Interview zu Hatespeech im Netz: Digi­taler Hass geht zurück – bei Face­book

Interview von Hasso Suliak

08.09.2021

Die sozialen Medien sind zum Tatort für Beleidigungen und Bedrohungen geworden. Strafrechtlerin Elisa Hoven hat erforscht, wie sich digitaler Hass auf den Facebook-Kommentarseiten großer Zeitungen in den letzten Jahren entwickelt hat.

LTO: Frau Prof. Dr. Hoven, gemeinsam mit dem Medienwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Hestermann und dem Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Michael Autenrieth haben Sie die Publikumskommentare auf Facebook-Seiten deutscher Massenmedien in den Jahren 2018 und 2020 erfasst. Rund 1.300 Hasskommentare haben Sie näher untersucht. Eines Ihrer Ergebnisse lautet: Der Hass im Netz hat in den letzten Jahren eher abgenommen.

Prof. Dr. Elisa Hoven: Jedenfalls ist der Anteil der Hasskommentare auf den untersuchten Facebook-Seiten großer deutscher Medien von 2,6 Prozent im Jahr 2018 auf 0,9 Prozent im Jahr 2020 auf rund ein Drittel zurückgegangen. Dies gilt für alle untersuchten Medien und für fast alle Themen. Lediglich bei Kommentaren zum Thema Kriminalität bleibt die Hassdichte 2020 mit 2,6 Prozent annähernd so hoch wie 2018 (2,7).

Welche Erklärung haben Sie für diese Entwicklung?

Zum einen gab es 2020 weniger polarisierende Themen: Anfang 2018, kurz nach dem erstmaligen Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag, waren besonders umstrittene Themen mit ausgeprägter Hassdichte dominant: vor allem Flucht und Einwanderung (27,9 Prozent aller Kommentare) und Rechtsextremismus (26,1). Beide Themen fanden 2020 nur rund ein Fünftel so viel Aufmerksamkeit.

Zum anderen gab es im Jahr 2020 mit Corona ein dominierendes Thema. Fast die Hälfte aller untersuchten Facebook-Kommentare bezogen sich auf die Pandemie. Und obwohl in der Gesellschaft z.B. über die Corona-Maßnahmen äußerst emotional diskutiert wurde, lag der Anteil an Hasskommentaren auf den untersuchten Facebook-Medienseiten zum Thema Gesundheit im unteren Bereich (0,5 Prozent).

Schließlich haben wir auch Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die gesetzgeberischen Initiativen bei einigen Menschen präventiv wirken und zumindest schwerste Formen von digitalem Hass im Vorfeld zu verhindern.

"Digitaler Hass nicht überwiegend ein Problem von rechts"

Ihre Studie räumt mit der Vorstellung auf, Hass-Posts kämen zumeist von Rechtsextremisten oder Rechtspopulisten.

Viele der Angriffe sind politisch nicht zweifelsfrei zu verorten. Aber in der Tat: In der Medienforschung wurden Beleidigungen und Bedrohungen vielfach als rechtsradikal oder eng mit dem Rechtspopulismus verknüpft eingeordnet. Unsere Analyse bestätigt nicht, dass digitaler Hass nur oder ganz überwiegend ein Problem "von rechts" ist.

Explizite Angriffe gegen politische Parteien und politische Richtungen richten sich bei den von uns untersuchten Kommentaren sogar häufiger gegen rechts als gegen links, häufiger gegen die AfD als gegen die Grünen. Andererseits zielt der digitale Hass vielfach auf Eingewanderte und Geflüchtete (12,4 Prozent), bezieht sich aber noch häufiger auf Straftaten (33,4 Prozent), vor allem Kindesmissbrauch, oder Tierquälerei (19,5 Prozent).

Und: Wenn uns Interviewpartner von geplanten Aktionen berichten, also von einem bewussten Einsatz von digitalem Hass zur Einschüchterung bestimmter Personen, dann kam das tatsächlich häufiger aus der politisch "rechten" Ecke.

(c) Elisa Hoven - Fotografin Maya Claussen

"Frauen werden anders angegriffen"

Ein weiterer, durchaus überraschender Befund Ihrer Untersuchung ist, dass Männer häufiger Ziel von Beleidigungen und Bedrohungen sind als Frauen.

Wir haben festgestellt, dass Frauen anders angegriffen werden – signifikant häufiger mit Bezug auf ihr Geschlecht.

Aber die These, Frauen würden besonders häufig digitalen Hass erleben, ließ sich im Untersuchungszeitraum nicht bestätigen. Männer äußern sich möglicherweise häufiger kontrovers in der Öffentlichkeit und werden damit schneller zur Zielscheibe von digitalem Hass. Ein Grund dafür könnte auch sein, dass sich Frauen aufgrund von Online-Angriffen eher aus Debatten zurückziehen.

Dieser sog. "Silencing"-Effekt ist übrigens typisch: Im Rahmen einer von mir beauftragten repräsentativen Bevölkerungsbefragung gaben 42 Prozent der Befragten an, dass sie aus Sorge vor Hasskommentaren schon einmal einen Beitrag bewusst vorsichtiger formuliert oder ganz darauf verzichtet haben, einen Text zu posten.

"Mai-Beschlüsse des BVerfG sehr hilfreich"

Sie sprachen es bereits an: Digitaler Hass ist nach Ihrer Analyse auch deshalb zurückgegangen, weil gesetzgeberische Reformen Wirkung zeigen und einige aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung zurückhaltender agieren.

Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren einige lobenswerte Anstrengungen unternommen, um mögliche Lücken im strafrechtlichen Schutz vor digitalem Hass zu schließen oder härter zu sanktionieren. Für im Internet begangene Beleidigungen wurden z.B. die Strafen angehoben, zugleich können die Taten gegen Poltiker:innen strenger geahndet werden (§ 188 StGB). Außerdem wurden in den Tatbeständen der Bedrohung (§ 241 StGB) sowie der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126 StGB) die Kataloge der in Bezug genommenen Strafnormen erweitert.

Ich glaube auch, dass die sog. „Mai-Beschlüsse“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 2020 sehr hilfreich sind, um digitalen Hass künftig wirksamer zu verfolgen und zu ahnden. Das BVerfG hat klargestellt, dass der Meinungsfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsschutz kein genereller Vorrang gebührt.  Es hat damit die Grenzen des strafrechtlichen Schutzes weiter gezogen.

Das Gericht hat dabei auch die digitale Kommunikation in den Blick genommen und anerkannt, dass die ehrbeeinträchtigende Wirkung einer Äußerung verstärkt werde, wenn sie „besonders sichtbar in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium“, wie dem Internet, getätigt werde. Richter:innen werden künftig wohl kaum mehr urteilen, dass eine Politikerin wie Renate Künast straffrei als "Drecks Fotze" bezeichnet werden darf.  

"Hass verlagert sich in Telegram-Chats"  

Das klingt alles sehr erfreulich: Gesetze gegen Hass wirken, Staatsanwaltschaften und Gerichte werden künftig an einer stärkeren Gewichtung des Ehrschutzes nicht mehr vorbeikommen – dann dürfte der Hass aus dem Netz ja bald verschwinden?

Nein, die Abnahme der Hassdichte auf den untersuchten Facebookseiten bietet keinen Anlass zur Entwarnung. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass der digitale Hass nicht schwindet, sondern weniger sichtbar wird, indem er sich z.B. von eher transparenten Facebook-Seiten in schwieriger zu kontrollierende Zonen wie Telegram-Chats verlagert. Darauf verweisen auch neuere Umfragen, in denen weiterhin ein hoher Anteil der Befragten bekundet, dass sie Zeugen bzw. Ziel von digitalem Hass werden.

Der Gesetzgeber darf bei diesem Thema nicht die Hände in den Schoß legen, sondern muss weiter wachsam sein und auf strafwürdiges Verhalten im Netz reagieren. Ich sehe hier durchaus noch Spielraum.

Reformbedarf bei Volksverhetzung und Beleidigung

An welcher Stelle sehen Sie juristischen Handlungsbedarf?

Künftige Reformüberlegungen sollten sich mit Verständnis und Reichweite des Gruppenbezugs beim Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB auseinandersetzen. Hier hat das Oberlandesgericht Köln kürzlich ein erfreuliches Urteil gefällt und die pauschale Verunglimpfung von Frauen bestraft.

Aber es gibt aus unserer Sicht weitere Unstimmigkeiten: Ein Kommentar zur Rettung von Migranten im Mittelmeer "Muss man sie abknallen! Dann ist endlich Ruhe!" ist zwar geeignet, ein feindseliges Diskussionsklima zu schaffen, wird aber von § 130 StGB nicht erfasst, da Migranten oder Geflüchtete, die sich außerhalb Deutschlands befinden, keinen "Teil der Bevölkerung" i.S.d. §130 StGB darstellen.

Reformbedarf sehe ich auch bei der Beleidigung nach § 185 StGB. Ein Qualifikationstatbestand der sexualbezogenen Beleidigung wäre aus meiner Sicht angemessen, um nicht nur die vielen Beleidigungen von Frauen, sondern auch die von Homosexuellen oder Transsexuellen angemessener zu bestrafen.

"Strafzumessungsrichtlinien für die Gerichte"

Apropos angemessenere Strafen. Sie forschen ja auch zu einer Reform des Strafzumessungsrechts, um mangelnder Akzeptanz strafgerichtlicher Urteile entgegenzuwirken. Gibt es Formen des digitalen Hasses, denen im Rahmen der Strafzumessung eine besondere Bedeutung zukommt?

Es macht sicherlich einen Unterschied, ob eine beleidigende Äußerung ein paar "Likes" bekommt oder einen Shitstorm verursacht, auf den Hunderte aufspringen und sich die Betroffenen einer Art "Hasstirade" ausgesetzt sehen. Das müsste im Rahmen der Strafzumessung dann entsprechend berücksichtigt werden.

Aber beim Thema Strafzumessung haben wir in Deutschland ein großes Problem: Die Strafmaße in Deutschland sind trotz vergleichbarer Sachverhalte äußerst uneinheitlich. Und das fördert nicht gerade die Akzeptanz der Justiz.

Wir sollten daher über präzisere Strafzumessungsrichtlinien nachdenken, die den Richterinnen und Richtern transparente und allgemeingültige Maßstäbe für gerechte Strafen an die Hand geben. Außerdem halte ich eine Strafzumessungsdatenbank für sinnvoll, die den Gerichten eine Orientierung ermöglicht, wie in vergleichbaren Fällen geurteilt wurde. In anderen Ländern wie zum Beispiel in Australien gibt es das bereits – und ist dort nicht mehr wegzudenken.

In etwa eineinhalb Jahren werden mein Kollege Thomas Weigend aus Köln und ich unsere Forschungsergebnisse zur Strafzumessungspraxis in Deutschland präsentieren – und hoffentlich ein paar Vorschläge zur Reform machen können, die von der Politik auch gehört werden.

Herzlichen Dank für das Gespräch. 

Prof. Dr. Elisa Marie Hoven ist Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind das deutsche und internationale Strafrecht, das Wirtschaftsstrafrecht, das Medienstrafrecht und das Sexualstrafrecht. Seit 2020 ist sie zudem Richterin am Sächsischen Verfassungsgericht.

Zitiervorschlag

Interview zu Hatespeech im Netz: Digitaler Hass geht zurück – bei Facebook . In: Legal Tribune Online, 08.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45942/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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