Kriegsverbrecher-Prozess am BGH: Morde, 6.000 Kilo­meter ent­fernt

Gastbeitrag von Dr. Christian Rath

31.10.2018

Kann ein Exilant, der in Mannheim lebt, zugleich im Kongo Kriegsverbrechen begehen? Der Bundesgerichtshof verhandelte jetzt über die Revisionen gegen das Urteil im Stuttgarter FDLR-Prozess. Christian Rath berichtet.

Die FDLR, übersetzt "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas", ist eine Rebellengruppe von Hutu, die versucht, die Macht in Ruanda zurückzugewinnen. Um das deutsche Strafverfahren zu verstehen, muss man sich etwas auf die Situation in Ruanda und im Kongo einlassen.

Ab 1990 verübten die damals dominierenden Hutu in Ruanda einen Völkermord, bei dem 500.000 Tutsi getötet wurden. Danach übernahmen 1994 die Tutsi die Macht in Ruanda und viele Hutu flohen in den Nachbarstaat Demokratische Republik (DR) Kongo. Dort wurde 2001 die FDLR gegründet.

Zuerst war die FDLR mit der Regierung des Kongo verbündet, ab 2008 gab es jedoch militärische Konflikte. In der Folge verübte der militärische FDLR-Arm, FOCA, Massaker an der kongolesischen Zivilbevölkerung, wenn diese mit den Regierungssoldaten zusammenarbeitete.

Als Präsident der FDLR war 2001 der in Mannheim lebende promovierte Ökonom Ignace Murwanashyaka gewählt worden. Er sollte als unbelastetes Aushängeschild der FDLR dienen. Vizepräsident war der Ingenieur Straton Musoni, auch er lebte in Süddeutschland. Beide waren 2009 verhaftet worden, weil sie für die Massaker der FDLR im Ostkongo verantwortlich gemacht wurden. Im Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart, der 2011 begann, ging es vor allem um Bestrafungsaktionen gegen fünf Dörfer, bei denen mindestens 174 Zivilisten lebendig verbrannt, enthauptet, zerstückelt oder auf andere Weise grausam getötet wurden. Es war der erste Prozess nach dem 2001 in Kraft getretenen deutschen Völkerstrafgesetzbuch.

Nach vier Jahren und 320 Verhandlungstagen verurteilte das OLG Stuttgart

2015 Murwanashyaka zu einer 13-jährigen Freiheitsstrafe wegen Rädelsführerschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung FDLR sowie wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen. Als physische Beihilfe wurde ihm die Bezahlung von Prepaid-Karten für Satellitentelefone angelastet, mit denen die FOCA-Kommandeure vor Ort ihre Truppen befehligten.

Außerdem habe Murwanashyaka auch psychische Beihilfe geleistet, indem er in seiner Öffentlichkeitsarbeit die Kriegsverbrechen leugnete und die militärischen Gegnern dafür verantworlich machte. Sein Vize Musoni erhielt eine achtjährige Freiheitsstrafe wegen Rädelsführerschaft.

Sowohl Murwanashyaka und Musoni als auch der Generalbundesanwalt hatten Revision gegen die beiden Urteile eingelegt. Über alle drei Revisionen verhandelte am Mittwoch der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH), der für Staatsschutzfragen zuständig ist.

Die Bundesanwaltschaft monierte, dass Murwanashyaka bei den Kriegsverbrechen nur als Gehilfe verurteilt wurde und nicht als Täter. Dies sei ein "nostalgischer" Ansatz, so Oberstaatsanwalt Christian Ritscher, der an den Umgang mit NS-Kriegsverbrechern nach 1945 erinnere.

Murwanashyaka hätte als formeller Oberbefehlshaber die Kriegsverbrechen zwar nicht gegen den Willen der örtlichen FOCA-Kommandeure stoppen können, aber er habe nicht einmal versucht, diese zur Beendigung ihrer Angriffe auf die Zivilbevölkerung zu bewegen. Es sei die "entscheidende Frage dieses Prozesses", so Ritscher, ob ein Befehlshaber nur dann Täter eines Kriegsverbrechens sein könne, wenn er "Tatverhinderungsmacht" habe, wie es das OLG verlangte.

Außerdem forderte die Bundesanwaltschaft, dass Murwanashyaka auch wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" verurteilt werden müsse. Die Angriffe hätten als Vergeltung ganz klar der Zivilbevölkerung gegolten.

Bei Musoni hielt Ritscher die achtjährige Freiheitsstrafe für zu niedrig. Immerhin seien 174 Zivilisten vorsätzlich getötet worden.

Die fünf Anwälte von Murwanashyaka und Musoni traten gemeinsam und arbeitsteilig auf. Andreas Lickleder wies den Vorwurf der Beihilfe zu Kriegsverbrechen zurück. Weder sei bewiesen, dass die Satellitentelefone bei den Massakern zum Einsatz kamen, noch sei anzunehmen, dass die FOCA-Kämpfer von der Pressearbeit Murwanashyaka in Europa wussten.

Andrea Groß-Bölting monierte, dass die FDLR zu Unrecht als terroristische Vereinigung eingestuft werde. Die Massaker einzelner Einheiten der FOCA, des bewaffneten Arms der FDLR, könne schon nicht der FOCA-Führung zugerechnet werden und erst recht nicht der politischen Organisaton FDLR. Musoni sei kein Rädelsführer, betonte Jochen Thielmann, er sei ein demokratischer "Amateurpolitiker", der "objektiv keine Möglichkeit hatte", die Tötung von Zivilisten im Kongo zu verhindern.

Ricarda Lang kritisierte rechtsstaatliche Mängel des OLG-Prozesses. Anträge der Verteidigung, eine Reise in die DR Kongo zu finanzieren, um dort mit möglichen Entlastungszeugen zu sprechen, habe das Gericht abgelehnt; ebenso die Finanzierung von Dolmetschern für entsprechende telefonische Befragungen. Andrea Groß-Bölting fragte: "Wie kann das Gericht einen Sachverhalt ermitteln, der 6000 Kilometer entfernt spielte, ohne je vor Ort gewesen zu sein?". Aus einzelnen "schmutzigen Puzzleteilen" könne kein stimmiges Gesamtbild entstehen. Axel Nagler erinnerte daran, dass nach 247 Verhandlungstagen krankheitsbedingt der zweite Pflichtverteidiger ausgewechselt werden musste, dem Nachfolger aber keine ausreichende Einarbeitungszeit ins Verfahren gewährt wurde. Danach sei Murwanashyaka nicht mehr ausreichend verteidigt gewesen.

Der 3. Strafsenat verhandelte diesmal unter Vorsitz von Richter Jan Gericke, nachdem sich der langjährige Senatsvorsitzende Jörg-Peter Becker just an diesem Tag in den Ruhestand verabschiedete. Gericke ließ nicht erkennen, wohin der Senat bislang tendiert. Die Richter stellten nach den dreistündigen Plädoyers und Repliken auch keine Fragen. Das Urteil wird am 20. Dezember 2018 verkündet.

Zitiervorschlag

Kriegsverbrecher-Prozess am BGH: Morde, 6.000 Kilometer entfernt . In: Legal Tribune Online, 31.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31813/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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