Zweites BGH-Urteil zum Ku'damm-Autorennen: Ein Raser kann ein Mörder sein

von Dr. Christian Rath

18.06.2020

Der BGH bestätigt im Kern das Mord-Urteil des Berliner LG zum tödlichem Autorennen auf dem Ku'damm. Es gebe aber keine "fallübergreifenden" Lösungen, betonten die Karlsruher Richter. Christian Rath war vor Ort.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes für einen der sogenannten Ku'damm-Raser bestätigt. Das Urteil gegen seinen Rennkumpan wurde aufgehoben, hier muss das Landgericht (LG) Berlin neu verhandeln (Urt. v. 18.06.2020, Az. 4 StR 482/19).

Damit ist das langwierige Verfahren zwar noch nicht völlig zu Ende, doch die Grundfragen sind jetzt geklärt. Im Wesentlichen stellte der 4. Strafsenat auf eine Einzelfallprüfung ab. Rechtssicherheit ist damit wohl kaum geschaffen. Der BGH sagt nicht: Raser sind Mörder. Aber er eröffnet Gerichten zumindest die Möglichkeit, Raser in Ausnahmefällen wegen Mordes zu verurteilen. Dass er dies nicht aus strukturellen Gründen ablehnte, ist die eigentliche Botschaft des Urteils.

Ein tödliches Rennen

Im Februar 2016 lieferten sich zwei junge Männer - Hamdi H. (damals 27) und Marvin N. (24) - nachts um halb eins spontan ein Wettrennen auf dem Berliner Kurfürstendamm ("Ku'damm"). Ampeln wurden ignoriert, die Geschwindigkeit lag zum Schluss bei 160 bis 170 Stundenkilometern. Kurz vor dem Ziel kollidierte H. mit einem Jeep, der bei Grün aus einer Seitenstraße kam. Der Fahrer, ein Rentner, hatte keine Chance und starb noch an der Unfallstelle.

Das LG Berlin verurteilte die beiden Raser im Februar 2017 zum ersten Mal wegen Mordes. Doch der BGH hob das Urteil wieder auf: Aus seiner Sicht war ein Tötungsvorsatz nicht ausreichend bewiesen. Im März 2019 verurteilte das LG Berlin die beiden Angeklagten erneut wegen Mordes. Wieder gingen die jungen Männer in Revision, der Fall landete erneut in Karlsruhe.

Im April fand am BGH die mündliche Verhandlung dazu statt. Damals zeichnete sich schon ab, dass das Urteil gegen N. aufgehoben werden würde. Wie der BGH den Fall H. wertet, war dagegen mit großer Spannung erwartet worden. Manche Prozessbeobachter gingen davon aus, dass auch im Fall H. die Verurteilung wegen Mordes fallen würde. Im Ergebnis kam es nun aber anders.

"Kein klassisches Tötungsdelikt"

Vorab betonte die Vorsitzende Richterin Beate Sost-Scheible, wie schwierig solche Raserfälle zu lösen sind. Es handele sich hier nicht um klassische Tötungsdelikte, "hier wird ja nicht mit einer Pistole geschossen", so die Richterin. Vielmehr sei das Auto ein "neutraler Gegenstand", der hier auch nicht als Waffe eingesetzt werde. Zudem werde das Opfer nicht gezielt ins Visier genommen.

Erforderlich sei bei Raser-Fällen eine "umfassende Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände", betonte die Richterin. Die hochgefährliche Handlung sei dabei ein "Indikator" für einen möglichen Vorsatz. Entscheidend seien aber immer die Umstände des Einzelfalls.

Auch bei Raserfällen seien die allgemeinen Kriterien für die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit anzuwenden, so Sost-Scheible. Wenn der Raser den Tod anderer Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf nimmt oder sich gleichgültig mit ihm abgefunden hat, sei dies als bedingter Vorsatz zu werten. Hat der Raser jedoch darauf vertraut, es werde schon gut gehen, liege Fahrlässigkeit vor. Die Abgrenzung sei außerordentlich schwierig, weil man den Fahrern "nicht in den Kopf sehen kann", so die Richterin.

Eigengefährdung hindert Vorsatz nicht

Im Fall von H. habe das LG diesmal den Tötungsvorsatz "tragfähig begründet", so der BGH. H. habe erkannt, dass er einen Unfall an der letzten Kreuzung nicht vermeiden kann, wenn bei dieser Geschwindigkeit ein Fahrzeug kreuzt, so die BGH-Richterin. "Aus diesem außergewöhnlich gefährlichen Fahrverhalten durfte das Landgericht auf den bedingten Vorsatz schließen."

Die Anwälte von H. hatten zwar auf die hohe Eigengefährdung hingewiesen. Diese spreche dafür, dass H. auf einen unfallfreien  Ausgang vertraute. Das LG hatte dies jedoch anders gesehen: H. habe im Fall eines Unfalls auf den Airbag seines Fahrzeugs gesetzt. Diese Wertung des LG müsse der BGH "hinnehmen", sagte Sost-Scheible, der BGH könne in der Revision nur Rechtsfragen prüfen. Es sei zudem rechtlich unerheblich, ob sich H. auch andere Geschehensabläufe mit höherer Eigengefahr vorgestellt hat. Der BGH sah damit keinen Rechtsfehler darin, dass das LG nicht geprüft hat, ob H. auch beim eventuellen Zusammenstoß mit einem LKW auf die Sicherheitstechnik seines Fahrzeugs vertraut hat.

Außerdem hatten die Anwälte argumentiert, dass bei einem Unfall auch H.s Ziel, das Rennen zu gewinnen und damit die Anerkennung seiner Freunde zu bekommen, gefährdet war. Auch dies spreche für die Hoffnung auf ein unfallfreies Rennen, so die Anwälte. Dem hielt der BGH entgegen, dass H. im Rennen hinten lag und das schwächere Fahrzeug fuhr. Um zu gewinnen, musste er "das Risiko aufs äußerste steigern", so Sost-Scheible. Das LG durfte entsprechend daraus schließen, dass H. alle Bedenken zurückgestellt hatte.

Als Mordmerkmale hat das LG "niedrige Beweggründe", "Heimtücke" und die Tatbegehung mit einem "gemeingefährlichen Mittel" angenommen. Die niedrigen Beweggründe hielt der BGH für unproblematisch. Bei der "Heimtücke" stimmten die BGH-Richter nach einigem Überlegen zu. Es sei nicht erforderlich, dass der Täter das Opfer überhaupt wahrnimmt oder seine Arglosigkeit instrumentalisiert, so Sost-Scheible. Nur die Annahme des LG, dass das Auto ein gemeingefährliches Mittel sei, lehnte der BGH wegen Beweismängeln ab. Aber darauf kam es wegen der anderen vorhandenen Mordmerkmale nicht mehr an.

Neue Verhandlung für den zweiten Fahrer

Im Fall des zweiten Fahrers N., der nicht mit dem Jeep kollidierte, hatte das LG Mittäterschaft angenommen. Darin sah der BGH jetzt aber einen Rechtsfehler, da kein "gemeinsamer Tatentschluss" nachgewiesen worden sei. Es sei angesichts der Fokussierung auf das Rennen "fernliegend", so die Karlsruher Richter, dass die beiden Angeklagten diesen gemeinsamen Tatentschluss beim Zufahren auf die letzte Kreuzung konkludent geschlossen hatten.

Der BGH lehnte es aber ab, N. bis zur neuen Verhandlung am LG Berlin aus der U-Haft zu entlassen. Denn N. drohe immer noch eine hohe Strafe - nun wegen versuchten Mordes.

Sost-Scheible betonte, dass es in Raserfällen auch künftig keine "fallübergreifenden" Lösungen gebe. Das gelte auch für Fälle, bei denen ein Raser kein Wettrennen fährt, sondern vor der Polizei flüchte. Die Erfahrung zeige, dass ein Mordurteil wohl "die Ausnahme" bleiben werde, so Sost-Scheible. Im Ku'damm-Fall aber sei die Gefährlichkeit der Fahrt kaum noch zu übertreffen und die Geschwindigkeit "unfassbar hoch" gewesen.

Die BGH-Pressesprecherin Dietlind Weinland sagte nach der Verkündung des Urteils, es handele sich um keine Grundsatzentscheidung, aber um ein "Urteil mit hoher Signalwirkung".

Zitiervorschlag

Zweites BGH-Urteil zum Ku'damm-Autorennen: Ein Raser kann ein Mörder sein . In: Legal Tribune Online, 18.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41941/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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