Reformen im Abstammungs- und Kindschaftsrecht: Das Fami­li­en­recht auf dem Weg in die Rea­lität

von Hasso Suliak

16.01.2024

Das BMJ hat Eckpunkte für umfassende Änderungen im Abstammungs-, Adoptions- und Kindschaftsrecht vorgelegt. Viele Neuerungen würden die geltende Rechtslage gehörig entstauben und die Realität des Familienlebens besser abbilden.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat am Dienstag seine Pläne für ein moderneres Familienrecht vorgestellt. Mit den in zwei Eckpunktepapieren anvisierten Änderungen im Abstammungsrecht sowie im Sorge- und Umgangs- sowie Adoptionsrecht geht Buschmann Reformen an, auf die sich die Ampel im Wesentlichen im Koalitionsvertrag geeinigt hatte. Insbesondere die geplanten Novellierungen im Sorge- und Umgangsrecht dürften künftig die Realität vieler Familienmodelle (z.B. Regenbogen- oder Patchwork-Familien) besser abbilden.

Im Adoptionsrecht kommt es gar zu einer grundlegenden Liberalisierung: So soll das Bestehen einer Ehe für die gemeinsame Adoption minderjähriger Kinder keine Voraussetzung mehr sein. Außerdem sollen verheiratete Personen künftig auch allein ein Kind adoptieren können.

"Die Regeln über das Sorge- und Umgangsrecht sowie das Adoptionsrecht sollen so modernisiert werden, dass sie allen in der Gesellschaft gelebten Familienformen hinreichend Rechnung tragen und die Rechtsstellung von Kindern gestärkt wird", heißt es einleitend in einem der beiden Papiere aus dem Bundesministerium für Justiz (BMJ).

Mehr Autonomie im Sorgerecht

Angegangen werden diverse Aspekte des Sorgerechts. Als elterliche Sorge bezeichnet man die Pflicht und das Recht der Eltern, für das minderjährige Kind zu sorgen. Grundsätzlich sollen Eltern in Bezug auf ihr Sorgerecht künftig mehr Gestaltungsmöglichkeiten erhalten und zum Beispiel unter Einbeziehung des Jugendamts die Alleinsorge eines Elternteils vereinbaren können. Auch eine Übertragung der elterlichen Sorge von einem Elternteil auf den anderen soll leichter möglich sein. "Die Eltern können am besten beurteilen, welches Sorgerechtsmodell am besten zu ihnen passt", heißt es in den Eckpunkten. Grenze bleibe aber die Gefährdung des Kindeswohls, bei der das Familiengericht die jeweils erforderlichen Maßnahmen ergreifen kann.

Ausgeweitet werden soll zudem das "kleine Sorgerecht". Dieses gibt dem oder der Berechtigten das Recht, Alltagsangelegenheiten des Kindes mit- bzw. allein zu entscheiden (§ 1687b BGB). Dazu gehören etwa Fragen zur Ernährung, Kleidung, Hygiene oder Gesundheit des Kindes. Die Sorgeberechtigten (im Regelfall die Eltern) sollen künftig durch Vereinbarung bis zu zwei weiteren Personen – zum Beispiel ihren jeweils neuen Partnern – sorgerechtliche Befugnisse einräumen können. Relevant sei diese Neuerung vor allem für Patchwork- und Regenbogenfamilien, heißt es in dem Papier Gegenstand der eingeräumten Befugnisse sollen – ähnlich wie derzeit nach § 1687b BGB – in der Regel nur die Angelegenheiten des täglichen Lebens sein. Die Vereinbarung soll auch vor der Empfängnis abgeschlossen werden können, zum Beispiel wenn es etwa in Regenbogenfamilien neben den rechtlichen Eltern noch eine weitere Person (zum Beispiel der leibliche Vater oder der Partner bzw. die Partnerin eines rechtlichen Elternteils) gibt, die das Kind mitbetreuen soll.

Auf eine rechtsfeste Grundlage gestellt werden soll auch der Umgang des Kindes mit Dritten, zum Beispiel mit dem leiblichen Vater des Kindes. Mit ihm sollen die sorgeberechtigen Eltern künftig Vereinbarungen über die konkrete Ausgestaltung des Umgangs schließen können. Eine entsprechende Vereinbarung könne auch schon vor Zeugung des Kindes geschlossen werden.

Wechselmodell erstmals gesetzlich geregelt

Weiter sollen künftig unverheiratete Väter in den Fällen, in denen die Eltern einen gemeinsamen Wohnsitz haben, durch einseitige Erklärung das gemeinsame Sorgerecht erlangen können. Bislang ist hierfür eine Sorgeerklärung von Vater und Mutter erforderlich. Widerspricht die Mutter dem Wunsch des Vaters, soll das Familiengericht über die gemeinsame Sorge entscheiden. "Angesichts der Tatsache, dass viele unverheiratete Väter heute von Geburt an und mit Einverständnis der Mutter Verantwortung für das Kind übernehmen wollen, ist diese Regelung nicht mehr zeitgemäß."

Zu einer wichtigen Änderung kommt es auch im Zusammenhang mit der Betreuung von Kindern. Hier wird schon lange kritisiert, dass das klassische Residenzmodell, bei dem gemeinsame Kinder nach einer Trennung nur von einem Elternteil – zumeist der Mutter – betreut werden, nicht mehr zeitgemäß ist. Fortan soll nun das sogenannte Wechselmodell, wonach das Kind z.B. eine Woche bei der Mutter, eine Woche beim Vater lebt, erstmals rechtlich verankert werden.

"Es soll gesetzlich klargestellt werden, dass das Familiengericht eine Betreuung durch beide Elternteile im Wechselmodell anordnen kann, wenn es in einem Umgangsverfahren eine Regelung zur zeitlichen Aufteilung der Betreuung des Kindes zwischen den Eltern trifft." Eine solche Anordnung soll sowohl eine hälftige Teilung der Betreuungszeit der Eltern (sogenanntes symmetrisches Wechselmodell) als auch einen erheblichen Anteil des weniger betreuenden Elternteils an der gesamten Betreuungszeit (sogenanntes asymmetrisches Wechselmodell) zum Gegenstand haben können. Als zentraler Maßstab für die Anordnung gelte das Kindeswohl, heißt es.

Gestärkt werden soll künftig auch die Alleinentscheidungsbefugnis von getrenntlebenden Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht. In Angelegenheiten des täglichen Lebens sollen sie in dem Zeitraum, in dem sich das Kind bei ihnen aufhält, allein entscheiden – und zwar unabhängig vom Betreuungsmodell. Jedoch: "Betrifft eine Angelegenheit des täglichen Lebens nicht nur diesen Zeitraum, müssen beide Eltern einverstanden sein."

Schutz vor häuslicher Gewalt, Stärkung von Kinderrechten

Buschmanns Eckpunkte sehen schließlich mehr Schutz vor häuslicher Gewalt bei Sorge und Umgang sowie die Stärkung der Kinderrechte vor.

Familiengerichte sollen in Umgangs- und Sorgeverfahren dazu verpflichtet werden, den Schutz vor häuslicher Gewalt in den Blick zu nehmen. Unter anderem soll klargestellt werden, dass das Familiengericht in Umgangsverfahren etwaige Anhaltspunkte für häusliche Gewalt gegenüber dem Kind und/oder dem anderen Elternteil und deren Auswirkungen umfassend und systematisch ermittelt und eine Risikoanalyse vornimmt. Ein gemeinsames Sorgerecht soll künftig nicht nur bei Gewalt gegenüber dem Kind, sondern auch bei Partnerschaftsgewalt regelmäßig nicht in Betracht kommen.

Die Rechtsposition von Kindern soll künftig u. a. dadurch gestärkt werden, dass sie ein eigenes Recht auf Umgang mit ihren Großeltern und Geschwistern, mit anderen Bezugspersonen sowie mit leiblichen, nicht rechtlichen Elternteilen erhalten. "Bislang haben Kinder nur ein eigenes Recht auf Umgang mit ihren rechtlichen Eltern. Großeltern, Geschwister, soziale Bezugspersonen und der genetische Vater haben dagegen bereits nach derzeit geltender Rechtslage ein Recht auf Umgang mit dem Kind; dieses soll das Kind nun spiegelbildlich erhalten", heißt es in den Eckpunkten. Auch hier sei Voraussetzung, dass der Umgang dem Wohl des Kindes dient.

Überhaupt sollen Kinder ab dem 14. Lebensjahr im Sorge- und Umgangsrecht künftig mehr Befugnisse bekommen. Sie sollen entscheiden dürfen, wem das Umgangsrecht mit ihnen zusteht. In bestimmten Fällen sollen sie gerichtliche Entscheidungen herbeiführen können und Umgangsvereinbarungen auch widersprechen können. Zum Beispiel dann, wenn es um die gemeinsame Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern geht. "Schließen die Sorgeberechtigten Vereinbarungen zu Sorge und Umgang, soll ein Kind ab dem 14. Lebensjahr zustimmen müssen. Im Übrigen bleibt es dabei, dass – entsprechend der derzeitigen Praxis in der Rechtsprechung – der Kindeswille (auch der eines Kindes unter 14 Jahren) als ein Kriterium für eine Vielzahl von Entscheidungen, die das Kind betreffen, zu berücksichtigen ist."

Diskriminierung lesbischer Mütter wird beendet

Eng verwoben sind die einige Neuerungen im Kindschaftsrecht auch mit der Reform des Abstammungsrechts. Dieses bestimmt, wer die rechtlichen Eltern eines Kindes sind. Hier will Buschmann nun endlich die im Koalitionsvertrag verabredete Beendigung einer Diskriminierung lesbischer Mütter angehen.

Heißt: Wenn ein Kind in eine Partnerschaft von zwei Frauen geboren wird, soll die Partnerin der Frau, die das Kind geboren hat, ebenfalls Mutter des Kindes werden können, ohne es adoptieren zu müssen. Für sie soll insoweit das Gleiche gelten wie bei verschiedengeschlechtlichen Paaren für den Partner der Mutter. In diesem Kontext stellt das BMJ klar, dass das Zwei-Eltern-Prinzip beibehalten wird: "Die zweite Elternstelle soll entweder durch einen Mann als Vater oder durch eine weitere Frau als Mutter besetzt werden können." Auch am bewährten Grundsatz, dass die Frau, die das Kind geboren hat, auch stets die rechtliche Mutter des Kindes ist, werde festgehalten.

Mehr Gewicht bekommen sollen Vereinbarungen der Eltern: Vor Zeugung eines Kindes können sie verbindlich bestimmen, wer neben der Frau, die das Kind geboren hat, rechtlicher Vater oder rechtliche Mutter eines Kindes werden soll. Dadurch soll – insbesondere auch bei privaten Samenspenden – frühzeitig eine rechtssichere Eltern-Kind-Zuordnung ermöglicht werden.

Stärkere Rechte für leibliche Väter

Weiter sollen nach Buschmanns Plänen die Rechte leiblicher Väte gestärkt werden, die als rechtliche Väter Verantwortung für ihr Kind übernehmen wollen.

Hier kommt es zu der Neuerung, dass für die Dauer des Verfahrens, in dem ein Mann seine Vaterschaft feststellen lassen will, grundsätzlich kein anderer Mann die Vaterschaft für dieses Kind anerkennen können soll. Und wer glaube, leiblicher Vater zu sein, soll die Vaterschaft eines anderen Mannes künftig auch anfechten können, wenn eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu dem anderen Mann besteht. "Anders als derzeit soll eine sozial-familiäre Beziehung die Anfechtung nicht kategorisch ausschließen. Vielmehr soll das Gericht in so einem Fall künftig im Einzelfall prüfen, ob das Interesse an der Anfechtung der Vaterschaft das Interesse an dem Fortbestand der bisherigen Vaterschaft überwiegt", heißt es in den Eckpunkten.

Hintergrund dieser Regelung dürfte auch ein derzeit anhängiges Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sein, in dem ein leiblicher Vater um sein Recht kämpft, auch als rechtlicher Vater anerkannt zu werden. Die geltenden Regelungen zur Vaterschaftsanfechtung könnten sich als verfassungswidrig herausstellen.

Schließlich sehen die Eckpunkte vor, dass Kinder künftig einfacher ihr Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung verwirklichen können. Dazu soll ein spezielles Feststellungsverfahren eingeführt werden, in dem das Kind per gerichtlichem Beschluss feststellen lassen kann, ob eine Person z.B. ihr leiblicher Vater ist. Die rechtliche Elternschaft soll sich dabei (möglicherweise erst einmal) nicht ändern: "Ein Kind kann so feststellen lassen, ob es leiblich von einem bestimmen Mann abstammt, ohne dafür die rechtliche Bindung zu seinem rechtlichen Vater kappen zu müssen."

DAV-Anwältin kritisiert falschen Fokus im Kindschaftsrecht 

Aus der Anwaltschaft fiel die erste Reaktion auf Buschmanns Pläne gemischt aus: Es sei erfreulich, dass Reformen im Familienrecht angegangen werden und dass die Fachwelt frühzeitig in den Gesetzgebungsprozess eingebunden werde, sagte Eva Becker, Fachanwältin für Familienrecht und Mitglied im Vorstand des Deutschen Anwaltverein DAV. Auch sei es zu begrüßen, "dass die Vorstellungen der Expertengruppen, die das BMJ vor Jahren bereits um eine Bedarfsanalyse und Reformvorschläge gebeten hatte, aufgegriffen werden, wenn nun durch die Möglichkeit, Vereinbarungen zur Abstammung und zur elterlichen Sorge zu schließen, mehr Autonomie in das Familienrecht einziehen soll".

Im Abstammungsrecht aber, so Becker, werde mit der Installation der Mitmutter möglicherweise dem Bundesverfassungsgericht zuvorgekommen, "wenn es rechtzeitig gelinge, die Eckpunkte über einen Referentenentwurf zu einem Gesetz werden zu lassen".

Hinsichtlich der geplanten Änderungen im Kindschaftsrecht kritisierte die Familienrechtlerin, dass die "wesentliche Thematik" nicht angegangen worden sei: So bleibe es bei einem Vetorecht der Mutter bei der Anerkennung der Vaterschaft, sodass Väter den Weg über eine gerichtliche Entscheidung gehen müssten, wenn sie das Sorgerecht erlangen wollen. Eine Vereinfachung soll es nur geben, wenn ein gemeinsamer Wohnsitz mit der Mutter besteht. Diese Konstellation treffe aber nicht die Hauptanwendungsfälle, so Becker. "Es hat den Anschein, dass Kinder nun neben der Geburtsmutter mehr 'Mutter' bekommen, aber nicht mehr 'Vater und Mutter'". Großeltern und Regelungen für Kinder in Regebogenfamilien, so erfreulich der Regelungsansatz dort auch sei, seien nicht die Hauptanwendungsfälle, erläuterte die Anwältin im Gespräch mit LTO.

dgti: "Abstammungsreform unzureichend"

Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) begrüßte in einer Erklärung die Eckpunkte*: "Wir freuen uns insbesondere für alle lesbischen Paare, die künftig einfacher gemeinsame Mütter ihrer Kinder werden können." Besonders enttäuschend sei jedoch, "dass statt wie angekündigt auf den ersten Blick keinerlei Regelungen für tin* (trans*, inter* und nicht-binäre) Personen enthalten sind". Auch stellte der Verband klar, dass mit Blick auf bestimmte Menschen eine "Umsetzung der Leitplanken zur Abstammungsrechtsreform" nur zum Teil erfolgt sei.

"Wir fordern bereits seit Jahren die Möglichkeit, dass die Benennung der Elternschaft nicht mehr an biologische Gegebenheiten geknüpft ist und die Anerkennung von Eltern in ihren richtigen Geschlechtern möglich sein muss. Trans*Männer, die gebären, müssen es ermöglicht bekommen, als rechtliche Väter anerkannt zu werden, trans*Frauen, die ein Kind gezeugt haben, als Mütter ihrer Kinder. Nicht-binäre Personen müssen eine neutrale Bezeichnung als Elternteil ermöglicht bekommen. Die sozialen Realitäten von tin*Personen und die vier Personenstände werden im Eckpunktepapier nicht mitgedacht. Damit wird wohl die Eintragung von trans*, inter* und nichtbinären Elternteilen mit ihrem unzutreffenden Geschlecht und Vornamen nicht beendet."

Das BMJ kündigte an, entsprechende Gesetzentwürfe bis zum Sommer vorzulegen. Mit dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens rechnet das Ministerium "bis 2025".

*Stellungnahme nachträglich ergänzt am Tag des Erscheinens, 14.54 Uhr.

Zitiervorschlag

Reformen im Abstammungs- und Kindschaftsrecht: Das Familienrecht auf dem Weg in die Realität . In: Legal Tribune Online, 16.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53646/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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