Kirchen können Streiks weiter verhindern: Nicht ohne die Gewerkschaften

von Ulrich Hammer

22.11.2012

"Salomonisch, gut, klug" -  so oder so ähnlich bewertet die Presse fast einhellig die Entscheidungen des BAG vom Dienstag zum Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen. Dafür spricht immerhin, dass die Kirchen und ihre Einrichtungen gegen Marburger Bund und ver.di zwar formal verloren, in der Sache aber weitgehend Recht bekommen haben, meinen Ulrich und Ole Hammer.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte über zwei Revisionen von evangelischen Kirchen und kirchlichen Einrichtungen zu entscheiden, Gegner waren der Marburger Bund und die Gewerkschaft ver.di. Es ist ungewöhnlich, aber nicht verwunderlich, dass alle Parteien sich nach den Erfurter Urteilen als Gewinner fühlen.

Während die Gewerkschaft  unter dem Titel "Bundesarbeitsgericht bestätigt Streikrecht in der Diakonie" weiterhin den Abschluss eines "Tarifvertrag Soziales" fordert, "weil der Dritte Weg unzureichend ist", sieht der Verband Diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) ebendiesen den Dritten Weg durch das BAG bestätigt.

Richtig ist in der Tat, dass die obersten Arbeitsrichter das absolute Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen aufgehoben haben. Richtig ist aber auch, dass sie zugleich den Kirchen und ihren Einrichtun-gen im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts alle Instrumente an die Hand gegeben haben, um Streiks in kirchlichen Einrichtungen auszuschließen. So können diese entweder "kirchengemäße" Tarifverträge abschließen oder eine Form des Dritten Wegs konzipieren, in den die Gewerkschaften eingebunden sind.

Dieses Ergebnis ist mehr als nur ein arbeitspolitisches Patt, juristisch gesprochen ein "non liquet", bei dem sich beide Seiten beliebig blockieren können. Seine Kernaussage liegt weniger im Bereich des Arbeitskampfrechts als vielmehr im Koalitionsrecht, weniger beim Streikrecht als beim Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbandsrecht. Die Erfurter Entscheidungen sind die Aufforderung an alle Beteiligten, aufeinander zuzugehen, Kompromisse zu finden und ihre Ziele gemeinsam zu verwirklichen.

Die Verfahren: vom Zweiten und Dritten Weg

Im Verfahren gegen die Zulassung eines Streikrechts des Marburger Bundes entschieden die obersten Arbeitsrichter, dass Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Tarifforderungen unzulässig sind, wenn die Kirche sich entscheidet, "die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ihrer diakonischen Einrichtungen nur dann durch Tarifverträge auszugestalten, wenn eine Gewerkschaft zuvor eine absolute Friedenspflicht vereinbart und einem Schlichtungsabkommen zustimmt" (BAG, Urt. vom 20.11.2012, Az. 1 AZR 611/11 zum Zweiten Weg).

Materiell hat der klagende kirchliche Arbeitgeberverband in vollem Umfang Recht bekommen. Verloren hat er den Prozess nur, weil er nicht darlegen konnte, dass nach der damaligen Streikdrohung des Marburger Bundes zukünftig weitere Störungen zu befürchten seien.

Streikmaßnahmen sind aber keineswegs etwa im Umkehrschluss zulässig, wenn sich die Kirchen und ihre Einrichtungen Tarifverträgen verweigern. Das ergibt das zweite Urteil des BAG, bei dem es direkt um den so genannten Dritten Weg ging.

Bei diesem Arbeitsrechtsregelungsverfahren, wenn also die Dienstnehmerseite und die Dienstgeberseite in einer paritätisch besetzten Kommission die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten gemeinsam aushandeln und einen Konflikt durch einen neutralen Vorsitzenden einer Schlichtungskommission lösen, dürfen die Gewerkschaften nicht zu einem Streik aufrufen, so der 1. Senat (Urt. v. 20.11.2012, Az. 1 AZR 179/11 zum Dritten Weg). Das soll nach Ansicht der Richter jedoch nur gelten, "soweit Gewerkschaften in dieses Verfahren organisatorisch eingebunden sind und das Verhandlungsergebnis für die Dienstgeberseite als Mindestarbeitsbedingung verbindlich ist".

Daher verloren die Kläger aus dem Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen auch diesen Prozess. Allerdings nur, weil sie nach Ansicht der höchsten Arbeitsrichter einseitig zwischen unterschiedlichen Arbeitsrechtsregelungen des Dritten Weges wählen konnten.

Zitiervorschlag

Ulrich Hammer, Kirchen können Streiks weiter verhindern: Nicht ohne die Gewerkschaften . In: Legal Tribune Online, 22.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7603/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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