BVerfG zum Ehegattensplitting für Lebenspartner: "Unser Familienrecht ist nicht mehr zeitgemäß"

Interview mit Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz

06.06.2013

2/2: "Rückwirkung entspricht Steuergerechtigkeit"

LTO: Das BVerfG verpflichtet den Gesetzgeber nun, eine rückwirkende Regelung zum 1. August 2001 zu treffen. Also zu dem Zeitpunkt, zu dem die eingetragene Lebenspartnerschaft geschaffen wurde. War das zwingend?

Grziwotz: Die Karlsruher Richter waren da relativ streng und sind vielleicht von ihrer bisherigen Linie abgewichen. Das kritisiert auch das Sondervotum. Dort heißt es, der Senat setze sich über die bisherige Rechtsprechung des BVerfG hinweg, wonach der Gesetzgeber einen mit dem Grundgesetz unvereinbaren Rechtszustand nicht rückwirkend beseitigen muss, wenn die Verfassungslage nicht hinreichend geklärt war.

Die Mehrheit der Verfassungsrichter hält dagegen daran fest, dass es von Anfang an eine gleiche Besteuerungslage gab, seit 1. August 2001 also kein Differenzierungskriterium vorlag und deshalb Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft seit diesem Zeitpunkt hätten gleich behandelt werden müssen. Das war zwar nicht zwingend, aber unter dem Aspekt der Steuergerechtigkeit sicher in Ordnung.

LTO: Trotz der Rückwirkung wird sich aber nichts ändern für eingetragene Lebenspartner, die bereits bestandskräftig veranlagt worden sind?

Grziwotz: In diesen Fällen ändert sich tatsächlich nichts. Die Schwulen- und Lesbenverbände haben aber ihren Mitgliedern geraten, gegen ihre Steuerbescheide Einspruch einzulegen. In den meisten Fällen sind diese Bescheide daher wohl nicht bestandskräftig geworden.

LTO: Ist es denn kompliziert, über einen so langen Zeitraum eine rückwirkende Regelung zu schaffen und umzusetzen?

Grziwotz: Die meisten Leute geben ihre Steuererklärung ja eh nie pünktlich ab, so dass die Bescheide häufig Jahre zurückliegen. Und die Unterlagen sind ja da. Das ist zwar ein Mehraufwand, aber es sind auch nicht so viele Fälle. Darauf hat auch das BVerfG hingewiesen. Zuletzt wurden 34.000 eingetragene Lebenspartnerschaften gezählt.

"Die Ehe ist nicht mehr unbedingt Kern der Familie"

LTO: Welche Möglichkeiten hat der Gesetzgeber jetzt?

Grziwotz: Er könnte Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft zukünftig gleich behandeln, das Splitting also auf beide anwenden, oder ein Familiensplitting schaffen, wie das ja auch schon politisch diskutiert wird.

Bevor man das Ehegattensplitting bzw. Lebenspartnerschaftssplitting aber über Bord wirft, sollte man bedenken, dass dieses Modell durchaus auch eine ziemlich fortschrittliche Komponente hatte. Es bewertet die Ehe als eine Wirtschaftseinheit mit Vor- und Nachteilen, die das Steuerrecht ausgleichen soll. Das war damals natürlich vor allem bei der Alleinverdiener Ehe wichtig.

LTO: Derzeit beim BVerfG anhängig ist noch ein Verfahren zur gemeinsamen Adoption durch eingetragene Lebenspartner.

Grziwotz: Ich erwarte, dass das BVerfG auch in diesem Fall bei seiner Linie bleiben wird.

LTO: Macht es dann überhaupt noch Sinn, gesetzlich zwischen Ehe und eingetragenen Lebenspartnern zu differenzieren?

Grziwotz: Es gibt ja die Initiative des Bundesrats, die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Partner zu öffnen. Im Prinzip wäre das der leichteste Weg. Familienpolitisch wird das aber möglicherweise nicht durchsetzbar sein. Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das ja momentan noch offen gelassen, weil er sagt, europaweit besteht da noch kein Konsens.

LTO: Was würden Sie von dieser Lösung halten?

Grziwotz: Es gibt unterschiedliche Optionen: die Gleichstellung, beide Institute nebeneinander oder die dritte Option, provokativ gesagt, die Ehe abschaffen und generell nur noch von Lebenspartnerschaften ausgehen. Im Grunde stimmt das gesamte Familienrecht nicht mehr mit den modernen Familienstrukturen überein. Es leben immer mehr Paare ohne Trauschein zusammen, es werden immer mehr Kinder außerhalb der Ehe geboren. Die Ehe ist nicht mehr unbedingt Kern der Familie. Die Methoden der modernen Fortpflanzungsmedizin bringen das Abstammungsrecht durcheinander. Es bedarf daher einer grundlegenden Reform, bei der der Gesetzgeber überlegt, was ist insbesondere zum Schutz der Kinder geboten ist.

LTO: Erwarten Sie, dass nach der Wahl eine solche grundlegende Anpassung angegangen wird?

Grziwotz: Der Gesetzgeber wird – egal wie die Wahl ausgeht – das Familienrecht, vor allem zum Schutz der Kinder, einer Reform unterziehen müssen.

LTO: Herr Professor Grziwotz, vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel.

Das Interview führte Claudia Kornmeier.

Zitiervorschlag

Herbert Grziwotz, BVerfG zum Ehegattensplitting für Lebenspartner: "Unser Familienrecht ist nicht mehr zeitgemäß" . In: Legal Tribune Online, 06.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8865/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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