestehenden Regelungen und Entwürfen auch über den Warenhandel hinaus innerhalb "eines Rechtsaktes" vereinheitlicht werden, meint der DAV. Das reformierte Mängel- und Haftungsrecht könne dann, unter Berücksichtigung jeweiliger Spezifika, für Waren, Dienstleistungen und digitale Inhalte gleichermaßen gelten. Damit schlägt der DAV den Bogen zum ebenfalls seit zwei Jahren hochumstrittenen Richtlinienvorschlag COM(2015) 634 "über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte". Dazu hatte der DAV bereits Ende 2016 in seiner Stellungnahme einen neuen, ganzheitlicheren Harmonisierungsansatz vorgeschlagen. Im Sinne der Kohärenz und Vereinfachung des europäischen (Daten-)Vertragsrechts insbesondere im digitalen Binnenmarkt sollte die Harmonisierung auch angrenzende Rechtsgebiete und das Kollisionsrecht berücksichtigen, gewissermaßen im Gegenzug aber auf einige wesentliche Grundregeln reduziert werden. Eine derartige "Basis-Harmonisierung" würde nach Meinung des DAV einerseits europaweit verbindliche (grundsätzlich vollharmonisierte) Standards setzen, den Eingriff in die gewachsenen nationalen Rechte und Kodifikationen jedoch andererseits auf ein Minimum reduzieren.

Heimliche Neufassung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie

Von einer solchen "minimalistischen" Regelungstechnik ist der aktuelle Entwurf der EU-Kommission in der Tat weit entfernt. Zunächst fragt man sich, auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität, warum (wirklich) notwendige Änderungen nicht in die geltende Verbrauchsgüterkaufrichtlinie eingearbeitet wurden, anstatt diese einer auf den Online-Handel zugeschnittenen Neuregelung zu opfern. Denn in der Sache handelt es sich "um eine – nicht näher begründete sowie inhaltlich und handwerklich verunglückte – Neufassung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, obwohl sich diese im Wesentlichen bewährt hat", so der DAV in seiner Stellungnahme.

Tatsächlich weist der Entwurf der EU-Kommission zahlreiche über das Gewährleistungsrecht und den Harmonisierungsgrad hinausgehende Änderungen des bisherigen Regimes auf, die sich nicht ohne weiteres erschließen und erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung auslösen dürften. Dies war bereits zur ursprünglichen Fassung, die noch auf den Fernabsatz beschränkt war, von zahlreichen Verbänden und Experten zum Teil scharf kritisiert worden – auch im Rahmen einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages im Mai 2016. Die nicht näher begründeten Änderungen betreffen insbesondere eine unklare bzw. willkürlich erscheinende Abgrenzung des neuen Warenbegriffs (bisher: "Verbrauchsgut") gegenüber Dienstleistungen und digitalen Inhalten, die Neustrukturierung des Mängelbegriffs und der Rechtsbehelfe des Verbrauchers, die Neudefinition der "gewerblichen Garantien" unter teilweiser Abweichung von der Verbraucherrechterichtlinie und die Einführung einer – äußerst weit gefassten – Rechtsmängelhaftung.

Förderung der Wegwerfmentalität

In Bezug auf den Kerngehalt der Neuregelung, die Dauer der Mängelhaftung, ist der DAV der Ansicht, dass der Richtlinienentwurf keinen ausgewogenen Verbraucherschutz schaffe. Bislang wird vermutet, ein Mangel habe bereits bestanden, wenn dieser innerhalb von sechs Monaten nach Lieferung bzw. Gefahrübergang "offenbar" wird. Diese Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers soll jetzt auf die gesamte Zeit der zweijährigen Gewährleistung verlängert werden. Eine Pflicht zum Nutzungs- oder Wertersatz trifft den Verbraucher dabei nicht, die noch in einigen Mitgliedstaaten existierende Rügepflicht – von der Deutschland aktuell keinen Gebrauch gemacht hat – wird abgeschafft. Schließlich soll künftig ein Recht auf Ersatzlieferung und Rückabwicklung des Vertrags auch im Falle einer nur geringfügigen Vertragswidrigkeit bestehen.

Unter Berücksichtigung der ohnehin schon sehr weitgehenden EuGH-Rechtsprechung zur Beweislastumkehr (vgl. EuGH, Urt. v. 04.06.2015, Az. C-497/13), setze all dies falsche Anreize für den Verbraucher, noch kurz vor Ende der Gewährleistungszeit eigentlich nicht gerechtfertigte Mängelrügen zu erheben, meint der DAV. Dies führe nicht nur zu übermäßigen Belastungen der Wirtschaft, sondern in der Regel auch zur vorzeitigen Verschrottung noch funktionsfähiger Ware mit entsprechender Umweltbelastung und Rohstoffverschwendung. Insgesamt werde damit eine volkswirtschaftlich und ökologisch bedenkliche Wegwerfmentalität gefördert.

Verkürzung der Gewährleistung für Baustoffe

Weiterhin verhindere die Vollharmonisierung, dass die Mitgliedstaaten für bestimmte Waren kürzere oder längere Gewährleistungsfristen vorsehen könnten. Auch Verkäufer von Gebrauchtwaren müssten demnach in Zukunft zwei Jahre lang deren Mängelfreiheit garantieren.

Andererseits besteht für besonders langlebige Waren das Bedürfnis nach einer längeren Gewährleistung als zwei Jahre. So gilt im deutschen Recht bei Baustoffen eine fünfjährige Verjährungsfrist, wobei derzeit– entsprechend etwa dem französischen Recht – sogar eine Verlängerung auf zehn Jahre diskutiert wird. Ähnlich verhält es sich bei Rechtsmängeln, für die das deutsche Kaufrecht eine Verjährungsfrist von bis zu 30 Jahren vorsieht. Die betreffenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches müssten geändert werden – mit sehr einschneidenden Folgen für den Rechtsverkehr und Verbraucherschutz. Schließlich werfe die Vollharmonisierung die Frage auf, inwieweit noch eine Schadensersatzverpflichtung des Verkäufers zulässig sei, wie sie im deutschen Recht erst durch die Schuldrechtsmodernisierung eingeführt wurde.

Mehr Qualität durch weniger Regeln

Mit diesen über 13 Seiten ausgeführten grundlegenden Kritikpunkten am neuen System jedoch nicht genug: Auf weiteren 13 Seiten legt der DAV zahlreiche sprachliche und systematische Ungenauigkeiten und Widersprüche dar, insbesondere im Verhältnis zur englischen Sprachfassung. Die meisten dieser Mängel hatte er bereits im Rahmen seiner Stellungnahme vom März 2016 zur ersten Fassung des Vorschlags vom Dezember 2015 – offensichtlich erfolglos – moniert. Dies zeige, so der DAV, "eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der 'handwerklichen', d.h. legislatorischen oder rechtstechnischen Qualität europäischer Rechtsakte, die die Gefahr in sich birgt, Europaverdrossenheit bei den Bürgern hervorzurufen oder zu befördern".*

Dies ist im Verhältnis zur Zurückhaltung bisheriger Stellungnahmen des DAV, gerade durch den Ausschuss Europäisches Vertragsrecht, ein sehr begrüßenswerter und aufgrund der aufgezeigten Lösungsmöglichkeiten gleichwohl konstruktiver Klartext.

Insgesamt kann man die Stellungnahme des DAV zum aktuellen Richtlinienvorschlag als Plädoyer für mehr Qualität durch Beschränkung auf Grundregeln verstehen. Denn nur gutes Recht im Sinne von "gut gemachtes", d.h. durchdachtes, ausgewogenes, systematisch aufgebautes und insgesamt einfach und schlank gehaltenes Recht schafft nachhaltig (Rechts-)Sicherheit und Akzeptanz, besonders in Zeiten gesellschaftlichen und technischen Umbruchs. Die Qualität unseres Rechts sollte daher im Mittelpunkt einer neuen Rechtspolitik stehen. Zum Vorteil von Verbrauchern und Unternehmern – auf europäischer und nationaler Ebene.

Die Autorin Dr. Sylvia Kaufhold, Maître en droit, ist als Rechtsanwältin auf deutsches und internationales Vertrags- und Internetrecht sowie Europa- und Rechtspolitik spezialisiert. Sie ist Mitglied der Gesetzgebungsausschüsse Zivilrecht und Europäisches Vertragsrecht beim Deutschen Anwaltverein (DAV).

*Zunächst fehlerhaftes Zitat angepasst am 12. Januar, 10:20 h.

Zitiervorschlag

Sylvia Kaufhold, DAV zum Entwurf über europäischen Warenhandel: Materiell unausgewogen, sprachlich ungenau . In: Legal Tribune Online, 09.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26373/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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