BAG-Urteil zur "verdeckten Arbeitnehmerüberlassung": Richtig und doch nicht so wichtig?

von Dr. Anja Mengel

13.07.2016

Das BAG entschied am Dienstag, dass eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung nicht zu einem Arbeitsverhältnis mit dem Kunden des scheinbaren Werkunternehmers führt. Aber der Gesetzgeber ist schon dabei, das zu ändern, erklärt Anja Mengel.

In jüngerer Zeit haben Arbeitsgerichte und Gesetzgeber sog. Schein-Werkverträge bzw. verdeckte Arbeitnehmerüberlassung problematisiert. Einige Arbeitsrichter haben für bestimmte Konstellationen von nicht ordnungsgemäßen Werkverträgen Lösungen in Anlehnung an das Arbeitnehmerüberlassungsrecht gesucht; sie haben dann für die Arbeitnehmer des scheinbaren Werkunternehmers Arbeitsverhältnisse direkt mit den Kundenunternehmen angenommen.

Dies hatte einen abschreckenden Effekt, weil dadurch die Kunden erhebliche Nachteile bei einem fehlerhaften Werkvertragsverhältnis hatten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun aber heute in einem Grundsatzurteil entschieden, dass diese Lösung über die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Kundenunternehmen gesetzlich nicht vorgesehen ist, also kein Arbeitsverhältnis zustande kommt (BAG, Urt. v. 12.07.2016, Az. 9 AZR 352/15).

Für die Vergangenheit sind Kunden von Werkunternehmern und Personaldienstleisterns insoweit vor der unerwünschten Übernahme von Fremdarbeitnehmern geschützt.

Werkvertrag oder Arbeitnehmerüberlassung?

Hintergrund dieser Rechtsprechung ist die seit einigen Jahren verschärfte Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung, die den Fremdpersonaleinsatz mit Zeitarbeitnehmern deutlich verteuert und für längere bzw. lange Einsatzzeiträume sogar unmöglich gemacht hatte. Personalunternehmen haben daher für bestimmte Einsatzgebiete Fremdpersonal auf der Basis von Werkverträgen angeboten, die nicht derselben strengen Regulierung unterliegen wie die Arbeitnehmerüberlassung.

Werkvertragsarbeiten und der Einsatz von Zeitarbeitnehmern sind aber rechtlich nicht einfach austauschbar, sondern für Werkvertragsarbeiten müssen bestimmte qualitative Anforderungen erfüllt sein. Gelingt das in der Vertragsdurchführung nicht, liegt nur scheinbar ein Werkvertragsverhältnis vor, rechtlich aber stattdessen doch eine (verdeckte) Arbeitnehmerüberlassung.

Für die Arbeitnehmerüberlassung ist wiederum eine behördliche Überlassungserlaubnis erforderlich.  Fehlt diese, hat eine solche Konstellation  sehr nachteilige Folgen für die beteiligten Unternehmen.

Zur Absicherung: vorsorgliche Überlassungserlaubnis

Zur Absicherung dagegen holten Werkvertragsunternehmer in jüngerer Zeit immer häufiger vorsorglich eine Überlassungserlaubnis ein und argumentierten im Fall behördlicher oder gerichtlicher Prüfungen, dass zwar möglicherweise kein ordnungsgemäßer Werkvertrag, aber doch eine – wegen der Erlaubnis zulässige - Arbeitnehmerüberlassung  vorliege. Ebenso argumentierten  Zeitarbeitsunternehmen , deren Kunden eine Werkvertragsgestaltung bevorzugten.

Diese Absicherungspraxis wollten Arbeitsrichter damit unterbinden, dass sie eine verdeckte Überlassung mit Erlaubnis ebenso behandelt haben wie eine erlaubnislose Überlassung. Da eine solche Gleichstellung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) aber bisher nicht ausdrücklich angeordnet ist, mussten sie mit einem Missbrauch der Erlaubnis argumentieren.

Zum missbräuchlichen Verhalten erklärten sie, dass Personaldienstleister und Kunde die erteilte Überlassungserlaubnis und die Option der Arbeitnehmerüberlassung bewusst nicht als primäre Gestaltung ihres Rechtsverhältnisses nutzen, sondern nur als hilfsweise Absicherung, während sie eigentlich eine andere rechtliche Gestaltung - durch Werkvertrag - erfolglos versuchen.

Das Urteil des BAG: richtig, kaum überraschend und doch nicht von Dauer

Eine Denkweise, die gegen grundsätzliche Rechtsprinzipien des deutschen Rechts verstößt. Bürger wie Unternehmen können sich stets auch auf nachrangige und hilfsweise rechtmäßige Gestaltungen berufen können; ein Verbot der rechtlichen Absicherung durch Hilfsargumente oder sekundäre Gestaltung gibt es allgemein nicht.

Auch im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) hat der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des BAG die nachteilige Anordnung eines fingierten Arbeitsverhältnisses des überlassenen Arbeitnehmers zum Kundenunternehmen nur für einen bestimmten Fall angeordnet, nicht für diverse oder alle Fälle von Gesetzesverstößen. § 10 iVm § 9 Nr. 1 AÜG fingiert nur dann ein Arbeitsverhältnis zum Kunden, wenn der Personaldienstleiser keine Überlassungserlaubnis hat. Für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke, so der 9. Senat am Dienstag.

Schon im Jahr 2013 haben die Erfurter Richter entschieden, dass kein Arbeitsverhältnis zum Kunden fingiert wird, wenn der Überlasser über eine Überlassungserlaubnis verfügt und nur die zulässige Höchstdauer der Überlassung überschritten wird (BAG, Urt. v. 10.12.2013, Az 9 AZR 51/13). Es ist somit  richtig und auch nicht besonders überraschend, dass die obersten Arbeitsrichter zu der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung ebenso entschieden und eine Fiktion wegen missbräuchlichen Verhaltens abgelehnt haben. Dennoch ist dieses Urteil kein dauerhafter Maßstab und entscheidet voraussichtlich nur Streitfälle der Vergangenheit. Denn nach dem aktuellen Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des AÜG soll ab Januar 2017 eine Gesetzesänderung die bisher fehlende Regelung einführen.

Dann würde gesetzlich die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Kundenunternehmen bewirkt, wenn eine Arbeitnehmerüberlassung nicht offen und ausdrücklich als solche bezeichnet wird bzw. die Höchstüberlassungsdauer überschreitet (vgl. § 9 Nr. 1a und Nr. 1b iVm § 10 des Gesetzesentwurfs vom 2. Juni 2016, BR-Drs. 294/16). Zukünftig werden damit Personaldienstleister und ihre Kunden einem großen Druck ausgesetzt, sich für eine rechtliche Gestaltung – entweder Werkvertrag oder Arbeitnehmerüberlassung - zu entscheiden und diese nach den jeweiligen Anforderungen strikt umzusetzen.

Die Autorin Dr. Anja Mengel ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht in Berlin. Sie ist Partnerin bei ALTENBURG Fachanwälte für Arbeitsrecht.

Zitiervorschlag

Dr. Anja Mengel, BAG-Urteil zur "verdeckten Arbeitnehmerüberlassung": Richtig und doch nicht so wichtig? . In: Legal Tribune Online, 13.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19981/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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