Das BVerfG hält die Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnern beim Ehegattensplitting für verfassungswidrig. Ganz einig waren sich die Richter allerdings nicht. Ein Sondervotum kritisiert auch, dass der Gesetzgeber nun eine rückwirkende Neuregelung zum 1. August 2001 schaffen soll. Im LTO-Interview plädiert Herbert Grziwotz für eine grundlegende Reform des Familienrechts.
LTO: Eingetragene Lebenspartner dürfen nicht vom Ehegattensplitting ausgeschlossen werden. So das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. v. 07.05.2013, Az. 2 BVR 909/06 u.a.). Was halten Sie davon?
Grziwotz: Der Beschluss war so zu erwarten. Ich hätte nach den Entscheidungen zur Hinterbliebenenversorgung und zur Schenkungsteuer nicht auf ein gegenteiliges Ergebnis gewettet.
Seit der Entscheidung zur Schenkungsteuer hat das BVerfG gesagt, es braucht einen besonderen Differenzierungsgrund, um die eingetragene Lebenspartnerschaft zu benachteiligen. Wenn der Gesetzgeber einen solchen nicht findet, muss er beide Institute gleich behandeln.
LTO: Einen besonderen Differenzierungsgrund haben die Verfassungsrichter für das Ehegattensplitting also nicht gefunden?
Grziwotz: Nein. Wobei es ja ein Sondervotum gab. Die zwei abweichenden Richter meinten, dass die tatsächliche Basis des Beschlusses sehr dünn wäre. Ein taugliches Differenzierungskriterium sahen sie darin, dass Kinder in jeder zweiten Ehe aufwachsen, aber nur in jeder 13. eingetragenen Lebenspartnerschaft, also in einem verschwindet geringen Maße verglichen mit der Ehe. Nach den bisherigen Entscheidungen des BVerfG war aber nicht zu erwarten, dass die Mehrheit der Richter dieses Kriterium für ausreichend halten würde.
"Eigentlich hätte die Bunderegierung längst handeln können"
LTO: In dem Sondervotum wird ja kritisiert, dass diese Zahlen gar nicht erst erhoben worden sind?
Grziwotz: Genau. Das BVerfG hat einfach gesagt, auch in eingetragenen Lebenspartnerschaften kommen Kinder vor. Wie viele das sind, haben die Richter offen gelassen.
Die Mehrheit der Richter hat ansonsten daran angeknüpft, dass der Gesetzgeber Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft immer auf gleicher Ebene behandelt habe, beides seien immer Institute mit Rechten und Pflichten gewesen. Das Sondervotum kritisiert auch diesen Punkt. Es habe zwei Phasen gegeben, vor und nach 2005 als das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrecht in Kraft getreten sei. Bis dahin habe die Lebenspartnerschaft noch etwas hinter der Ehe zurück gestanden. Wirklich gravierend waren diese Unterschiede aber nicht.
LTO: Das Sondervotum überzeugt Sie also nicht?
Grziwotz: In einem haben die beiden Richter sicherlich Recht. Bis 2005 gab es noch Unterschiede, zum Beispiel im Unterhaltsrecht, und auch der Versorgungsausgleich war nicht geregelt. Aber etwa im Güterrecht standen beide Institute bereits gleich trotz unterschiedlicher Begriffe.
LTO: Sie haben eben bereits gesagt, der Beschluss war zu erwarten. Er liegt auf einer Linie mit der bisherigen Rechtsprechung. Dem Gesetzgeber ist daher angetragen worden, die Karlsruher Entscheidung gar nicht erst abzuwarten, sondern von sich aus diese Ungleichbehandlung zu beseitigen. Hätte der Gesetzgeber das tun müssen?
Grziwotz: Eigentlich hätte die Bundesregierung längst handeln können. Sie hat es aber wohl aus wahltaktischen Gründen nicht getan. Es wäre sinnvoll gewesen, das selbst zu korrigieren.
2/2: "Rückwirkung entspricht Steuergerechtigkeit"
LTO: Das BVerfG verpflichtet den Gesetzgeber nun, eine rückwirkende Regelung zum 1. August 2001 zu treffen. Also zu dem Zeitpunkt, zu dem die eingetragene Lebenspartnerschaft geschaffen wurde. War das zwingend?
Grziwotz: Die Karlsruher Richter waren da relativ streng und sind vielleicht von ihrer bisherigen Linie abgewichen. Das kritisiert auch das Sondervotum. Dort heißt es, der Senat setze sich über die bisherige Rechtsprechung des BVerfG hinweg, wonach der Gesetzgeber einen mit dem Grundgesetz unvereinbaren Rechtszustand nicht rückwirkend beseitigen muss, wenn die Verfassungslage nicht hinreichend geklärt war.
Die Mehrheit der Verfassungsrichter hält dagegen daran fest, dass es von Anfang an eine gleiche Besteuerungslage gab, seit 1. August 2001 also kein Differenzierungskriterium vorlag und deshalb Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft seit diesem Zeitpunkt hätten gleich behandelt werden müssen. Das war zwar nicht zwingend, aber unter dem Aspekt der Steuergerechtigkeit sicher in Ordnung.
LTO: Trotz der Rückwirkung wird sich aber nichts ändern für eingetragene Lebenspartner, die bereits bestandskräftig veranlagt worden sind?
Grziwotz: In diesen Fällen ändert sich tatsächlich nichts. Die Schwulen- und Lesbenverbände haben aber ihren Mitgliedern geraten, gegen ihre Steuerbescheide Einspruch einzulegen. In den meisten Fällen sind diese Bescheide daher wohl nicht bestandskräftig geworden.
LTO: Ist es denn kompliziert, über einen so langen Zeitraum eine rückwirkende Regelung zu schaffen und umzusetzen?
Grziwotz: Die meisten Leute geben ihre Steuererklärung ja eh nie pünktlich ab, so dass die Bescheide häufig Jahre zurückliegen. Und die Unterlagen sind ja da. Das ist zwar ein Mehraufwand, aber es sind auch nicht so viele Fälle. Darauf hat auch das BVerfG hingewiesen. Zuletzt wurden 34.000 eingetragene Lebenspartnerschaften gezählt.
"Die Ehe ist nicht mehr unbedingt Kern der Familie"
LTO: Welche Möglichkeiten hat der Gesetzgeber jetzt?
Grziwotz: Er könnte Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft zukünftig gleich behandeln, das Splitting also auf beide anwenden, oder ein Familiensplitting schaffen, wie das ja auch schon politisch diskutiert wird.
Bevor man das Ehegattensplitting bzw. Lebenspartnerschaftssplitting aber über Bord wirft, sollte man bedenken, dass dieses Modell durchaus auch eine ziemlich fortschrittliche Komponente hatte. Es bewertet die Ehe als eine Wirtschaftseinheit mit Vor- und Nachteilen, die das Steuerrecht ausgleichen soll. Das war damals natürlich vor allem bei der Alleinverdiener Ehe wichtig.
LTO: Derzeit beim BVerfG anhängig ist noch ein Verfahren zur gemeinsamen Adoption durch eingetragene Lebenspartner.
Grziwotz: Ich erwarte, dass das BVerfG auch in diesem Fall bei seiner Linie bleiben wird.
LTO: Macht es dann überhaupt noch Sinn, gesetzlich zwischen Ehe und eingetragenen Lebenspartnern zu differenzieren?
Grziwotz: Es gibt ja die Initiative des Bundesrats, die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Partner zu öffnen. Im Prinzip wäre das der leichteste Weg. Familienpolitisch wird das aber möglicherweise nicht durchsetzbar sein. Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das ja momentan noch offen gelassen, weil er sagt, europaweit besteht da noch kein Konsens.
LTO: Was würden Sie von dieser Lösung halten?
Grziwotz: Es gibt unterschiedliche Optionen: die Gleichstellung, beide Institute nebeneinander oder die dritte Option, provokativ gesagt, die Ehe abschaffen und generell nur noch von Lebenspartnerschaften ausgehen. Im Grunde stimmt das gesamte Familienrecht nicht mehr mit den modernen Familienstrukturen überein. Es leben immer mehr Paare ohne Trauschein zusammen, es werden immer mehr Kinder außerhalb der Ehe geboren. Die Ehe ist nicht mehr unbedingt Kern der Familie. Die Methoden der modernen Fortpflanzungsmedizin bringen das Abstammungsrecht durcheinander. Es bedarf daher einer grundlegenden Reform, bei der der Gesetzgeber überlegt, was ist insbesondere zum Schutz der Kinder geboten ist.
LTO: Erwarten Sie, dass nach der Wahl eine solche grundlegende Anpassung angegangen wird?
Grziwotz: Der Gesetzgeber wird – egal wie die Wahl ausgeht – das Familienrecht, vor allem zum Schutz der Kinder, einer Reform unterziehen müssen.
LTO: Herr Professor Grziwotz, vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Herbert Grziwotz, BVerfG zum Ehegattensplitting für Lebenspartner: "Unser Familienrecht ist nicht mehr zeitgemäß" . In: Legal Tribune Online, 06.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8865/ (abgerufen am: 28.05.2023 )
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